Dem Egers sei Welt #56: Der weiße Anzug

DONNERSTAG, 1. JUNI 2017

#Comedy, #Egersdörfer, #Kabarett, #Kolumne

Mein Freund Philipp Moll pflegte sich und seinen Freunden gelegentlich ein selbst erdachtes Motto aufzusagen. Leider bin ich nicht in der Lage, den Wortlaut exakt wiederzugeben und kann deshalb seine Weisung nur ungefähr nachzeichnen. Weitaus lieber wäre mir auch, wenn Philipp an dieser Stelle persönlich Auskunft über seine spezielle Rede geben könnte. Er könnte das bei weitem besser erledigen als ich. Aber er macht es nicht, weil er nicht mehr auf dieser Welt ist.

Ich schreibe diesen Text unter anderem auch, weil ich den Moll vermisse. Der Umstand, über etwas zu Schreiben, was einer gesagt hat, der sich selbst nicht mehr wehren kann, birgt mannigfaltige Gefahren. Vielleicht liegt in der von mir benutzten Bezeichnung „Motto“ auch schon eine unsinnige Überinterpretation seines sprachlichen Bildes vor.

Sinngemäß sprach Philipp von dem Umstand – und dafür gibt es Zeugen, die ich benennen kann –, dass man sich zu gegebener Zeit einmal in einem komplett weißen Anzug von oben bis unten so vollscheißen sollte, so dass die reichhaltige Ausscheidung auch noch aus großer Entfernung deutlich sichtbar wäre. Hätte der Ausführende des Gedankenspiels das Publikum mit seiner Aktion hinlänglich „beeindruckt“, solle er den Ort des Geschehens verlassen, wahlweise mit einem kleineren Moped oder einem Dreirad.

Der Ort der Handlung sollte eine weit gefasste Öffentlichkeit sein. Möglich ist, dass Moll eine Veranstaltung des Kunstbetriebs vor Augen hatte. Plausibel wäre vielleicht auch eine Kirchweih oder eine öffentliche Ehrung. Er könnte aber auch eine politische Versammlung vor Augen gehabt haben, bei der man sich in die eigenen Hosen machte. Bei dieser Geschichte war es sehr wichtig, dass man sich auf keinen Fall im Privaten klammheimlich vollschiss, sondern vor Publikum, das auch von der olfaktorischen Wirkung des Ereignisses erfasst werden sollte.

Der weiße Anzug in dieser Geschichte ist aus zarten Fäden der Poesie gewebt. Trefflich und eindrucksvoll unterstreicht die Farbe des Lichts den feierlichen Anlass und belegt aufrichtig die Ernsthaftigkeit und die Wertschätzung, die man der Veranstaltung entgegenbringt. Zudem strahlten eine weiße Hose, ein blendend weißes Hemd, darüber ein strahlendes Jackett auch eine geradezu naive Reinheit aus. Ich mag mir noch ein seidenes Halstuch dazu denken. Ein reinweißer Gürtel, der die leuchtende Hose hält. Exakte Bügelfalten des Beinkleids zeugen von Durchsetzungskraft und Mut. Doppelgerippt, frisch gewaschen und anschließend heißgemangelt bekleidet die überirdische Unterwäsche unseren männlichen Helden. Weiße, weiche Söckchen umschmeicheln die tapferen Füße in zwei makellosen weißen italienischen Lederschuhen.

In schuldloser Absichtslosigkeit oder aber berechnendem Begehren sehen wir unseren Halbgott Achill, wie er ein Salzknöchla zerteilt und dazu einen Berg Sauerkraut vertilgt, trübes Bier nachgießt und die Mahlzeit anschließend noch mit einem prächtigen Bananensplit und selbstverständlich zwei Tassen feinstem Mocca abrundet, ohne dabei ein Stamperl Kräuterlikör zu vergessen, das einen nachklingenden Akkord ergibt. Dann schaut der Künstler erst einmal langsam und ist glücklich mit sich und der Welt und wenn er dann aufsteht, um sein Werk zu beginnen, rumpelt und pumpelt der Magen die kraftvolle Ouvertüre. So innerlich intensiv bewegt, begibt sich der Heros zum Schauplatz seiner Entäußerung. Er mag sich am Anfang noch wehren gegen die zwangsläufige Wucht der Verdauung. Er räumt die Schutzdeiche der Relativierung oder der ironischen Selbstabsicherung vollständig aus dem Weg. Schließlich gibt er sich ganz der Wirkmacht der Peristaltik hin. In dem Moment, in dem sich der Mensch mit donnerndem Getöse und mächtigem Klang, als schepperten ein Dutzend Kontrabässe, entleert, ergibt der blütenreine, weiße Anzug einen besonderen Sinn, weil er die ausströmende Scheiße nicht verschleiert und verdeckt, sondern im größtmöglichen Farbkontrast für alle Anwesenden deutlich macht.

Der Held des Mollschen Gedankenspiels scheißt sich an im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte vor einer Welt, die ihm so nicht gefällt. Es dürfte dabei nicht nur die Scheinheiligkeit und die Langeweile des Kunstbetriebs gemeint gewesen sein. Der Schiss in den weißen Anzug erfolgt nicht nur aus Gründen der Provokation und als Ausdruck einer grundlegenden Kritik. Die Kunst, das Leben und die Angst und heilige Freude vor beidem mag der Moll damit gemeint haben. Durch die ausführliche Beschreibung, wie man sich öffentlich und deutlich selbst besudelt, sozusagen der GAU der eigenen Peinlichkeit, der einen sonst verstummen und verschwinden lassen möchte, schafft es Moll, einen Bann zu brechen. Gütig reicht Philipp Balthasar Moll uns die Hand und ruft laut und deutlich: Fürchtet Euch nicht!


UND WAS MACHT EGERS SONST NOCH HIER IM JUNI?
Nach dem glamourösen Auftakt im Nürnberger Operhaus mit „Bei Egersdörfer unterm Sofa“ verlässt die Arbeitsbiene des fränkischen Grantlerhumors erstmal die Heimat und bringt ein wundervolles Potpurie der guten Laune mit drei verschiedenen Programmen zu den Artgenossen nach Zürich. Wieder in der Heimat geht es vom Ding her nach Eckental. Wer also das Bühnenprogramm „Vom Ding her!“ noch nicht gesehen hat, sollte es dem Humoristen gleichtun und sich am 23.06. im Eckentaler JUZ einfinden.
Genaueres unter egers.de und immer auf curt.de.




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#Comedy, #Egersdörfer, #Kabarett, #Kolumne

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Was für ein nicht enden wollender Sommer das heuer gewesen ist. Bis in den Oktober hinein wurde ich immer dringlicher gemahnt: Genieße unbedingt den sonnigen Tag heute! Morgen kommt der Herbst, dann ist alles vorbei. Immer wieder habe ich mich in die Sonne gesetzt und habe die Sonne mit aller Kraft genossen bis zur Langeweile, bis zum vollständigen Überdruss. Das kommt daher, dass ich Befehle stets gewissenhaft und verlässlich ausführe. Da kann man sich einhundertprozentig auf mich verlassen. Meine Zuflüsterer taten immer so, als ob das Himmelgestirn im nächsten Moment unwiderbringlich explodieren würde und man sein Leben fürderhin in lammfellgefütterten Rollkragenpullovern, Thermohosen und grob gestrickten Fäustlingen verbringen müsste – in Zimmern, in denen die Heizung unentwegt auf drei gestellt ist. Aber es hat ja nicht aufgehört zu scheinen. Wenn ich an einem Tag genossen und genossen habe, hat der Leuchtkörper sein blödsinniges Leuchten am nächsten Tag keineswegs eingestellt. Die Dummköpfe aber haben es nicht unterlassen, weiterhin ihre Sonnengenussbefehle auf mich auszuschütten. Die Aufforderungen blieben keineswegs aus, sondern steigerten sich zur Unerträglichkeit. Wenn einer endlich einmal sein dummes Maul gehalten hat, dass ich mich unbedingt bestrahlen lassen muss, hat ein anderer damit angefangen, mich aufdringlich aufzufordern, mein Glück unter dem drögen Kauern unter dem aufdringlichen Glanz des leuchtenden Planeten zu finden. Noch Anfang November saß ich voller Wut auf der Straße und habe Kaffee getrunken und gehofft, dass mir die Sonne ein Loch in die Stirn schmort, dass den Schwachköpfen ihr blödsinniges Gerede leidtut und sie mich um Verzeihung bitten müssen. Die Sonne hat immer weitergeschienen wie ein Maschinengewehr, dem die Patronen nicht ausgehen.  >>
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