Kino: A Pure Place

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Die 14-jährige Irina (Greta Bohacek) und ihr kleiner Bruder Paul (Claude Heinrich) können ihr Glück kaum fassen, als sie von Fust (Sam Louwyck) auserwählt werden. Die beiden, die im Dreck der Stadt lebten, sind nun auf der Insel zu Hause, so wie viele andere Kinder auch. Dort lernen sie die Geschichte von Hygeia, die dem Schmutz der Welt trotzte. Und sie stellen, verborgen in den dunklen Kellern des Anwesens, die spezielle Seife her, welche den Menschen die absolute Reinheit bringen soll – zumindest den Menschen, die ihrer würdig sind. Nun soll auch Irina auserwählt werden, mit Fust, dessen rechter Hand Siegfried (Daniel Sträßer) und anderen oben in der hellen Welt zu leben. Paul muss sie dabei zurücklassen, dieser soll auch weiterhin in der Unterwelt arbeiten. Doch der will sich nicht ohne Weiteres von seiner Schwester trennen lassen …

Als „Der Bunker“ (>> Filmkritik) 2015 Premiere hatte, dürften sich nicht wenige verwundert die Augen gerieben haben. Die Geschichte um einen Studenten, der bei einer unterirdisch lebenden Familie als Privatlehrer arbeitete, war so sonderbar, dass man sich fragen durfte: Wie konnte ein solches Werk nur in Deutschland entstehen? Lange hat es gedauert, bis sich dessen Regisseur Nikias Chryssos endlich mit einem neuen Werk zurückmeldet. Erneut spielt die Geschichte in einem in sich geschlossenen Ort. Erneut geht es um wahnhafte Selbstoptimierung und die Dekonstruktion von Familienkonstellationen. „A Pure Place“ nutzt aber weniger die Mittel des Humors, um die Gesellschaft zu zerlegen. Zwar ist hier vieles seltsam, teils auf eine groteske Weise. Aber es ist zugleich sehr tragisch, wenn wir hier einer Reihe von Figuren folgen, die auf ihre Weise kaputt sind.

Gleichzeitig ist „A Pure Place“ deutlich heller als der Vorgänger. Dessen düstere Bilder finden zwar eine Entsprechung in der Unterwelt der Sekteninsel, werden aber mit den Aufnahmen der Oberwelt kontrastiert. Die strenge Trennung zwischen den Auserwählten und der Unterschicht ist natürlich nicht sonderlich subtil. Auf der einen Seite weite, weiße Gewänder, erlesene Speisen und die Freiheit des Inselsettings, auf der anderen Seite die engen Räume, in denen sich die versklavten, in Lumpen gekleideten Kinder mühsam ihr Essen erarbeiten müssen. Aber es sind tolle Bilder, die Chryssos und sein Kameramann Yoshi Heimrath aus der zweigeteilten Hölle mitgebracht haben und die oft von surrealer Qualität sind.

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Dass eine solche Zweiteilung auf Dauer nicht gut geht, nicht gut gehen kann, das ist dabei klar. Zumindest in Filmen müssen solche Konstrukte unweigerlich scheitern oder zumindest brüchig werden, sonst gäbe es schließlich keine Geschichte zu erzählen. Zumindest phasenweise ist „A Pure Place“ daher berechenbarer als das irrlichternde Erstlingswerk, bei dem deutlich mehr Fragen offen blieben als hier. Stoff zum Nachdenken gibt es bei dem Drama aber auch so mehr als genug. Der Film verbindet auf interessante Weise Kommentare zur realen Welt mit diversen religiösen Motiven, die Fust zu einer eigenen verqueren Legende zusammenbaut.

„A Pure Place“ erzählt dabei nicht nur von einer ideellen Reinheit, nach der alle streben, sondern auch von Sehnsüchten. Da ist die Sehnsucht nach einer Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit. Aber auch eine nach Erlösung und Befreiung. Das fasziniert, verstört teilweise, geht manchmal zu Herzen. Im Mittelpunkt steht dabei der von Sam Louwyck verkörperte Sektenführer, der zwar  ein äußerst fragwürdiges Menschenbild hat, verbunden mit einer narzisstischen Selbstüberhöhung. Ein Mann, der so widerlich ist, dass man schon aus dem Grund die überfällige Rebellion einfordert. Ein Mann aber auch, der zum Gefangenen seiner selbst wurde und nach einem Ausweg sucht.

Fazit: „A Pure Place“ folgt zwei Kindern, die bei einer bizarren Reinlichkeitssekte auf einer Insel leben. Der Film erzählt dabei einerseits von dystopischen Klassenunterschieden. Er ist gleichzeitig aber auch das Porträt von Menschen, die von ihren Sehnsüchten bis aufs Äußerste getrieben werden. Das ist faszinierend, verstörend – und manchmal nur sehr traurig.

Wertung: 8 von 10

Regie: Nikias Chryssos; Besetzung: Sam Louwyck, Greta Bohacek, Claude  Heinrich, Daniel Sträßer, Daniel Fripan, Lena Lauzemis; Kinostart: 25. November 2021