Kathrin Hartmann Greenwashing Interview curt München

Im Gespräch: Kathrin Hartmann zu Greenwashing

Umweltschonende Elektroautos, nachhaltig produzierte Lebensmittel, faire Produktion und Bio-Siegel so weit das Auge reicht: Hurra! Für den Konsumenten war es noch nie so einfach, zu jeder Jahreszeit uneingeschränkt auf fast jedes Produkt zugreifen zu können und dabei umweltfreundlich und verantwortungsbewusst einzukaufen. Jede Menge Siegel und Zertifikate, die für eine faire und nachhaltige Produktion stehen sollen, zieren die Verpackungen. Wenn wir den Konzernen Glauben schenken, können wir mit unseren Kaufentscheidungen am Ende sogar die Welt retten.

Dass das nicht die ganze Wahrheit, sondern lediglich Teil einer geschickten PR-Kampagne großer Konzerne ist, decken die Münchner Journalistin und Autorin Kathrin Hartmann und der österreichischer Dokumentarfilmer Werner Boote (u.a. Plastic Planet) in ihrem ersten gemeinsamen Film Die Grüne Lüge auf. Sie besuchen verschiedene Orte rund um den Globus und sprechen mit Vertretern der Industrie, Umweltschützern und Aktivisten sowie Wissenschaftlern und blicken hinter die Fassade von Greenwashing-Aktivitäten, die mit breit angelegter Öffentlichkeitsarbeit, geschickter Rhetorik und unter Nutzung von Manipulationsmechanismen so manchen Konzern eine weiße oder in diesem Fall grüne Weste verpassen sollen.

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Eigentlich sollte der Film am 30. August im Kino am Olympia-See gezeigt werden. Ein heftiges Unwetter war in der Nacht über den Olympiapark niedergegangen und hatte die Technik so stark beschädigt, dass die Vorstellung samt anschließender Gesprächsrunde mit Kathrin Hartmann und Werner Boote sprichwörtlich ins Wasser gefallen war. curt hatte trotzdem die Gelegenheit, mit der Autorin der Bücher Ende der Märchenstunde  und Aus kontrolliertem Raubbau ein paar Worte über dieses spannende Projekt zu wechseln.

Was war der konkrete Auslöser, dich neben dem Schreiben auf dieses gemeinsame Projekt mit Werner Boote einzulassen?
Die Idee kam von Werner Boote. Wir sind uns das erste Mal bei einer Diskussionsrunde des Club 2 im ORF über den Weg gelaufen. Das war 2011, als dort nach der Ausstrahlung der Films Plastic Planet zum Thema „Kann man ökologisch leben?“ diskutiert wurde. Ich habe dort meine These vertreten, dass man die Welt nicht beim Einkaufen im Supermarkt retten kann. Die österreichische Nachhaltigkeitschefin einer großen europäischen Supermarktkette saß ebenfalls in der Runde. Die Debatte mit der Dame kam gut in Schwung, was wiederum wohl Werner gefallen hat. Einige Zeit später hat er sich bei mir gemeldet und mir die Idee unterbreitet, gemeinsam einen Film zu Greenwashing zu machen.

Die ganzen Nachhaltigkeitssiegel sind am Ende alle nur Etikettenschwindel? Was war euer Ansatz, um die kleinen und großen Lügen rund um vorgebliche ökologische Verantwortung der Firmen aufzudecken und zu zeigen?
Nachdem in den beiden Filmen Plastic Planet und Population Boom die Industrie nicht gut weggekommen ist, hat die Produktionsfirma die Idee ins Spiel gebracht, Werner könne ja auch mal die „guten“ Unternehmen zeigen. Allerdings hat Werner bei seinen Recherchen bald festgestellt, dass vonseiten der Konzerne vieles getan wird, um besonders nachhaltig zu erscheinen, meist aber nicht viel dahintersteckt. So entstand die Idee, einen Film über diese grünen Lügen zu machen. In God-Cop/Bad-Cop-Manier: Werner als der gutgläubige Konsument auf der einen Seite und ich auf der anderen Seite als die kritische Stimme – er nennt es in einer Szene auch „Spielverderberin“. Es sollte also kein klassischer investigativer Dokumentarfilm werden. Wir haben uns bewusst diese Rollen gegeben, um die Zuschauer durch den Diskurs zu begleiten, denn das Dilemma kennt ja jeder.

Wie muss man sich die Dreharbeiten vorstellten? Für dich war es ja das erste Mal, dass du in einer Doku agierst.
Wir haben chronologisch gedreht. Der erste Drehabschnitt war in Wien und Indonesien, danach haben wir drei Monate weiter recherchiert. In der zweiten Phase haben wir sechs Wochen in Brasilien, USA und schließlich in Garzweiler gedreht. Ich bin gewissermaßen ins kalte Wasser gesprungen. Das Kamerateam habe ich zum ersten Mal gesehen, als sie meine Ankunft mit dem Zug in Wien gedreht haben. Am selben Abend haben wir die Nachhaltigkeitspreisverleihung SEA Awards besucht, da haben wir uns als Duo eingestimmt.
Es gab kein Dialogbuch und keine gescripteten Gespräche, vieles lief spontan. Werner ist sehr gut darin, bei seinen Gesprächspartnern die entsprechenden Knöpfe zu finden und die dann auf charmante Art zu drücken. Anfangs war ich natürlich nervös, ob das funktioniert, ich bin ja keine Schauspielerin. Wenn wir uns vor der Kamera in Rage geredet und gestritten haben, dachte ich manchmal schon: Auweia, ob das nicht unsympathisch wirkt? Aber unser Zusammenspiel funktioniert gut und es ist lustig, das bestätigen auch die Reaktionen im Publikum.

Ihr zieht dieses Spiel aber nicht über die komplette Länge durch, irgendwann kommt eine Wende?
Ja. Es war klar, dass sich unsere Streitereien nicht glaubhaft über die gesamte Länge hinziehen können. Irgendwann ermüdet das auch die Zuseher. Zur Mitte des Films, bei unserem Besuch des Braunkohltagebaus in Garzweiler, kippen wir unsere Rollen und streiten dann nicht mehr, sondern suchen gemeinsam danach, wie man grüne Lügen aufdecken kann.

Haben euch die Firmen, die im Film gezeigt werden, während der Dreharbeiten das Leben schwer gemacht bzw. gibt es im Nachhinein Reaktionen vonseiten der Firmen, die nicht so gut wegkommen?
Da fällt mir eine lustige Anekdote ein. Als wir uns bei RWE um die Drehgenehmigung für den Braunkohletagebau in Garzweiler bemüht haben, wurde uns nahegelegt, dass wir auf alle Fälle die Windräder mit ins Bild nehmen. Die RWE betreibt am Rande der Kohlegrube einen winzigen Windpark. Damals standen da ein paar verlorene Windräder, die diesen archaischen Bergbau-Maschinen, die sich in die Erde fräsen und alles niederwalzen, mit sanfter Energiegewinnung Paroli bieten sollen. Eine bessere Vorlage, um den ganzen Widersinn zu dokumentieren, kann man kaum ins Bild bekommen.
Klagen oder Ähnliches gab es nicht. Wir stellen im Film ja nicht haltlose Behauptungen auf, sondern haben alles mit Fakten belegt. Die Firmen haben ihre Strategie gegen Kritiker geändert. Sie reagieren eher mit einer Art Umarmungstaktik. Ein großes Einzelhandelsunternehmen zum Beispiel hat Werner kurz vor dem Filmstart einen Werbevertrag für deren Biolinie angeboten. Den hat er logischerweise abgelehnt.

Für die Vorbereitung deiner Bücher bist du oft lange in den jeweiligen Ländern unterwegs. Was ist anders, wenn ein Kamerateam mit dabei ist?
Es war völlig anders. Die Herausforderung war ja: Mit welchen Bildern gelingt es, Greenwashing zu zeigen? Wenn ich mit Block und Stift unterwegs bin, habe ich mehr Zeit, bin mobiler und unauffälliger als mit einem Filmteam. Man kommt so einfacher an die Menschen heran. Für meine Buchrecherchen zum Thema Palmöl war ich alleine in Indonesien drei Wochen unterwegs, da entsteht eine Nähe zu den Leuten und ich kann mit meinen Fragen viel mehr in die Tiefe gehen.
Beim Film muss das, was ich mit vielen Worten zu Papier bringe, auf den ersten Blick funktionieren. Bei unseren Dreharbeiten in Indonesien wollte ich auch am liebsten an ganz vielen Orten mit vielen verschiedenen Leuten reden. Aber das hätte für das, was wir zeigen wollten – nämlich das Greenwashing der Firma auf der Palmöl-Messe in Bali, die gerade Primärregenwald abgefackelt hat –, gar nicht funktioniert. Da wirken die Szene von den tanzenden Indigenen auf dem Messestand und die gegengeschnittenen Bilder der dampfenden Aschewüste unmittelbar. Zack! Das hat mir einen riesigen Spaß gemacht zu sehen, wie man mit filmischen Mitteln Greenwashing ganz konkret zeigen kann.
Was sich im Film nicht gut zeigen lässt, habe ich in meinem neuen Buch Die Grüne Lüge verarbeitet. Hier kann man viele vertiefende Fakten und Details zu den Geschichten aus dem Film nachlesen.

Kathrin Hartmann Grüne Lüge Interview curt München

In Indonesien bist du ja vorher schon einmal gewesen und hast recherchiert. Wie haben sich die Dinge dort verändert?
In diesem konkreten Fall hat sich die Lage deutlich verschlechtert. Die Waldbrände 2015 waren noch mal viel heftiger als die Brände im Jahr 2013 und das Ausmaß der Zerstörung hat mich echt umgehauen. Auf so einem Brandfeld herrscht Totenstille. Man hört keinen Vogel, nur das Knacken der verbrannten Wurzeln, die zu Staub zerfallen. Das ist wahnsinnig beklemmend und tut richtiggehend weh.
Palmöl ist weiterhin stark nachgefragt, weil es so billig ist. Und es ist so billig, weil es genau so gewonnen wird: mit Zerstörung und Ausbeutung. Die Situation für die Aktivisten vor Ort ist deshalb sehr bedrohlich. Knapp vier Wochen, nachdem wir in Indonesien gedreht hatten, wurde ein Anschlag auf Feri Irawan, unseren Protagonisten, verübt. Unbekannte haben ihm in seinem Büro aufgelauert und auf ihn geschossen. Er konnte zum Glück fliehen und blieb unverletzt.

Für welche Ziele kämpfen die Aktivisten vor Ort konkret?
Die Leute vor Ort haben ganz andere Forderungen, als dem westliche Konsumenten suggeriert werden. Die Menschen wollen kein nachhaltiges Palmöl und sie wollen keine Siegel. Sie wollen ihr Land zurück, sie wollen, dass die Waldbrände, der Landraub und die Zerstörung aufhören. Sie sind ja die wirklichen Opfer von Greenwashing – nicht der um sein gutes Gewissen betrogene westliche Konsument.

Was sollen die Zuseher aus dem Film für sich übersetzen?
Ich freue mich, wenn die Leute im Film lachen. Lachen über den unsäglichen Blödsinn, den die Firmen versuchen, uns zu erzählen. Lachen als Akt der Selbstermächtigung. Ich denke, dann ist man nicht mehr so ausgeliefert. Man soll aber auch sauer werden. Das emotionale Wechselbad ist gewollt. Wir möchten zum intensiven Nachdenken und Fragenstellen anregen. Warum überhaupt wird der Konsument für alles verantwortlich gemacht? Das ist doch zynisch! Raj Patel bringt im Film ein treffende Beispiel: „Ich kaufe Fair-trade-Kaffee, weil die Alternative ist … Was? „Arschloch-Kaffee“? Aber warum soll das eine Wahl sein?“
Wir wollen keine einfachen Lösungen präsentieren, sondern dass die Zuschauer die Perspektive wechseln. Wir sollten aufhören, uns zu fragen, was wir kaufen sollen, sondern die politische Frage stellen: Warum ist es überhaupt erlaubt, mit dreckig hergestellten Produkten die Supermarktregale zu füllen.


Kathrin Hartmann – Die Grüne Lüge // Blessing Verlag // 240 Seiten // > Facebook
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