Tibors Kopfkino #02

SAMSTAG, 1. SEPTEMBER 2018

#Casablanca, #Cinecitta, #Film, #Kino, #Kolumne, #Kommkino, #Tibor Baumann

Der Nürnberger Regisseur und Autor Tibor Baumann ist in Berlin gestrandet - und schreibt für uns, worüber er am liebsten nachdenkt: monumentale Bilder und bildende Monumente. Alles in seinem Kopf. Zurück im eigenen Kiez ist er zwischen Kulissen und Kinosaal für euch auf der Jagd nach den großenTräumen, neuen Starts und alten Perlen. Und heute im Programm:

TROTZENDE KULISSE UND ZERFALLENDE MONUMENTE
ODER: TRÄUME IN MINIATURFORM


Das Telefonklingeln ist so unpassend wie die Armbanduhren in den monumentalen Schlachtszenen in „Braveheart“.
„Du musst vorbeikommen,“ sagte er mit tiefer, rauchiger Stimme,
„’s dringend.“
Ich war  mit Reisetasche in der Hand und Staub an den Stiefeln unter meiner Hutkrempe wieder nach Berlin geschlichen. Zurückgekehrt, der Sommer geht zur Neige und meine eigene Wohnung kommt mir wie eine Kulisse vor. Etwas, dass die signifikanten Bausteine zu deinem Leben, die wichtigen Motive, vorwegnimmt – also, wenn dein Leben ein Film ist. Aber was sollte es sonst sein?
„Ich brauche die Modellbaukiste. Ist die Dritte von oben, in der zweiten Reihe links.“
Es war genau das, was ich nicht brauchte. Ich bemühte mich, trotz der Unbeobachtbarkeit, lässig zu gucken wie Humphrey Bogart, in „Die Maske runter“.
„Ich bin bei Punjabi, ich muss fertig werden.“, drängelte Bela.
Meine Maske fiel klirrend runter. Wenn Bela fertig werden musste, hatte er sich wieder ganz tief in was reingeritten. Den Mann kann man nicht alleine lassen – Kevin ist ein Dreck dagegen.
Also, hilft ja alles nix. Die Kiste war eine von vielen, die Bela nach dem Zusammenstoß mit Ella bei mir gelagert hat, riesige Reihen wie die Bundeslade im geheimen Archiv der Spielbergschen CIA. Ich schnappe mir Kiste, Charme und Hut und schlappe los. Im Karree: Alles wie gehabt. Im Eingang des Nachbarshauses ertränken ein paar schräge Vögle die Nacht mit billigem Bier. Sehr schöne Menschen gibt es eben nur an Stränden; hat uns Danny Boyle schon an titelgebender Sandansammlung gezeigt. 
PuNJAJAJAJABIS SPÄTI blinkt es neongrün über einem desinteressierten Paar, die wie eine pubertierende Version von Susi und Strolch an einer Dose Mischgetränk nuckeln, bis sie das Saugen zueinander führt. Die Tür dudelt leiernd „Hare Krishnaaaaraaama“, Punjabi sieht Bela über die Schulter – auf unsere Straße als Miniatur. Die Kopie einer Kopie, einer Kopie – kurz blinkt Mr. Durden auf. In dem Modell stehe ich selbst vor dem Späti.
„Wow, wo hast du denn den schicken Hut her?“, fragt Bela mich ansehend. Belas handwerklichen Fähigkeiten werden nur von denen hinter der Kamera übertroffen. Gut, dass er keinen Irrgarten vor einem gruseligen Hotel gebaut hat.
„Rom.“, antwortet ich abwesend.
„Der macht dich richtig Bogart. Wohl im Lotto gewonnen, wa’?“
„Aber Mr.Bela, Sir, das ist doch Mafiahut, „The Godfather“, you know?“,
fachsimpelt Punjabi mit indischem Akzent aus dem Disney-Dschungel-
Lehrbuch.
„Genau,“ nicke ich, „und lass den dämlichen Dialekt.“
„Wer Klischees zu nutzen weiß, erzählt die besten Geschichten“, erwidert Punjabi.
Ich bin von Klugscheißern umgeben.
Punjabi, der irgendeinen Abschluss hat, der ihn zum Will Hunting macht, reicht mir ein Bier aus dem summenden Kühlschrank.
Bela kramt aus der Kiste etwas Modellgras und bastelt damit den dreckigen Grünstreifen auf der gegenüberliegenden Straßenseite nach. Sogar den Sperrmüllhaufen vor der Nummer 8 hat er nachgebaut.
 „Was genau wird das?“, frage ich auf das Mini-Set sehend, als ob „Ich habe-was-auch-immer-geschrumpft Teil 1-12“ mit wirklichen Schrumpfschauspielern gedreht werden würde.
„Ein Kurzfilm, für Punjabi, damit der Laden besser läuft“, sagt er, als hätte ich gerade gefragt, was das Ding ist, mit dem er Bilder schießt.
„Das nennt man Werbung ...“, erwidere ich.
„Ein Monument“, schwärmt Punjabi, der ihm sicher diesen Flo ins Ohr gesetzt hat.
Bela nickt; er arbeitet wahrscheinlich schon seit dem ich weg bin an dem kleinen Film, dem kleinen Modell, für den er wahrscheinlich zwei normale Aufträge hat sausen lassen. Er hat einfach kein Gespür für Selbstvermarktung – und für Hüte. Aber es geht eben auch um Träume!
„Wie hat dir Rom gefallen?“, fragt Punjabi, während Bela irgendwas von „Drehbuch“ und „Regie“ faselt und in seiner Tasche kramt.
„Ein Traum. Antikes und Zerfallendes, Neues und Großes - alles schichtete sich aufeinander. Und die CinéCitta …!“
„Wann warst du denn in Nürnberg?“, fragt Bela suchend.
„Die Filmtudios in Rom, du Ochse. Die Kulisse von Gangs of New York; die kompletten Straßen, der Hafen, alles gebaut – jetzt ist es nur noch eine Bretterbude übrig. Die Kulisse von „Rom“ ist auch abgebrannt.“, schwärme ich eindeutig zweideutig.
„Genau das ist die Idee, das am Ende alles zerfällt, aber,“ Belas Stimme bekommt einen glorreichen Schein: „am Ende bleibt immer Punjabis Späti, der dich rettet!“
Die Türe geht auf und Susi und Strolch schweben herein.
„Machst du Regie dazu, dann ist es besser? Yes, Mr. Bela, Sir, right?“, verfällt Punjabi in seinen tarnenden Dialekt. Bela reicht mir sein Script.
Träumen geht einfach am besten zusammen.  


VON A WIE ANNÄHERND VERGESSEN BIS Z WIE ZUKÜNFTIGE KLASSIKER.
DREAM BIG? FRAILICH!


Aus den großen Monumenten unsere Theatergeschichte, schafft Joachim Lang mit seinem teilweise Theater-erprobten Superensemble die tragische Geschichte eines gescheiterten Films:
MACKI MESSER – BRECHTS DREIGROSCHENFILM (KS:13.09.) .
Ein monumentaler Geist bekommt von Phillip Jedicke nun endlich auch ein filmisches Monument gesetzt – mit SHUT UP AND PLAY THE PIANO (KS: 20.09.) wird Chili Gonzales, einer der wahrhaft großen und der wahrhaft schwitzenden Musiker, auf Zelluloid gebannt.
Monumental düster wird es wohl in dem staubig anmutenden, australischen Western von Warwick Thornton. Das Multitalent widmet sich mit SWEET COUNTRY (KS: 27.09.) von grausamer, (kolonialer) Unterdrückung und folgt dabei der Dramaturgie des Krimi-Abenteuers und der staubigen Westernstimmung. Der Film hat übrigens einen Premierenabend im CineCitta am 26. September – denn er wurde dank Grand Film im schönen Gostenhof für die deutschen Ohren synchronisiert.
Good old HolyNürnhill.

Nach verschobenen Termin kommt nun Wolfgang Fischers STYX (KS: 13.09.) auch ins Kino. Gut Ding will Weile haben, denn wahre Größe folgt manchmal eigener Dramaturgie.
Aber Träume lassen sich nicht unterkriegen: Nach über 20 (jaaaha: in fu*$Ñ#g Worten: zwanzig) und drei scheiternden Drehversuchen bringt Terry Gilliam seinen Traum ins Kino: THE MAN WHO KILLED DON QUIXOTE (KS: 27.09.).
Dem Visionär wurde nun letztgültig in einem Rechtsstreit der Film sogar wieder weggenommen. Aber Gilliam hat mit so etwas Erfahrung; die seltsam-wunderbare Welt des Mr. Gilliam kann man auch zu Hause bestaunen: MONTY PYTHON’S FLYING CIRCUS (1969-1974), BRAZIL (1985) – mit Robert DeNiro in einer seiner brillantesten Nebenrollen als rebellischer Klempner – oder natürlich dem famosen 12 MONKEYS (1995) und THE ZERO THEOREM (2013). Wer auf Sandalen und Klassisches, aber nicht auf alt steht, der sollte sich für den seriellen Antik-Orgasmus unbedingt die Serie ROM (R/C: Div., HBO 2005-2007) – auch noch mal – ansehen. (Ja, ich heule immer noch, dass es abgebrannt ist …)
Wer in Rom ist, der sollte sich auf jeden Fall alten römischen Träumen hingeben, von Fellinis LA DOLCE VITA (1960) bis SATYRICON (1969). Aber wer im Schatten der Nürnberger Burg lebt, der weiß natürlich, dass sich da noch andere, monumentale Ereignisse abspielen:
Das FANTASY FILMFEST bietet wieder vom  25. bis 30. September im CinéCitta den Newcomern und Hardcore-Größen des fanatisch phantastisch Film von A wie aberwitzige Metzgergesellen bis Z wie zähneklappernder Thriller (… wir vermeiden mal das totgerittene Z-Wort …). Wie immer wird Euch das Neueste des Diesseits des Thrillers bis zum Jenseits des Horrors präsentiert. Stammpublikum und der geneigte Perlensucher finden hier sowohl Newcomer, als auch die Wiederholungstäter. Ein Fest für die Filme der anderen Art.
Davon versteht auch das KOMM KINO einiges: 7. bis 9. September WOLFSMOND – DAS 1. FESTIVAL DES LYKANTHROPISCHEN FILMS. Mit einzigartiger Auswahl heulen Euch hier die gespaltenen Wesen entgegen, die sich, von alter Legende bis heutige, Modern-Fassung des Flohproblems, nicht zwischen Tier und Mensch entscheiden können.
Und damit nicht genug: Jubel! Bekanntlich erreicht wahre Größe, wer die Jahre überdauert. Und weil man ja nicht immer nur rund sein muss, heißt es Gratulation zu 9 JAHRE CASABLANCA FILMKUNSTKINO. Das feiert das Lichtspielhaus und bietet Euch cinematographisches Aufgebot feinster Art vom 20. bis 23. September. Regisseure und AutorInnen geben sich da die Ehre, besondere Empfehlung: Phillip Jedicke mit der oben genannten Chili Gonzales-Doku und Kathrin Hartmann, die Co-Autorin der kontroversen Doku DIE GRÜNE LÜGE. Und sogar der besonderen Verquickung von Kino und Serie dieser Tage wird mit dem Komplettscreening der Tykwerschen Großkulissenserie BABYLON BERLIN gehuldigt. So, dann, Prost, let’s dream und so!

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TIBOR BAUMANN:
Der Nürnberger Regisseur und Autor Tibor Baumann ist in Berlin gestrandet - und schreibt nun ab sofort für uns, worüber er am liebsten nachdenkt: bewegende Bilder und bewegtes Bild. Alles in seinem Kopf. Vom Himmel über big B und den Großereignissen in good old Nbg – ein Franke in der Weddinghood, no holy, wenig wood, aber zu Hause in den gepolsterten Reihen heimischer Kinosäle.
 




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#Casablanca, #Cinecitta, #Film, #Kino, #Kolumne, #Kommkino, #Tibor Baumann

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