The Picturebooks Early Years
The Picturebooks Early Years

Im Gespräch: The Picturebooks – The Early Years

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One step back, many steps forward!

 

Ein Blick in den Rückspiegel, ein Blick über die Schulter und dann rausziehen. The Picturebooks aus Gütersloh kennen nur eine Richtung. Und die zeigt nach vorne.

Seit uns 2014 ihr Album Imaginary Horse den Wüstenstand in die Augen getreten hat, sind Fynn und Philipp von The Picturebooks aus der hiesigen Desert-Rock-Szene nicht mehr wegzudenken. Was zunächst noch vor kleinerem Publikum stattfand, das trugen die beiden Jungs mit den langen Bärten auf ihren Chromstühlen schon bald in die ganze Welt. Los Angeles als zweites Zuhause auserkoren und dennoch fest in deutschen Landen verwurzelt, schlägt ihre Mischung aus reduziertem Heavy-Blues, Tribal-Drums und einer Menge Ehrgeiz hohe Wellen. Was nicht zuletzt auch ihrem gnadenlosen Tournee-Kalender und ihrer Rastlosigkeit geschuldet ist.

Doch jede große Story hat ihre Vorgeschichte und so legen The Picturebooks eine kurze Rast ein und blicken zurück. Auf The Early Years lässt das Duo seine Anfänge noch einmal Revue passieren. Denn bevor sie mit der Harley die endlosen Highways schmückten, zierten sie noch mit Tim Bohlmann am Bass Zeitungscover von unclesally*s bis hin zum NME und galten als Geheimtipp der Garage-Rock-Szene. Zeugnis dieser Zeit des Sporen-Verdienens sind die Kampfansagen List of People to Kill (2009) und Artifical Tears (2010). Beide Alben erscheinen nun als aufwendig gestaltete Doppel-LP über Noisolution erstmalig auf Vinyl.

Wie The Early Years die Band geprägt haben und wie The Picturebooks diese Übergangsphase aus heutiger Sicht betrachten, haben uns Fynn und Philipp bei einer gemütlichen Runde FaceTime verraten. Außerdem sprachen wir darüber, wie sie die aufkeimende Pandemie inmitten einer laufenden Tour erlebt haben und worauf wir uns nach ihrem Stubenarrest im nächsten Jahr freuen dürfen.

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Jungs, ein bisschen fühlt sich der Release von The Early Years an wie ein Jubiläum und tatsächlich sind 11 Jahre seit List of People to Kill vergangen. Wie war es, die alte Zeit nochmal Revue passieren zu lassen? Was waren eure Gedanken dabei, eure ersten beiden Alben als Trio noch einmal zu veröffentlichen?

Fynn: Es war schon immer eine Idee, die wir alle hatten. Vermutlich haben wir mal bei einem süßen Umtrunk in die Sachen reingehört und gemerkt, wie cool das alles war. Die ganzen Flashbacks, vor allem aber auch was wir in dieser Zeit gelernt haben. Auf der anderen Seite waren wir damals mit The Picturebooks in einer Musikwelt unterwegs, in der Vinyl einfach keine Frage war. Das war eine ganz kleine Szene und sogar Arne von Noisolution wollte das damals partout nicht machen. Wobei gerade Noisolution heutzutage als großartiges Vinyl-Label bekannt ist.

Witzig, denn nicht zuletzt erscheint The Early Years bei Noisolution auch als streng limitierte „Club 100“ Edition.

Fynn: Ja sowas wollte damals einfach keiner. Deswegen war es für uns wichtig, die Alben jetzt endlich auch auf Vinyl zu veröffentlichen. Zum anderen sind wir auf ein paar unveröffentlichte Songs gestoßen, aber auch auf ein ganzes Musikvideo, das wir damals in den Staaten gedreht hatten. Nur befanden wir uns damals mit unserem Bassisten Tim an einer Schneise, bei der wir uns in gegensätzliche Richtungen entwickelt haben.

Wenn man sich den Song KillHer anhört und auch das Video betrachtet, fühlt sich das schon sehr wie der Missing Link zwischen euren beiden Inkarnationen an.

Fynn: Total! Wir fanden es super interessant, dass man diesen Schritt so deutlich sehen kann. Und auch dass Tim versucht hat, diesen Schritt ein Stück weit mitzugehen, aber kurz danach die Band verlassen hat.

Habt ihr im Zuge von The Early Years diese Übergangsphase noch einmal selbst reflektiert? Eventuell auch mit Tim zusammen?

Philipp: Es war ja damals relativ schnell klar. Wir waren ununterbrochen im Studio und hatten schon einiges in Petto, sodass wir nach Tims Weggang nicht von vorne anfangen mussten. Im Prinzip hätte er auch bei einigen Songs auf Imaginary Horse einsteigen können, obwohl wir da schon sehr viel rumexperimentiert hatten. Aber erst als Tim ging, hat sich herauskristallisiert, worauf wir nicht mehr Bock hatten und diese Richtung haben wir weiterverfolgt.

Fynn: So eine Trennung hat ja immer etwas Schmerzliches. Und so hat es bei uns auch erstmal einen Schock gegeben, da Philipp und ich sehr traurig waren und nicht wussten, was als Nächstes passieren wird. Das hat sich aber sehr schnell in Benzin umgewandelt und wir haben den Kopf einfach aus dem Sand gezogen und gesagt: „Let’s go!“

Philipp: Der USA-Aufenthalt bei dem wir das Video zu „KillHer“ gedreht hatten, war schon ein erstes Vorzeichen. Wir wussten, dass wir dorthin gehören, nur Tim hat diesen Anschluss damals nicht gefunden, in dieser speziellen Welt, dem Motorradfahren und allem. Für sich selbst hat er sich ein anderes Leben gewünscht.

Fynn: Wobei man dazu sagen muss, dass wir unsere beste Freundschaft erhalten haben und uns fast täglich sehen, wenn wir zuhause sind. Wir lieben uns bis heute, lachend und weinend. Und das stand und steht bei The Picturebooks weiterhin an erster Stelle. Es musste einfach sein, damit wir heute so frei und positiv darüber sprechen können. Tim hat damals einen Top-Job gemacht, das muss man einfach sagen. Heute gucken wir zurück und haben unglaublich viele positive Erinnerungen an diese Zeit.

Wir sehen das wirklich als eine ganz andere Band an. Philipp und ich spielen diese Songs aus Respekt und Ehrfurcht vor dieser Zeit nicht mehr.

 

Eine Frage, die vermutlich langsam nervt, ist sicher die nach den alten Songs. Diese spielt ihr ja gar nicht mehr live. Dazu hattet ihr mir einmal erklärt, dass sie mit zu vielen persönlichen Dingen behaftet sind. Hat sich das mittlerweile geändert?

Fynn: Wir sehen das wirklich als eine ganz andere Band an. Philipp und ich spielen diese Songs aus Respekt und Ehrfurcht vor dieser Zeit nicht mehr. Den Namen The Picturebooks haben wir behalten, weil wir uns dennoch so verbunden gefühlt haben. Im Nachhinein hätten wir die Band vermutlich umbenennen müssen, um Missverständnisse zu vermeiden.

Auf der anderen Seite sind Bands wie die Beatles auch durch verschiedene Phasen gegangen.

Fynn: Auch das, ja. Wir sehen das, was auf The Early Years zu hören ist, einfach als ein ganz anderes Projekt an. Diese Zeit hat dennoch ihren enormen Stellenwert, aber wir sind weitergegangen. Der Schritt zu Imaginary Horse war auch keine Laune, sondern eine Notwendigkeit, der wir treu sein mussten. Wir hatten eine tolle Zeit, aber man geht auch nicht mit seiner Ex-Freundin ins Bett, wenn man glücklich verheiratet ist, oder? (lacht)

Ein schöner Vergleich. Nein, da gibt es Prinzipien.

Fynn: Du verstehst was ich meine. Aber ja, das ist der Gangbang, den wir gerade in Absprache mit unserer Ehefrau am Laufen haben. Insofern können wir jetzt ohne Reue in diesem Swinger-Club Spaß haben. (lacht)

Dann ist diese Frage doch ein für alle Mal in aller Blumigkeit geklärt. Wer sich Artificial Tears und List of People to Kill anhört, muss sich aber die Frage stellen, warum das damals nicht durch die Decke ging.

Fynn: Unsere Touren waren quasi leer. Da war niemand. Wir waren auf NME und MTV in heavy rotation, auf sehr vielen Covern, wir haben Support für Millencolin oder Spinnerette gespielt. Aber was hat gefehlt? Es braucht wohl doch verdammt viel Glück und einen langen Atem, bis es zum Rollen kommt. Ich bin extrem stolz auf das, was wir gemacht haben. Ich bin Fan von Philipp, Tim und mir in diesem jungen Alter. List of People to Kill war damals eine absolute Kampfansage. Ohne Hater hätten wir das Album nie gemacht. Manchmal wünsche ich mir diese Eier wieder zurück, um einfach so kompromisslos zu sein. Insofern haben uns The Early Years nochmal inspiriert, einfach nicht nach links und rechts zu gucken. Dieser Rückblick hat mir für unsere jetzige Musik viel gebracht.

Interessant wird es sein, zu sehen, wie eure neuen  internationalen Fans auf das alte Material reagieren.

Fynn: Das wird spannend. Für die ist das ein ganz neues Release. Wir werden sehen, wie die Reaktionen ausfallen.

Apropos neuer Release. Lasst uns doch wieder in die Zukunft blicken, auch wenn die momentan etwas stillzustehen scheint. Was macht eine Band wie The Picturebooks, die so viel unterwegs ist, wenn all das wegbricht?

Fynn: Das war verrückt. Wir waren ja mit Steve Harris (Iron Maiden) auf Tour und hatten ein paar eigene Shows in Amerika. Da haben wir die ersten Nachrichten mitbekommen. Aber der Virus war zu der Zeit einfach noch nicht in Amerika. Nur am Flughafen in New York haben wir Bilder in den Nachrichten gesehen, die man eigentlich nur aus Filmen kennt. In Europa war die Lage dann natürlich noch viel heftiger, aber unsere Tour in England konnten wir erst einmal starten und hatten die besten Shows.

Philipp: Bis Newcastle…

Fynn: Genau, da saßen wir in der Lobby und es war wirklich wie bei Resident Evil. Die haben die Grenzen geschlossen und wir sind auf einer verdammten Insel, samt Brexit. Über die Nacht sind wir sofort nachhause gefahren und bekamen etliche Nachrichten von unseren Partnern und Bookern. Da war uns klar, dass wir uns erstmal in Quarantäne begeben mussten.

Philipp: Wir haben aber schnell gemerkt, dass wir ein Haushalt sind und ein Studio haben. Also hey, uns kann keiner was! (lacht) Seitdem ackern wir jeden Tag im Studio und haben mehr zu tun, als sonst.

Fynn: Wir arbeiten an vier Projekten gleichzeitig und sind sehr busy. Wir vermissen aber natürlich das Reisen und die Bühne. Aber so ist es nun mal.

Es braucht erst eine Pandemie um uns zu stoppen.

 

War der Lockdown für euch dann auch etwas therapeutisch? Ihr seid ja so gut wie nie zuhause.

Philipp: Für ne Woche, ja… (lacht)

Fynn: Wir waren wirklich lange nicht mehr so viele Tage am Stück zuhause. Ich hatte schon Schiss vor der Situation, aber es ist schön zu merken, dass man in einem schönen Zuhause lebt und wir haben die Zeit gut wegstecken können. Wie sagte mein Vater? Es braucht erst eine Pandemie um uns zu stoppen. (lacht)

Ihr hattet nicht zuletzt auch eine große Arena-Tour mit Volbeat und Clutch geplant…

Fynn: Alles! Hotels, Flüge, etc. Das sind alles Sachen, an die denkt nicht jeder. Es ist enorm, auf was wir liegen bleiben und die Hilfen, die kamen, sind auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Unsere Selbständigkeit lässt uns auch nur leben, wenn wir kontinuierlich auf Tour sind und Content haben. Das ist schon krass gerade, aber wir freuen uns über unsere treuen Fans. Anderen Bands geht es da bedeutend schlechter.

Ihr sprecht von gleich mehreren Projekten, die ihr in der Pipeline habt. Erst im Sommer ward ihr kurz in Schweden und habt unter anderem mit Dennis Lyxzen und den Blues Pills recorded. Könnt ihr da schon etwas verraten?

Fynn: Wir arbeiten auf jeden Fall an einem sehr coolen Projekt, das definitiv von dieser Pandemie inspiriert ist und auch davon lebt. Das wird nächstes Jahr rauskommen, aber da sprechen wir gerne nochmal mit dir, wenn es soweit ist. Das wird sehr cool und es macht sehr viel Spaß daran zu arbeiten.

Philipp: Natürlich nehmen wir mit der Zeit, die wir haben nicht nur ein neues The Picturebooks Album auf, sondern gleich zwei. Ansonsten haben wir noch ein paar andere Dinge angefangen, aber da wollen wir unser Karma jetzt nicht auf die Probe stellen.

Spätestens seit eurem letzten Album Hands of Time seid ihr, was euren Sound angeht, offener geworden. Es gab erstmals Gäste, aber auch einige unkonventionelle Instrumente zu hören. Wie groß ist der Drang, auch im Hinblick auf eure anderen Projekte, aus dem gewohnten Soundkorsett auszubrechen?

Fynn: Das Auskundschaften und die Suche sind definitiv die Natur der Band. Ob das jetzt von unseren Motorrädern oder den Skateboards ausgeht, für uns ist das Neue immer Teil des kreativen Prozesses. Gerne können die Dinge aber auch aus der Kunst oder der Natur kommen. Ich denke, wenn dieser Brunnen mal ausgeschöpft ist, sollte man auch aufhören. Malen nach Zahlen war nie unser Ding. Dementsprechend sind wir weiterhin offen für die Zusammenarbeit mit anderen kreativen Köpfen. Da sind wir in Gütersloh eher an der falschen Adresse, aber in L.A. ist das ein anderes Thema.

Philipp: Das macht es auch so besonders für uns. Das fern davon sein und das Vermissen, das macht es gerade jetzt nochmal spannender. Dieser Brunnen wird hoffentlich auch noch lange befüllt, umgefüllt und ausgetrunken werden.

Solange ihr euch jetzt nicht die Haare färbt und Schminke auftragt, ist alles gut.

Fynn: Geile Idee eigentlich!

Als Turbonegro-Tribute okay. Da wäre ich sogar wieder am Start!

Fynn: Haben wir schon. Das ist das andere Projekt, von dem wir sprachen. (lacht)

Wenn wir das vermasseln, dann sind wir selbst schuld.

 

Eure Harleys stehen erstmal in der Garage. Was gibt es denn abseits der geplanten Projekte, was eure Motoren am Laufen hält? Habt ihr Wünsche für 2021?

Philipp: Wir machen einfach weiter. Ich glaube, es gibt kein „Was wäre wenn?“. Wir machen einfach weiter. Wenn man zu vorsichtig ist, wird es langweilig. Dann kommt es an einen Punkt, wo es seinen Reiz verliert.

Fynn: Kunst oder Rock ’n’ Roll kann es nur geben, wenn der Künstler volles Risiko gibt. Wir kriegen das alles gut gestemmt und uns geht es gut. Wir haben wie gesagt die glückliche Lage, das Studio zu haben. Und eine Band, heißt ja nicht nur Künstlersein: Steuererklärungen, Buchhaltung, Merchandise, Social Media… Uns wird definitiv nicht langweilig.

Philipp: Hier brennt der Strom den ganzen Tag heiß. Gefühlt haben wir am Tag drei Stromausfälle, weil alles an ist und wir hier durcharbeiten.

Fynn: Während ich Pre-Production mache, ist Philipp am Videoschneiden oder mein Vater am Finalisieren der aufgenommenen Tracks. Ich gönne mir vielleicht vier Stunden am Tag für Freizeit, aber dafür brennen wir und dafür sind wir dankbar.

Philipp: Das ist der Jackpot für uns. Nach wie vor. Dieses Leben, das braucht keinen Plan B. Das läuft einfach! Da gibt es auch kein C und D. Wenn wir das vermasseln, dann sind wir selbst schuld.

Eure Werkseinstellungen stehen also weiterhin auf Vollgas. Dann werfen wir mit The Early Years einfach mal einen nostalgischen Blick in die Vergangenheit und freuen uns über alles, was ihr nächstes Jahr auf Platte bannt und hoffentlich auch bald wieder auf die Bühne bringt. The Picturebooks, danke für eure Zeit!

The Early Years erscheint am 04. Dezember und ist als Doppel LP mit Gatefold Cover, 28-seitigem 12“-Booklet, sowie 4 unveröffentlichten Tracks bestellbar. Zusätzlich veröffentlichen Noisolution Records eine streng-limiterte „Club 100“ Edition, handsigniert, gestempelt und in einer exklusiven Farb-Variante.


Gehört: The Picturebooks – The Early Years // Noisolution // VÖ: 04. Dezember 2020 > Hier bestellen oder hier!

Interview: Tim Brügmann > Homepage
Fotos: Claus Grabke