Im Gespräch: Polar Noir

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Kleiner Spoiler direkt am Anfang: wir sind sowas von der Meinung, dass Sandra Gern aka Polar Noir ihr musikalisches Können der Welt zeigen muss, denn ihre Stimme zieht nicht nur richtig in den Bann, sondern ihre Worte treffen direkt ins Gewissen, egal ob als Konsumliebhaber oder kritischer, nachhaltig agierender Geist, wie Sandra selbst einer ist.  

Wer diese Sandra Gern ist, müssen wir den meisten von euch sicher nicht ausufernd erklären. Sie ist nicht erst seit ihrer Auszeichnung mit dem Deutschen Radiopreis 2020 eine echte Hausnummer in der Musikszene. Seit Jahren nimmt sie uns in ihrer egoFM-Sendung Chelsea Hotel mit auf deep dives in die Musikgeschichte, in Interviews mit großen Namen ebenso wie Newcomern und Newcomerinnen. Abseits vom Mainstream fühlt sie sich ebenso so wie wir am wohlsten mit ihrem „Kleinod unter den Musiksendungen,”wie es die Jury des Radiopreises nannte. 

Aufgewachsen in Bad Tölz verbringt sie ihre Teenager-Jahre nicht nur damit, viel Musik anderer KünstlerInnen zu hören und später als DJane selber zu mixen. Gitarrenspiel und Songwriting gehören daneben auch schon zu ihrem ganz eigenen, kleinen Musikuniversum, selbst wenn sie diese Schätze vorerst mit niemandem teilt. Ihr jetziges Wohnzimmer wirkt fast wie eine persönliche Version des Chelseas Hotels, das zu einer Jam-Session einzuladen scheint mit Musikgeschichte zum Anfassen im Bücherregal und an den Wänden sowie mit Instrumenten über das muckelige Zimmer verteilt.

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Als Moderatorin und mittlerweile Chefin vom Dienst bei egoFM wurde auch ihr Alltag seit 2020 ordentlich durch die Corona-Pandemie durcheinander gewirbelt. Zum einen waren da beruflich ganz klar zusätzlicher Stress und Unklarheit, wie man während wiederkehrender Lockdowns theoretisch und praktisch außerhalb des Senders oder mit Minimalbesetzung im Studio ordentliche Radiosendungen auf den Weg bringen kann; zum anderen war da ein kreativer Mensch, in eine völlig unvorhergesehene Lage geworfen. 24/7 in den eigenen 4 Wänden, ohne viel Ablenkung wie sonst durch Interviews, Konzerte oder Festivals. Umso mehr Zeit, sich vielleicht sogar mehr als zuvor über den Status Quo unserer Welt und über den eigenen Lebensweg nachzudenken.  

„Als Journalistin war ich schon immer fasziniert davon, wie andere kreativ sein können. Aber für mich selber hab ich das mit der Musik aus verschiedenen Gründen schon seeeeehr lange rausgeschoben.”

Jahrelang steht Sandra auf der Seite derer, die die künstlerischen Werke anderer teilt, bespricht und begeistert an ihre ZuhörerInnen weitergibt. Ein Seitenwechsel scheint uns bei ihrem musikalischen Talent zwar äußerst naheliegend, aber da lauert eben auch der Vergleich der eigenen Kreativität mit dem der Vollzeit-KünstlerInnen gleich ums Eck. Die einen widmen ihre ganze Zeit und Energie der Erschaffung von Musik, während sie als Moderatorin im Spannungsfeld zwischen ihrem heiß geliebten Day-Job bei egoFM und der eigenen musikalischen Kunst steht, wo häufig nur in den Mittagspausen oder nach Feierabend Zeit für Songwriting und Co bleibt. 

Zudem kennt sie als Moderatorin endlos viele Geschichten über die weniger glamourösen Seiten des Musiker Daseins, deren typische Sorgen, Ängste und die Unsicherheit darin, wie man umgehen soll mit Feedback und Kritik an Worten, Melodien und der visuellen Inszenierung, die aus dem intimen Kreativprozess heraus entstehen. Wie würde man selbst mit diesen Aspekten umgehen, wenn man als KünstlerIn aktiv und sichtbar wäre? Einmal “draußen”, geben KünstlerInnen die Kontrolle über ihr Werk ab, nicht nur an die ganzen Schaltstellen im Musikbiz, sondern vor allem an die Reaktion des Publikums. Ein Publikum, dass zudem mehr als je zuvor tagtäglich mit hunderten, tausenden neuen Tunes und Gesichtern überflutet wird. 

 „Ich hab mich bei meiner Musik halt schon ganz ehrlich gefragt: Muss ich das wirklich der Welt zeigen?”

Im August 2020 stand dann die Entscheidung. Ja, sie muss der Welt ihre Gedanken in kraftvollen Lyrics mitteilen. Der perfekte Zeitpunkt für den ersten Release stand umgehend fest: der World Ocean Day 2021 sollte es für Song Nummer 1 sein, der Zweite dann um den Global Climate Strike im September 2021 herum. Mit klaren Timings vor Augen und einer handvoll so gut wie fertiger Songs konnte sie jetzt nichts und niemand mehr davon abhalten, ihrer Musik Gehör zu verschaffen. Ohne Druck von irgendeiner Plattenfirma, dafür aber mit viel Liebe zum Detail und einem Schaffensprozess, bei dem sie von Anfang bis Ende federführend die Richtung vorgab und bis hin zum finalen Video selbst involviert blieb. 

Das Ergebnis ist eine starke Message, die zum Nachdenken anregt. Eine persönliche Entschuldigung für den Müll, den wir Menschen in Gewässern verursachen, für die Wunden, die wir alle gemeinsam der Erde Tag für Tag zufügen. Das alles schafft sie aber völlig ohne erhobenen Zeigefinger. Vielmehr begleitet man Sandra auf ihren Gedankengängen zu dem, was da draußen vor sich geht, welche Rolle wir dabei spielen und wie wir uns selbst wachrütteln können, um etwas zu ändern. 

Ihr Künstlername Polar Noir wirkt dabei ebenso mysteriös und kühl wie das Wasser, das nicht nur eine prominente Rolle in ihren Musikvideos spielt. Kälte fasziniert die überzeugte Eisbaderin Sandra nämlich schon seit langem, ebenso wie Frage, was der eigene Körper alles aushält. Mitten in der Natur zu sich selber finden, egal zu welcher Jahreszeit… Dieser Grundgedanke spiegelt sich zweifelsohne in ihrer Musik wider und ihre Songs scheinen Hörerinnen und Hörern dabei zu helfen, für sich selbst Antworten zu finden oder zumindest Denkanstöße mitzunehmen. So jedenfalls unser höchst wissenschaftlicher, objektiver Eindruck von einigen Kommentaren unter Sandras YouTube-Videos. *hüst hüst*

Vor kurzem ging ihre nächste Single Underwater an den Start. Das Element Wasser zieht sich auch hier als roter Faden durch und taucht dabei noch tiefer als zuvor in das Seelenleben der Künstlerin ein: „Im Song geht es um den Prozess des Auf- und Abtauchens von uns als Individuen. Wann zeigen wir uns, und warum oder warum nicht?”

Ebenso reflektiert sie die Notwendigkeit, sich bewusst sichtbar zu machen, um der eigenen Haltung Gehör zu verschaffen.  

 

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Hoffentlich bleibt Sandra weiterhin beim Spagat zwischen ihrem Day Job und dem Dasein als Künstlerin, denn wir wollen weder ihre Tätigkeit bei egoFM noch ihre eindringlichen Tunes auf unseren Ohren missen.

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Foto: Polar Noir – Artwork If Everybody Listened