John Niven
John Niven

curt war da: John Niven liest „Kill ‚Em All“

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I’m sorry to drag you into my world of pain – John Niven

Genau zwanzig Jahre nach dem Siegeszug des Britpops sieht sich die Welt noch viel überheblicheren Großmäulern ausgesetzt. Brexit, Trump, #metoo, Fake News, kein Wunder, dass es Steven Stelfox da mal gern zu kalt in seinem Maybach wird. Der Antiheld aus Nivens Erfolgsroman „Kill Your Friends“ ist älter geworden und statt 27 Kerzen, zieren nun ganze 47 seine Geburtstagstorte. Doch wer wäre Stelfox, wenn nicht er selbst? Und so läuft der ehemalige A&R-Manager in „Kill ‚Em All“ nun als stinkreicher Berater für die Musikindustrie Amok und liefert genug Stoff für die perfekte Fortsetzung zu Nivens Roman aus dem Jahr 2008. Im Zuge seiner Lesereise zusammen mit Thorsten „Nagel“ Nagelschmidt beehrte der schottische Autor am 25. März schließlich auch die Milla zu München.

John Niven? Ganz genau! Der Schotte stand in den Achtzigern bei der Indieband The Wishing Stones hinter der Klampfe, studierte English Literature in Glasgow und arbeitete in den Neunzigern als A&R-Manager einer Plattenfirma, wo ihm weder Coldplay noch Muse gut genug waren. Ab 2002 widmete sich Niven exklusiv dem Schreiben. 2006 erschien sein Debüt „Music from Big Pink“ über Bob Dylan und The Band. 2008 landete er mit dem Roman „Kill Your Friends“ – einer bitterbösen Abrechnung mit der Musikindustrie – einen internationalen Erfolg. Soweit so gut. Zurück nach München.

Wer sitzen wollte, der musste mehr als pünktlich sein. Die Milla ist am Abend des 25. März gut gefüllt und der bestuhlte Bereich eher spärlich mit den hölzernen Vierbeinern besetzt. Doch Niven gibt heute nicht einfach nur eine schnöde Lösung. Nein, Niven selbst ist Rock ’n‘ Roll und Stehen gehört an diesem Abend fast schon zum guten Ton. Gelesen wird gespickt mit einer Vielzahl an Anekdoten aus Nivens Leben und dem Schreibprozess aus der lang ersehnten Stelfox-Fortsetzung. „Kill ‚Em All“ titelt diese in Anlehnung an Metallica und das fast 400 Seiten umfassende Manifest zu Nivens Händen sprüht nur so vor Hass, Gier und all den Dingen, denen man lieber nicht im Alltag begegnen will.

Gleichwohl ist es eine Welt, die pompöser und luxuriöser nicht sein könnte. Steven Stelfox, der Antiheld der Antihelden findet sich mit schwerem Geldsegen in der Welt der Reichen und Schönen wieder. Sein Auftrag, den einstigen Weltstar Lucius Du Pre wieder auf Kurs zu bekommen. Denn der ist mittlerweile hoffnungslos verjunkt und aufgrund seiner Vorliebe für kleine Jungs Opfer einer Erpressungskampagne geworden. Doch irgendwo muss in all dem Chaos noch Kohle zu machen sein. Und wer, wenn nicht Stelfox, könnte die große Comeback-Tour und das erhoffte Geldscheffeln ohne Rücksicht auf Verluste möglichst gewinnbringend abwickeln? Welcome back, Steven!

Dem gebannten Milla-Publikum zeigte sich John Niven, dem zunächst seine Lesekopie abhanden gekommen war, an diesem Abend von seiner Schokoladenseite. Nur er scheint unsere heutige Zeit besser zu verstehen als wir selbst und so ist „Kill ‚Em All“ ein Stück weit auch Spiegel unserer Gesellschaft. Vor allem dann, wenn Niven Weinstein-eske Figuren mit der tragischen Geschichte des King of Pop verwebt, ein paar Fake News darüber streut und wir uns in seinen Worten an mancher Stelle sogar selbst ertappen, wird es richtig unangenehm. Ganz egal ob Neverland nun Narnia heißt und Michael Jackson neben Lucius De Pre trotzdem selbst in der Welt von „Kill ‚Em All“ vorkommt – wer oder was gemeint ist, erkennt man sofort. Und ums ein oder andere Mal will trotz all der Satire und Nivens schnodderig gewinnender Art der Kloß im Hals nicht weichen.

John Niven hat wahrlich ein Monster geschaffen und es gelingt ihm wie keinem zweiten, die Trump’sche Ära so wortpräzise einzufangen. „I’m sorry to drag you into my world of pain“, entschuldigte er sich, doch leider ist es auch unsere Welt. Und so verabschiedete sich der smarte Autor, nachdem wir lernen durften, was es mit einem Britischen Abgang auf sich hat: Allen erzählen, dass man geht, nur um am Ende zu bleiben und gepflegt in die Wohnung zu kacken. Gut, dass Niven Schotte ist, denn statt eines Häufleins, ließ er der Milla nach tosenden Beifall mit dem Whiskey-Glas in der Hand lediglich die ein oder andere Buchwidmung da.


John Niven – Kill ‚Em All // Heyne Verlag // Hardcover // 384 Seiten // 20 EUR // VÖ: 21. Januar 2019 // ISBN 978-3-453-27157-9

Foto: Tim Brügmann