Dem Egers sei Welt #54: Gunter Gabriel

FREITAG, 24. FEBRUAR 2017

#Comedy, #Egersdörfer, #Kabarett, #Kolumne

Es passierte im letzten Herbst. Ich wollte mit einem Freund ein paar Tage auf eine dänische Insel fahren. Vorher verbrachte ich noch drei Tage in Hamburg. Ich hatte eine  Karte für Rossini in der Staatsoper. Am Vormittag lief ich von Altona nach Teufelsbrück. Auf dem Anleger in Teufelsbrück trank ich in dem feinen Restaurant ein Glas Weißwein. Die Elbe schaukelte das Restaurant, und der Weißwein schaukelte dazu noch ein wenig meine Gedanken. Dann fuhr ich mit dem Schiff zurück nach St. Pauli zu den Landungsbrücken.

Dort angekommen rief mich Philipp Molls Schwester an. „Große Scheiße“, sagte sie, dann war das Telefonat beendet. Drei Minuten später rief sie wieder an. Sie hätte das CT von Philipp bekommen. Das Großhirn wäre stark geschädigt, oder so ähnlich. Ich fragte sie, ob es noch Hoffnung gebe. Sie antwortete: „Nein“. Ich fuhr mit der S-Bahn zu meiner Bleibe am Rand von Hamburg. Auf der Fahrt bemerkte ich, dass der Rossini in der Staatsoper heute ohne mich stattfinden müsste. Drei Stationen später wusste ich auch, dass ich nicht nach Dänemark, sondern nach Hause fahren würde. Den letzten Zug nach Nürnberg hatte ich verpasst.

Ich fuhr am nächsten Vormittag zurück. Alles ging sehr langsam. Aber ich wusste, was ich zu tun hatte, was wichtig und was unwichtig war. Um 12 Uhr kam ich am Hamburger Hauptbahnhof an. Mein Zug fuhr in einer halben Stunde. Ich trank zwei großzügig eingeschenkte Gläser Grauburgunder schnell und konzentriert, zahlte und lief dann wie auf Watte zum Zug. Der Zug war sehr voll. Ich war leicht und lief mit sanften Drehungen zur Seite direkt zum Bordrestaurant. Noch bevor der Zug losfuhr, hatte ich ein kleines Fläschchen Weißwein vor mir auf dem Tisch stehen. Mir ging immer wieder das kurze Gespräch mit der Molls Schwester durch den Kopf. Das konnte selbst das inzwischen vierte Glas Weißwein nicht verhindern. „Gibt es noch Hoffnung?“ – „Nein“. Und was ist mit Wundern? Besteht vielleicht noch Hoffnung auf ein Wunder?

In Hamburg Harburg kam dann, nein, besser: erschien dann ein baumlanger Hüne im Zugrestaurant. Der Mann war Gunter Gabriel, und er setzte sich vor mir zu einem jungen Mann an einen großen Tisch. Sofort begann er ein Gespräch und weil der junge Mann ihn nicht kannte, erzählte er ihm sein Leben so laut und deutlich, dass selbst ich nach meinen inzwischen fünften Glas Weißwein alles mitbekam. In kürzester Zeit bestimmte Herr Gabriel den gesamten Waggon. Es war, als wäre plötzlich eine Sonne in einer wirren Planetenkonstellation aufgetaucht und jetzt würde sich alles neu an ihr ausrichten. Menschen klopften Gabriel auf die Schulter und er klopfte ihnen auf die Schulter, während er sein Leben ausbreitete und dazu noch ein großes Buch aufschlug. Es handelte sich um eine Art Tagebuch, in das er schrieb und Fundstücke einklebte und in dem er bei seiner umfassenden Lebensschau anschaulich blätterte. Er füllte den gesamten Raum aus mit seiner Stimme und seiner Geschichte, und er sprach mit Menschen, die an seinem Tisch stehen blieben und dieses große üppige Gemälde weiter ausmalten und vervollständigten. Er öffnete mit einem Lachen seine Brust und ließ einen jeden in sein Herz schauen, als wäre es das einfachste der Welt.

Irgendwann auf der Fahrt verabschiedete sich sein Tischnachbar und Gunter Gabriel setzte sich zu mir. Ich hatte ihm vorher schon nonverbal zu verstehen gegeben, dass ich wüsste, wer Gunter Gabriel war, und dass er bei mir nicht bei 0 anfangen müsse in seinen Ausführungen. Er fragte kurz, wohin ich fahren würde und ich antwortete, ich würde nach Hause fahren, mein bester Freund liege im Sterben. Er bedauerte das und erzählte mir dann weiter von seinem Leben: von seinem Sohn und seinen Töchtern, den Weibern und Johnny Cash und dem Geld. Und dass er neulich erst von seinem Hausboot gefallen und dabei fast ertrunken wäre. Wie ein gutmütiger Tornado erzählte der Mann, und am Schluss unterschrieb er mir eine Autogrammkarte und schenkte mir eine CD von sich.

Daheim angekommen erzählte ich meinen Freundinnen und Freunden von der Begegnung und eine meinte, dass sähe dem Moll ähnlich. Der würde jetzt an den entsprechenden Schalthebeln sitzen, wo sich solche Zusammentreffen steuern ließen. „Ohnehin ist das ja ziemlich logisch und deutlich“, meinte ein anderer. „Allein der Nachname: Gabriel. Erzengel Gabriel. Klare Sache.“


UND WAS MACHT EGERS SONST NOCH IM MÄRZ?
Im März bringen Matthias Egersdörfer und Kollege Martin Puntigam die ERLÖSUNG nach Deutschland, Österreich und Italien. Am 11. März sind die Beiden mit ihrem Programm “ERLÖSUNG” in der Cömidie Fürth. 
Entgegen ersten Befürchtungen findet die beliebte Reihe EGERSDÖRFER UND ARTVERWANDTE im März nun doch statt. Diesmal aber nicht wie gewohnt im KunstKulturQuartier, sondern am 14. März in der Galerie Bernsteinzimmer. Mit dabei Karin Rabhansl ( karinrabhansl.de), Gymmick ( gymmick.de), Carmen (Claudia Schulz), Ahmet Iscitürk (texteatme.com), Bird Berlin. Beginn: 20.00 Uhr, Einlass: 19.00 Uhr, Eintritt: 12,- Euro. Reservierungen unter: Diese E-Mail Adresse ist gegen Spam Bots geschützt, du musst Javascript aktivieren, damit du sie sehen kannst

 

www.egers.de
 




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#Comedy, #Egersdörfer, #Kabarett, #Kolumne

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Was für ein nicht enden wollender Sommer das heuer gewesen ist. Bis in den Oktober hinein wurde ich immer dringlicher gemahnt: Genieße unbedingt den sonnigen Tag heute! Morgen kommt der Herbst, dann ist alles vorbei. Immer wieder habe ich mich in die Sonne gesetzt und habe die Sonne mit aller Kraft genossen bis zur Langeweile, bis zum vollständigen Überdruss. Das kommt daher, dass ich Befehle stets gewissenhaft und verlässlich ausführe. Da kann man sich einhundertprozentig auf mich verlassen. Meine Zuflüsterer taten immer so, als ob das Himmelgestirn im nächsten Moment unwiderbringlich explodieren würde und man sein Leben fürderhin in lammfellgefütterten Rollkragenpullovern, Thermohosen und grob gestrickten Fäustlingen verbringen müsste – in Zimmern, in denen die Heizung unentwegt auf drei gestellt ist. Aber es hat ja nicht aufgehört zu scheinen. Wenn ich an einem Tag genossen und genossen habe, hat der Leuchtkörper sein blödsinniges Leuchten am nächsten Tag keineswegs eingestellt. Die Dummköpfe aber haben es nicht unterlassen, weiterhin ihre Sonnengenussbefehle auf mich auszuschütten. Die Aufforderungen blieben keineswegs aus, sondern steigerten sich zur Unerträglichkeit. Wenn einer endlich einmal sein dummes Maul gehalten hat, dass ich mich unbedingt bestrahlen lassen muss, hat ein anderer damit angefangen, mich aufdringlich aufzufordern, mein Glück unter dem drögen Kauern unter dem aufdringlichen Glanz des leuchtenden Planeten zu finden. Noch Anfang November saß ich voller Wut auf der Straße und habe Kaffee getrunken und gehofft, dass mir die Sonne ein Loch in die Stirn schmort, dass den Schwachköpfen ihr blödsinniges Gerede leidtut und sie mich um Verzeihung bitten müssen. Die Sonne hat immer weitergeschienen wie ein Maschinengewehr, dem die Patronen nicht ausgehen.  >>
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