Dem Egers sei Welt #66: Sechs Texte

MITTWOCH, 3. OKTOBER 2018

#Comedy, #Egersdörfer, #Kabarett, #Kolumne

Sechs Texte für “Musique pour les soupers du roi ubu” von Bernd Alois Zimmermann, die ich als Conférencier beim 8.Philharmonischen Konzert am 13. Juli 2018 in der Nürnberger Meistersingerhalle vorgetragen habe.

DIE ANSTECKENDE KRANKHEIT
So einen trockenen Reizhusten bekomme ich immer, wenn ich etwas von dem amerikanischen Präsidenten lesen muss. Ein unablässig nässendes Ekzem wuchert über mein Kinn, wenn der Mann im Fernseher zu sehen ist. Ich versuche schon immer vorher umzuschalten, wegen dem Ohrensausen, dem tauben Gefühl am Hinterkopf, den Fingern, die nicht mehr durchblutet werden. Oft schalte ich um, weil ich denke, wenn Du nicht Obacht gibst, taucht er auf und meine Mandeln entzünden sich. Der deutsche Innenminister erhöht mir den Innenohrdruck. Der Arzt sagt, meine Essstörung komme vom Innenminister. Der Innenminister hat sich mit dem amerikanischen Präsidenten geküsst und dabei angesteckt. Das sei erwiesen, sagt mein Arzt. Verdacht auf Gehirnhautentzündung und Karies. Die Freunde vom Innenminister haben sich auch schon alle angesteckt, sagt mein behandelnder Arzt. Weil sie sich die Hände nicht gewaschen haben, als sie den kranken Innenminister angefasst haben. Ich soll mir immer die Hände waschen und umschalten, bevor der Schwindel anfängt. Lieber einmal zu oft, sagt mein Hausarzt.

VON DER ZUKUNFT WEHT JETZT SCHON EIN GESTANK HERÜBER
Wie in Ungarn mit Kritikern der Regierung umgegangen wird, das kann man ohne Übertreibung als heikel bezeichnen. Auf Spiegel-Online steht vor der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung das Adjektiv „populistisch“. Der Lega, dem Koalitionspartner, wird das Eigenschaftswort „fremdenfeindlich“ vorangestellt. Österreich rückt nach rechts, ist zu lesen.Bei den Départementswahlen in Frankreich holte der rechtsextreme Front National von Marine Le Pen fast ein Viertel der Stimmen. Das sind unsere Nachbarn. Ich will jetzt nicht den Teufel an die Wand malen. Aber das ist doch eine allgemeine Entwicklung weit über die Landesgrenze hinaus. Was bedeutet das?
Wenn die Christsozialen bei der Wahl im Oktober in Bayern gewinnen, wird vermutlich auf die Kreuze in den Behörden eine Miniaturausgabe unseres strammen Ministerpräsidenten mit ausgestreckten Armen draufgespaxt. Oder die Schwarzen verlieren, und sie pichen uns vier Haken ans Kreuz.

EIN WICHTIGER SATZ
Auf dem Bayerischen Kinder- und Jugendfilmfestival, das dieses Jahr in Roth stattfand, wurde der Film „Vielleicht“ von der Jury ausgezeichnet. Der Dokumentarfilm zeigt am Beispiel von drei Jugendlichen, die seit mehreren Jahren versuchen, eine Heimat zu finden, den unerträglichen Wartezustand, in dem Asylbewerber hier in Deutschland oftmals leben. Einer der Protagonisten sagt einen Satz, der rein sprachlich nicht ganz einwandfrei formuliert ist, der aber das Gewürge der sogenannten Asyldebatte, meiner Meinung nach, kurz und prägnant auf den Punkt bringt. Der Satz lautet: „Er spielt Politik mit meinem Leben.“

DER TAG DER OFFENEN TÜR IN DER GEMÜSEFABRIK
Heute ist Tag der offenen Tür in der Gemüsefabrik. Eine frische Hose habe ich mir angezogen. Mein Hemd hat keinen Fleck. Viele Konsumenten und auch ich sind heute gekommen, um zu sehen, wie die Produkte aus dem Supermarkt hergestellt werden. In einer Halle, die so groß ist wie der Innenstadtbereich einer größeren Kleinstadt, wachsen aus aufgeschlitzten Substratsäcken Tomaten an horizontal gespannten Drähten zum verglasten Himmel empor. Die unendlichen Reihen der Stauden erstrecken sich so weit, bis man nur noch unscharf sehen kann. Der Boden ist sauber und glänzend weiß. Die Luftfeuchtigkeit ist hoch. Neben der Halle mit den Gewächsen ist eine weitaus kleinere Halle. Hier werden über Displays die Pflanzen, die aus dem Substrat wachsen, vom Agrar-Programmierer mit Wasser, Nährstoffen und Schutzmitteln versorgt. Heute steht der Programmierer aber nicht am Display, sondern schneidet große Stücke aus einem Ochsen, der sich vor einem glühenden Grill dreht. Die Konsumenten lassen sich die Ochsenstücke auf weißen Tellern reichen und setzen sich in die Sonne vor die Gemüsefabrik. Ich trage auch einen Teller mit Ochsenfleisch in die Sonne. Zum Kauen des Ochsenfleisches spielt eine Blaskapelle. Dann spricht der Bürgermeister. Seine Rede ist sauber und passt gut zu dem Geschmack des Ochsenfleisches, denken der Konsument und ich. Beide schlucken wir glücklich.

IM GARTEN DES SPASSES
Im Garten des Spaßes stehen eine Ritterburg und ein Piratenschiff. Die gleiche Ritterburg und das gleiche Piratenschiff hat das Kind zu Hause in verkleinerter Form und spielt damit auf dem Boden des Kinderzimmers. Als ich selbst Kind war, habe ich auch mit der gleichen Ritterburg und dem gleichen Piratenschiff gespielt. Im Spaßgarten kann das Kind in der Spielzeug-Ritterburg herumlaufen. Die Spielzeugritter und die Spielzeugpiraten, die das Kind sonst in seiner Kinderhand halten kann, sind hier größer als das Kind selbst. Ich bin größer als der Spielzeugritter und lege meine Hand auf seine Schulter. Im Spaßpark gibt es unter anderem einen Bauernhof. Dort stehen vergrößerte Plastikspielzeugkühe. Der Boden ist sauberund glänzend weiß. Unter jeder großen Plastikspielzeugkuh ist ein metallisches Euter angebracht. Wenn das Kind dieses Euter mit den Händen umfasst, kommt Wasser heraus, welches das Kind in einem kleinen Plastikeimerchen auffängt. Bei der kleinen Plastikkuh, die im kleinen Kuhstall im Kinderzimmer des Kindes steht, ist unterhalb auch ein kleines Plastikeuter angebracht. Dort kommt aber kein Wasser heraus. Das ist der Unterschied.

ANSPRACHE AN DAS PUBLIKUM
Wie das Publikum so satt und zufrieden dasitzt. Wie Männer und Frauen so lauschen mit den Ohren und sich dabei einbilden, etwas Sinnvolles zu tun. Das müssen ja sinnvolle Töne sein, die sie mit Ihren Ohren hören, wenn die Eintrittskarte so viel gekostet hat. Sie sind privilegiert. Ich sage es Ihnen direkt in ihr Publikumsgesicht hinein: Sie sind privilegiert. Allein aus der Tatsache, dass sie hier in diesem Saal sitzen und den Werken von Zimmermann und Mahler lauschen, geht hervor, dass Sie privilegiert sind. Während sich die Mehrheit im Lande um das blanke Überleben kümmern muss, hocken sie hier auf Ihrem hochwohlgeborenen Hintern und hören Musik. Sie haben keine Lösung für die Probleme unserer Gattung anzubieten. Allein, dass Sie hier so sitzen können, ein wenig Musik hören und über alles nachdenken können, denunziert sie. „Denken ist Schuld“, hat Heiner Müller einmal gesagt. Sie können von Glück sprechen, dass ich heute Heiner Müller zitiere. Mit meinen eigenen Worten hätte sich das ganz anders angehört. Da hätten Sie einen trockenen Reizhusten bekommen. Da wäre Ihnen ein Ekzem am Kinn gewachsen. Sie existieren, weil Sie die Möglichkeit haben, zu denken, weil Sie nicht arbeiten müssen, ohne zu denken. Vergessen Sie das bitte nicht, liebes Publikum.

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UND WAS MACHT EGERS SONST SO IN DIESEM MONAT?
Mit der bisher noch nicht aufgeführten Show „Carmen oder die Traurigkeit der letzten Jahre“ ist er am 4. Oktober in der Katana und am 5. Oktober im Bernsteinzimmer. Preview! curt-Tipp!
Noch mehr Termine – außerhalb der Region – unter www.egers.de.
 




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Was für ein nicht enden wollender Sommer das heuer gewesen ist. Bis in den Oktober hinein wurde ich immer dringlicher gemahnt: Genieße unbedingt den sonnigen Tag heute! Morgen kommt der Herbst, dann ist alles vorbei. Immer wieder habe ich mich in die Sonne gesetzt und habe die Sonne mit aller Kraft genossen bis zur Langeweile, bis zum vollständigen Überdruss. Das kommt daher, dass ich Befehle stets gewissenhaft und verlässlich ausführe. Da kann man sich einhundertprozentig auf mich verlassen. Meine Zuflüsterer taten immer so, als ob das Himmelgestirn im nächsten Moment unwiderbringlich explodieren würde und man sein Leben fürderhin in lammfellgefütterten Rollkragenpullovern, Thermohosen und grob gestrickten Fäustlingen verbringen müsste – in Zimmern, in denen die Heizung unentwegt auf drei gestellt ist. Aber es hat ja nicht aufgehört zu scheinen. Wenn ich an einem Tag genossen und genossen habe, hat der Leuchtkörper sein blödsinniges Leuchten am nächsten Tag keineswegs eingestellt. Die Dummköpfe aber haben es nicht unterlassen, weiterhin ihre Sonnengenussbefehle auf mich auszuschütten. Die Aufforderungen blieben keineswegs aus, sondern steigerten sich zur Unerträglichkeit. Wenn einer endlich einmal sein dummes Maul gehalten hat, dass ich mich unbedingt bestrahlen lassen muss, hat ein anderer damit angefangen, mich aufdringlich aufzufordern, mein Glück unter dem drögen Kauern unter dem aufdringlichen Glanz des leuchtenden Planeten zu finden. Noch Anfang November saß ich voller Wut auf der Straße und habe Kaffee getrunken und gehofft, dass mir die Sonne ein Loch in die Stirn schmort, dass den Schwachköpfen ihr blödsinniges Gerede leidtut und sie mich um Verzeihung bitten müssen. Die Sonne hat immer weitergeschienen wie ein Maschinengewehr, dem die Patronen nicht ausgehen.  >>
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