Zombie Sessions

Zombie Sessions – eine fein abgestimmte Absage an die musikalische Oberflächlichkeit

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„At first the art of music sought purity, limpidity and sweetness of sound. Then different sounds were amalgamated, care being taken, however, to caress the ear with gentle harmonies. Today music, as it becomes continually more complicated, strives to amalgamate the most dissonant, strange and harsh sounds. In this way we come ever closer to noise-sound.“

Luigi Russolo „The Art of Noises” (1913)

Es ist schwierig zu sagen, ob der italienische Maler und Komponist Russolo am Anfang des letzten Jahrhunderts von dem sprach, was sich uns heute, den Konzertgängern der Neuzeit, vor und auf den Bühnen der Welt, Nacht für Nacht noch darbietet. Mehrheitlich regiert die musikalische Oberflächlichkeit in den Spielplänen der Münchner Venues, während interessante Bookings, bestehend aus Bands, die sich nach aktiven Zuhörern, ja gar nach den Jacques Cousteaus des Sounds sehnen, ins Off verbannt werden. Der Mainstream macht der Nische den Garaus. Satter Ticketverkauf über alles.

Und auch wenn es keines Studiums der Wirtschaftswissenschaften bedarf, um die Lage der hiesigen Promoter zu verstehen, so mangelt es der Szene dennoch arg an Akteuren, die ein Ventil für ein wenig Extravaganz bieten. Doch auch hier gilt das alte Motto: Wer sucht, der findet. Und so bietet eine Veranstaltungsreihe unter dem nom de guerre der Zombie Sessions einmal im Monat tief unten im Keller des Feierwerks, dem Sunny Red, die so bitter nötige Abhilfe. Seit nun fast drei Jahren stehen die Sessions für eine fein abgestimmte Absage an die musikalische Oberflächlichkeit.

Es fuzzt, es kratzt, riecht nach Keller, schmeckt nach Spezi oder Bier und bietet all denen, die sich dem  Modergeruch des Proberaums entziehen wollen, eine Bühne für ausgeklügelte Sets oder hanebüchene Experimente. Aber auch all jene, die den Tauchgang in neue Klang­welten, Stile und Genres wagen, und sich aktiv mit dem Sound auseinandersetzen wollen, kriegen ihre CO2-Flasche umgeschnallt. Das wechselnde Ensemble an Performenden speist sich vor allem aus dem Fahrwasser des Noise. So geben sich neben Verfechtern des StonerRocks auch Kollegen aus dem (Post-)Punk oder dem Hard­core-Genre das Mikrofon in die Hand.  Die kleine Bühne des mit Graffiti und Stickern gepflasterten Sunnys liefert zusätzlich ausreichend Platz für Spielereien in der elektronischen Musik von Ambient bis ohren­­be­täubenden Lärm, gerne unter­malt mit den feinsten Visuals experi-
mentierfreu­diger VJs.

Ein jeder dieser Schaukämpfe, von denen bis dato 24 Runden aus-getragen wurden, ist abgefahren, unvorhersehbar und vor allem eines: musikalisch höchst spannend. Speerspitze des Ganzen ist dabei die Münchner Band „P H I“, deren Mitglieder Vince (Vocals), Phine (Drums), Philipp (Gitarre) und Eric (Bass) die Sessions zunächst als Möglichkeit, sich selbst und befreundeten Bands einen Spielort zu sichern, aus dem Bad der Ideen hievten. Mit ihrem eigenen Sound zwischen Grunge und Stoner stehen sie sinnbildlich für das Timbre jener Nächte, die sie mit Leidenschaft und Weitblick organisieren.

Offenheit, das fordern Phine und Philipp während unseres gemein­samen Bierchens im Backstage-Bereich, während wir über ihr Herzensprojekt sinnieren. Eine Einladung, sich mit Nischen-Genres zu beschäftigen, das versprechen die Zombie Sessions jedem, der bereit ist, die Gitterstäbe aus dem Kopf zu nehmen. Während regionale Helden, Freunde aus der Umgebung oder vereinzelt aus allen Ecken Europas das Publikum in Soundgewitter schicken, ist man hier kein Punk und auch kein Metaller. Die Sessions richten sich an musikalische Kosmopoliten und kriechen in die Ohrmuscheln auraler Fernfahrer, die nicht nur ein einziges Genre zulassen.

Do-it-your-self und Non-Profit, das sind die Eckpfeiler, auf denen die Zombie Sessions ihr Dach gebaut haben. Flyer, Werbung und Booking sowie der kaum erwähnenswerte Eintritt stehen für eine Atmosphäre ohne Schnörkel und Schi Schi. Die Grundangst, kommerziell zu werden, so Philip, legt eine sympathische Decke über die Kernidee der Konzert­nächte. Veganes Essen aus dem Freundeskreis erdet das Ganze zudem und macht die familiäre Atmosphäre perfekt.

Zombie Sessions

Es gibt nur wenige Orte, nur wenige Zufluchtspunkte, an denen dieser gelebte Idealismus bestehen kann. Ein Get-together Gleichgesinnter, die sich über ihre große Leidenschaft austauschen: ehrliche (laute) Musik. Bei den Zombie Sessions finden sie alle ihre auditive Erfüllung. Der Kurt Cobain an der Bar, der moshende Punk mit mehr Spikes als Verstand, der grimmige Doom-Metaller in der schwarzen Kutte und das Blumen-Mädchen, das nie von Woodstock wiedergekehrt zu sein scheint. Sie alle kommen und gehen mit einem Lächeln, wohlwissend, dass ihnen nur die Zombie-Session-Bands wie „Suddenly the Goat“, „Braindead Wavelength“ oder die hauseigenen „P H I“ diese einzigartige Kombination präsentieren.

Und so setzen sich die Jungs und Mädels vor allem ein Ziel, nämlich das Publikum auf musikalische Entdeckungstour zu schicken, Barrieren in den Ohren und Köpfen niederzureißen und sich der gesamten Klaviatur des Noise-Sounds zu öffnen. Auch wenn es nur für einen Freitag im Monat ist. Die Zombie Sessions, so wünscht man es sich, als Garant für musikalische Erfahrungen, die einen rar gewordenen Blick auf die Vielfalt von härterer Musik freigeben.

Früher ein Geheimtipp und verbannt auf Werk- und Sonntage, ziehen die Zombie Sessions jeden Monat immer freitags Stück für Stück immer mehr Jünger in die Experimentier-Enklave des Sunny Red.
Wer „P H I“ und ihre Partner in Crime auf der Mission, das 08/15 aus Münchens Musik-Szene zu fegen, unterstützen will, der hebe entschlossen die Pommesgabel via Facebook oder per E-Mail und setze sich ein für ein bisschen mehr Farbe. In der Musik. In München. Im Ohr.

Nächste Zombie Session: 2. September im Feierwerk, Sunny Red.
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Dieser Artikel ist unserer curt Ausgabe #84 erschienen. #sommerausgabe #freistil
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Text: Tim Brügmann // Opener Illu: Sophie Neudecker // Foto: Zombie Sessions