Dem Egers sei Welt #55: Elektra

FREITAG, 31. MäRZ 2017

#Comedy, #Egersdörfer, #Kabarett, #Kolumne

Ich hatte gute Karten im zweiten Rang der Staatsoper für meine bessere Hälfte und mich besorgt. „Elektra“ wurde gegeben vom Richard Strauss. Den darf man auf keinen Fall verwechseln mit dem Johann Strauss. Johann Strauss ist mehr Kinderkarussell mit Käsekuchen. Richard Strauss dagegen steht für mich mehr für Darmkolik und Auffahrunfall. Die Billetten waren reserviert. Die Frau war schon in der Stadt und ließ sich die Haare ondulieren, um im Opernhaus eine gute Figur abzugeben. Ich bin von Natur aus gutaussehend und war deshalb im trauten Heim geblieben.

Ich hatte mir das so wunderbar vorgestellt und war bestens vorbereitet. Im Vorfeld hatte ich mir einen Tonträger beschafft: „Elektra“ unter dem Dirigat von Karl Böhm, aufgenommen im Jahre 1960 mit der Staatskapelle Dresden. Ich würde ein kleines Schläfchen machen und dann ausgeruht Wasser aufsetzen, während der Dietrich Fischer-Dieskau im Tosen des Orchesters den Orest gäbe und mich sachdienlich für das Ereignis präparieren würde. Ich würde meine Locken kämmen. Anschließend würde ich mit der kochenden Flüssigkeit einen grünen Tee aufbrühen, während die Boxen meiner Stereoanlage schier bersten würden. Wie ein Löschpapier würde ich die Brachialoper daraufhin aufsaugen und wäre anschließend geläutert wie ein heißgewachster 7er BMW.

Das Schläfchen war im Ganzen erquickend und labend und für einen Augenblick fiel ich sogar in den Tiefschlaf. Erquickt sprang ich von der Matratze. Schon sprudelte das Wasser. Die Stereoanlage ballerte los wie eine konzertante Stalinorgel. Die grünen Teeblätter entfalteten sich wie Schmetterlingsflügel. Mit der U-Bahn wollte ich zum Opernhaus fahren. Zum rechtmäßigen Gebrauch des öffentlichen Verkehrsmittels benötigte ich meine Monatskarte. Meine Monatskarte befand sich im Geldbeutel. Wo war eigentlich mein Geldbeutel? Mein Geldbeutel befand sich in meiner Hose. Dort, wo er immer ist. Das war nicht richtig. Der Geldbeutel war gar nicht in meiner Hose! Er war nicht in der Jackentasche und er lag auch weder auf der Ablage im Flur, noch auf dem Küchentisch. Selbst auf dem Spülkasten der Toilette war die Geldbörse nicht aufzufinden. Mir fiel ein, dass mir an Wandertagen meine Mutter immer einen Brustbeutel um den Hals gehängt hatte. Ich hätte das nie ändern sollen. Ich dachte an diese Menschen, die ihre Börse befestigt mit einer silbrigen Kette am Gürtel in der hinteren Gesäßtasche tragen. Mir kam das immer wie ein Fetisch vor, den ich belächelt habe. Ich dachte plötzlich um. Ich würde mein Portemonnaie auch anfesseln, sollte ich es jemals wiederfinden.

Jetzt drängte die Zeit. Ich befand mich noch in Unterhosen. Ich käme zu spät, um die Karten rechtzeitig abzuholen. Ich rief die Frau an. Sie ging nicht hin. Meine Frau führt oft und gern die Erfindung des schnurlosen Telefons ad absurdum. Sie nimmt den Anruf nicht an. Warum? Der Nachbar klopfte von unten an die Decke. Er brüllte lauter als der Dieskau. „Wenn nicht gleich Ruhe ist, rufe ich die Polizei.“ Er klang durch die Zimmerdecke wie ein Bariton. Was sollte ich anziehen? Die graue Hose hatte einen Gulaschsuppenfleck. Ich kleide mich gern unprätentiös. Aber befleckt gehe ich nicht in die Staatsoper. Ich suchte im Schrank, fand die Anzugshose, aber vermisste das passende Oberteil. Wäscht meine Frau nur noch partiell? Ich versuchte sie gleich noch einmal telefonisch zu erreichen. Sie hob ab. Oh Lebensglück! Ob sie die Karten abholen könne, winselte ich. Ein zeitlicher Verzug zwänge mich zu dieser Maßnahme. Ich mochte noch nach dem Verbleib meines Jacketts fragen. „Du sprichst komisch, hast du getrunken“, fragte die Frau. Dann wurde die Verbindung abrupt beendet. Vielleicht wollte die Frau nicht mehr mit mir sprechen.

Mit brauner Hose und blauem Jackett, das mir schon seit zwei Jahren zu eng war, stand ich mit wirren Haaren da. Der grüne Tee schmeckte bitter. Ich rannte aus dem Haus, hetzte zur U-Bahn.

Hasserfüllt und gnadenlos blickte mich die U-Bahn-Uhr an. Ich hatte noch zwölf Minuten bis Vorstellungsbeginn. Ums Arschlecken könnte ich es schaffen. Ich war unfreiwillig Schwarzfahrer und begann sofort zu transpirieren. Sollte ich kontrolliert werden, würde ich die Umstände ohne Umschweife gestehen, redete ich mir ein. Bei meinem Schwager hatte das einmal geklappt nach einem Fußballspiel. Die unpassende Kombination von Hose und Blazer konnte sich dabei vielleicht als hilfreich herausstellen. Endlich kam die Bahn. Ich riss die Tür auf und schoss hinein wie ein Stürmer im Ballbesitz. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis das Gefährt anfuhr. Mir kam es vor, als schleiche sie. Ich versuchte, durch Konzentration die Fahrt zu verschnellern. Bei der Bärenschanze stieg niemand aus. Niemand stieg ein. Fahr endlich weiter, mein Schicksal, flehte ich. Die Zeit verschwand wie eine Tierart, die auf der roten Liste steht. Meine Frau musste die Karten hinterlegen. Es würde sonst zu knapp werden. Ich wollte sie sofort anrufen. Mein Wunsch nach Netz-Empfang war so groß wie der Wunsch eines Rauchers nach einer Zigarette nach einem Zwölf-Stunden-Flug. Ich bemerkte, dass ich mein Handy vergessen hatte. In Gostenhof stieg ein mittelalter Mann ein. Ich fürchtete, es könnte ein Kontrolleur sein. Er setzte sich. Kalter Schweiß stand mir auf der Stirn. Er bleckte die Zähne und zischte: „Starr mich nicht an. Besorg dir lieber einmal ein passendes Oberteil zu deiner Hose.“

Ich kam am Plärrer an. Ich musste umsteigen. Am Nachbargleis stand schon die führerlose U-Bahn zur Oper. Ich rannte. Schon schlossen sich die Türen. Ich versuchte es mit Gewalt. Ein Kind lächelte mich hinter der Scheibe an und fuhr dann winkend weiter. Die Bahn am Plärrer ist so getaktet, dass man es um ein Haar nicht schaffen kann zum Opernhaus umzusteigen. Das haben sich diese sardonischen Verkehrsverbündler fein ausgedacht. Wahrscheinlich hat der VGN-Chef eine Direktschaltung zu einer Kamera an der Plärrer-Haltestelle. Und während er auf seinem Bildschirm die verzweifelten Versuche der Reisenden beobachtet, die chancenlos versuchen die Bahn zu erreichen, onaniert er dazu ausgiebig.

Jetzt begann die Vorstellung. Harndrang setzte ein. Ich tänzelte in kleinen Schritten am Bahnsteig. Elektra beklagte sich schon über den Mord an ihrem Vater. Die Mägde ereiferten sich. Ich überlegte, ob ich am Plärrer auf die Schienen pissen sollte. Dann würde ich gefilmt und der VGN-Chef würde das Sondereinsatzkommando alarmieren. Obendrein hatte ich keine Fahrkarte. Ich sah schon meinen nächsten Wohnsitz in der Mannertstraße. Meine Frau würde mir in der Besuchszeit eine braune Jacke mitbringen und sagen:„So unpassend kann man doch nicht im Gefängnis herumlaufen. Das fällt ja alles auf mich zurück.“

Die Bahn kam. Die Adern auf meiner Stirn waren schon hervorgetreten und pochten, als wollten sie platzen. U-Bahnstation Opernhaus. Ich rannte über den Bahnsteig. Rannte wie ein Wiesel im engen Jacket. Meine Frau war nicht im Entree. Ich hastete zum Kartenvorverkauf und fragte nach meiner Karte. Die Frau lachte wie die Katze aus Alice im Wunderland. Sie würde mich aus dem Fernsehen kennen. Beim letzten Tatort wäre sie nach einer viertel Stunde eingeschlafen. Sie fragte mich, warum der Hauptkomissar kein Franke sei. Ob es wohl keine fränkischen Schauspieler gäbe. Ich fragte nach meiner Karte. Sie sagte, die sei schon abgeholt worden. Die Vorstellung habe schon begonnen.

Mir war nach innerlichem Zerreißen zumute. Ein Mann am Eingang in Livree rief, ob ich Matthias Egersdörfer wäre. Er hätte eine Karte für mich. Er schaute mich an wie ein freundlicher Henker. Ich rannte den Rang hinauf. Wo ist rechts, wo ist links? Der vermeintlich rechte Rang stellte sich als linker heraus. Ich wechselte die Richtung. Ich stand im Saal. Menschen drehten sich um, als wüssten sie, dass ich ein Schwarzfahrer bin. Ich zwängte mich durch die Sitzreihe. Waren es alle ausnahmslos Schneider und Schneiderinnen? Schwarz und blau trägt die Sau, dachten sie und verachteten mich. Endlich saß ich neben meiner Frau. Sie lächelte mich an, als gäbe es bei Aldi weißen Trüffel. „Du bist ein bisschen spät. Es hat schon angefangen“, sagte sie genüsslich. Elektra rief bereits mit Innbrunst den toten Vater an. Das Orchester war auf 180. Ich zwängte mich mühevoll aus dem Jacket.

Mein Schweißgeruch mischte sich mit dem Gebrüll der halbwaisen Elektra und dem Dauerdonner und Blitzhagel des Orchesters. Crysothemis warnte Elektra, dass sie in einen Turm eingesperrt werden soll. Jetzt würde gleich Blut spritzen. Gesang und Musik unterstützen den Eindruck. Wo hatte ich meinen Geldbeutel zuletzt? Ich habe am Vormittag das Auto gesaugt an der Tankstelle. Da brauchte ich Münzen. Vielleicht lag meine Börse auf dem Saugkasten. Klytämnestra träumte schlecht. Richard Strauss ist der ideale Mann, um schlechte Täume zu vertonen. Vielleicht hat nach mir ein Terrorattentäter seinen Bombenbus gesaugt. Er griff meine Börse, lädt jetzt schon das Geld von meinem Konto und finanziert damit das nächste Attentat. Mein vermeintliches Verlieren des Geldbeutels würde mir als geheime Übergabe ausgelegt. Eine erkennungsdienstliche Behandlung meiner Person wäre unausweichlich.

Klytämnestra bat Elektra, ihr ein Mittel gegen ungute Träume zu sagen. Elektra schrie ihr ins Gesicht, dass der eigene Tod ein probates Mittel wäre. Ich musste dringend pissen. Mein Hals war trocken. Elektra hatte keine Pause. Dann hieß es, der Bruder Orest wäre tot. Dann lebt er aber doch und soll die Vatermörder mit dem Beil hinrichten. Flugs verschlupft sich das Selbige. Zum Schluss gab es aber doch noch einen sauberen Todesstoß. Elektra brach in einem Freudentanz aus.

Mein Geldbeutel lag auf dem Fensterbrett. Ich musste in Gedanken gewesen sein, als ich den dort hinlegte. Der Geldbeutel ist eigentlich immer in der Gesäßtasche meiner Hose.


UND WAS MACHT EGERS SONST NOCH HIER IM APRIL?
Am 09.04. wird Herr Egersdörfer einmal mehr dazu beitragen, dass die Aufklärungsquote beim TATORT nahezu bei 100% liegt. Am Dienstag, 11.04., wird er wieder den charmanten Grandsigneur bei Egersdörfer und Artverwandte im Nürnberger Künstlerhaus (KuKuQu) mimen und unter anderem Michi Sailer, Lilly Urbat und Claudia Holzinger als Gäste begrüßen. Was hier so gut funktioniert, kann exakt eine Woche später (18.04.) bei EGERS CALLING im Erlanger E-Werk nur noch besser werden, neben der „Hausband“ Kapelle Rohrfrei sind Heinrich Hartl, Die Suicides und Nun Flog Dr. Bert Rabe dabei. Wem das noch nicht genug vom Egers war, dem singt er auch ein paar Lieder mit FAST ZU FÜRTH: Am 19.04. im Kunst- und Kurhaus Katana e.V. sowie am 20.04. im Kunstverein (Z-Bau).
Genaueres unter www.egers.de und immer auf www.curt.de.




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Was für ein nicht enden wollender Sommer das heuer gewesen ist. Bis in den Oktober hinein wurde ich immer dringlicher gemahnt: Genieße unbedingt den sonnigen Tag heute! Morgen kommt der Herbst, dann ist alles vorbei. Immer wieder habe ich mich in die Sonne gesetzt und habe die Sonne mit aller Kraft genossen bis zur Langeweile, bis zum vollständigen Überdruss. Das kommt daher, dass ich Befehle stets gewissenhaft und verlässlich ausführe. Da kann man sich einhundertprozentig auf mich verlassen. Meine Zuflüsterer taten immer so, als ob das Himmelgestirn im nächsten Moment unwiderbringlich explodieren würde und man sein Leben fürderhin in lammfellgefütterten Rollkragenpullovern, Thermohosen und grob gestrickten Fäustlingen verbringen müsste – in Zimmern, in denen die Heizung unentwegt auf drei gestellt ist. Aber es hat ja nicht aufgehört zu scheinen. Wenn ich an einem Tag genossen und genossen habe, hat der Leuchtkörper sein blödsinniges Leuchten am nächsten Tag keineswegs eingestellt. Die Dummköpfe aber haben es nicht unterlassen, weiterhin ihre Sonnengenussbefehle auf mich auszuschütten. Die Aufforderungen blieben keineswegs aus, sondern steigerten sich zur Unerträglichkeit. Wenn einer endlich einmal sein dummes Maul gehalten hat, dass ich mich unbedingt bestrahlen lassen muss, hat ein anderer damit angefangen, mich aufdringlich aufzufordern, mein Glück unter dem drögen Kauern unter dem aufdringlichen Glanz des leuchtenden Planeten zu finden. Noch Anfang November saß ich voller Wut auf der Straße und habe Kaffee getrunken und gehofft, dass mir die Sonne ein Loch in die Stirn schmort, dass den Schwachköpfen ihr blödsinniges Gerede leidtut und sie mich um Verzeihung bitten müssen. Die Sonne hat immer weitergeschienen wie ein Maschinengewehr, dem die Patronen nicht ausgehen.  >>
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