Fettes Brot
Fettes Brot

Im Gespräch: Fettes Brot

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Die „erfolgreichste deutsche Nachwuchsband“ von 1996 ist zurück. Fettes Brot – das sind Björn Beton, König Boris und Dokter Renz – zählen zu Deutschlands amtierenden Hip-Hop-Größen und sind aus der hiesigen Musiklandschaft nicht mehr wegzudenken. In fast 30 Jahren Bandgeschichte haben sich die drei Wortakrobaten aus der Hansestadt von so ziemlich jeder Seite gezeigt. Deutschrap alter Schule, norddeutscher Discorap und immer Spiegel der gesellschaftlichen Stimmung. Fettes Brot gehen mit vielen Belägen gut und haben auch bei schwierigen Themen immer wieder Haltung bewiesen. Gegen die ekelhafte, menschenverachtende Dunkelheit, aber keineswegs mit der Moralkeule hat uns die Band nun ihr neuntes Studioalbum Lovestory mitgebracht.

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Jungs, herzlichen Glückwunsch zum neunten Baby. 25 Jahre Fettes Brot, wow!
König Boris: Danke dir! Aber da sagt wirklich jeder was anderes. Gestern ist einer gekommen, der meinte, wir wären schon 30 Jahre unterwegs. Langsam verlier ich den Überblick, aber ist ja auch nicht so wichtig.

Ihr seid jedenfalls zurück und habt euer neues Album „Lovestory“ im Gepäck. Jetzt schreibt ihr nicht zum ersten Mal Songs über die Liebe, aber welches Mission Statement habt ihr euch diesmal auf die Fahne geschrieben?
Dokter Renz: Wir hatten sogar das Gefühl, dass es eine unserer Kernkompetenzen ist, Lovestorys zu schreiben. Mission Statement … Sagt man das so? Klingt gut, aber erst mal haben wir uns ausgetobt und thematisch überhaupt nicht eingeschränkt. Dabei ist viel unterschiedliches Zeug entstanden. Teilweise grotesk, teilweise großartig. Als wir dem engsten Kreis die ersten Demos vorgespielt haben, fielen kurioserweise zwei Liebeslieder besonders auf. Und dann stand auf einmal die Idee im Raum, daraus eine thematische Klammer zu machen. Wir haben ein bisschen damit gerungen, ob das Konzept überhaupt noch so zeitgemäß ist, aber es ist hängen geblieben und hat uns begleitet. Wir hatten den Eindruck, dass uns das hilft, uns zu fokussieren. Auch wenn Liebe ein universelles Thema ist und nicht besonders viel ausschließt. Trotzdem hat es zu einer gewissen Fokussierung der Kreativität geführt.

König Boris: Wir haben natürlich versucht, ungewöhnlichere Perspektiven zu finden. Wir wollten mitnichten eine womöglich kitschige Balladenplatte machen. Das Ziel war es, die Liebe aus anderen Perspektiven zu betrachten, an die man im ersten Moment vielleicht nicht denkt.

Wie beispielsweise die Single „Du driftest nach rechts“?
König Boris: Wenn man so die Kommentare unter dem Video anguckt, ist es wohl sehr richtig und wichtig, so einen Song heutzutage zu schreiben. Die Tabu-Brüche links und rechts können einem schon Sorgen machen und die Einschläge kommen näher. Es kommt immer dichter ran, dass Menschen, die man kennt, anfangen, menschenverachtende Sachen von sich zu geben und Meinungen zu haben, die vor Jahren undenkbar oder sozial isolierend gewesen wären. Und jetzt ist das in bestimmten Kreisen gesellschaftsfähig. Da hatten wir das Gefühl, einen Song zu diesem Phänomen machen zu müssen. Es gab schon immer Faschos, aber jetzt bohrt sich das in die Mitte der Gesellschaft und das ist das Unheimliche daran.

Dokter Renz: Was wir über Klickzahlen beispielsweise feststellen ist, dass es geklappt hat. Wir werden nicht auf die norddeutschen Discorapper reduziert. Davor hatten wir anfangs Angst, aber das ist jetzt auch fast dreißig Jahre her … (lacht) Immerhin das haben wir geschafft. Es ist im Mainstream angekommen, dass Fettes Brot lustig und ernst können und beides selbstverständlich zu unserer Ausdrucksform gehört.

Jetzt habt ihr in all den Jahren einige Dinge gesehen, Trends sind an euch vorbeigezogen, woanders seid ihr mit aufgesprungen. Habt ihr eine Routine entwickelt oder wägt ihr bei so einem Album noch mal ab, wer ihr überhaupt seid und was ihr machen wollt?
Dokter Renz: Wir haben auf jeden Fall die Chance genutzt, uns mit unserem Frühwerk zu beschäftigen. Vor zwei Jahren haben wir ja „Gebäck in the Days“ gemacht und ausschließlich alte Lieder gespielt. Das jüngste war von 2001. Insofern haben wir alles, was davor passiert ist, uns noch mal durch die Finger gleiten lassen. Das war ganz erstaunlich, mit diesem Abstand der Jahre und diese Songs noch mal auf uns selbst wirken zu lassen und zu sehen, wie wir damals geklungen, welche Worte wir gewählt und wie wir Songs aufgenommen haben. Das hat Spaß gemacht. Wir haben aber nicht versucht, automatisch eine Retro-Platte zu machen. Das hätten wir, glaube ich, besser hingekriegt, wenn wir das vorgehabt hätten. Aber ich glaube, dass der Geist der frühen Jahre Teil der jetzigen Studio-Sessions war. Wir haben die Spielfreude wiederentdeckt.

König Boris: Ich glaube, wir haben heute das Selbstbewusstsein, dass wenn wir zusammen ins Studio gehen, auch etwas dabei herauskommt. Das ist nicht sehr analytisch, wenn wir Musik machen, sondern eher verspielt und aus dem Bauch raus. Man macht erst mal und guckt dann, in welche Richtung das geht. Wenn man dann schon mal eine inhaltliche Klammer hat, ist das nur hilfreich. Das Studio hat sein Übriges getan. Das war so ein altes Dorfklassenzimmer, das vollgestellt war mit Instrumenten. Wenn die da stehen, dann benutzt man die einfach und denkt nicht darüber nach, was dabei herauskommt. Wenn man dann noch zusammen was getrunken hat, klöppelt man einfach drauf rum und plötzlich entsteht da was.

Apropos (Ge)bäck in the Days … Dieses Jahr ist Dendemann wieder mit einem neuen Album auf der Bildfläche erschienen. Die Leute feiern das Comeback des deutschen Hip-Hop, dabei ist der schon eine ganze Weile wieder da, nicht nur dank der Beginner. Fettes Brot waren allerdings nie weg und doch scheinen es die Leute vergessen zu haben. Lächelt ihr darüber oder wie seht ihr dieses „Comeback“?
Dokter Renz: Wir haben eigentlich eine normale Veröffentlichungsfrequenz. Zwischen „3 is ne Party“ und „Teenager vom Mars“ waren es nur zwei Jahre, was für uns schon jugendliche Verhältnisse waren. Diesmal hat es vier Jahre gedauert?

Drei sagt der Pressetext, dann ist das auch so.
Dokter Renz: Dann ist das auch so, schmunzelt der sympathische Anfang-30-Jährige … (lacht) Nein, wir finden das spannend, dass das, was am Anfang neu war, jetzt schon wieder aus einer Retro-Perspektive betrachtet werden kann. Und klar, wenn man wie wir nie eine ganz lange Pause gemacht hat, fühlt sich das vielleicht gar nicht so an, dass man an alte Plätze zurückkehrt. Wir haben das ja, wie erwähnt, mit unserem eigenen Schaffen auch getan. Insofern ist das nach 20, 25 Jahren ein normaler Impuls der Gesellschaft zurückzublicken, was da los und was da toll war. Rock‘n‘Roll kam auch in den 80ern zurück, als ich das zum ersten Mal gehört habe. Für mich klang das damals aber fresh, auch wenn ich wusste, dass vieles in den 60ern oder so aufgenommen wurde.

Ein sehr guter Punkt!
Dokter Renz: Ich glaube, das ist eine typische Schleife, die Pop einfach macht. Das Tolle ist dann, wenn das wie bei Dendemann trotzdem nach 2019 klingt. Man lebt nicht thematisch in einer Blase, sondern setzt sich mit aktuellen Dingen auseinander. Und auch soundmäßig spürt man, dass die Produktion nicht versucht, auf einem John-Lennon-Pult etwas Altes wiederherzustellen. Trotzdem hat es gleichzeitig einen Blick nach hinten und das ist ein tolles Gesamtpaket.

Jetzt widersprecht ihr mir sicher, aber ich kenne kaum jemanden, der euch wirklich scheiße findet …
König Boris: Ha, wir schon! (lacht)

Habt ihr manchmal Angst, was auch jüngere Rapper wie Lance Butters in ihren Texten behandeln, irgendwie altersscheiße zu werden?
Björn Beton: Das bleibt ja nicht aus, das neue Leute nachwachsen. Sowohl Hörer als auch Künstler. Das ist deren gutes Recht, ja sogar Pflicht, irgendwie die Altvorderen zu provozieren. Die Gefahr besteht natürlich für jede Band. Und wahrscheinlich werden die Leute, mit denen du rumhängst und die dein oder mein Alter haben, bei einer bestimmten Musikgeneration gelandet sein. Wenn ich bei meiner Tochter in der Klasse rumfrage, würde da was ganz anderes rauskommen.

Dokter Renz: Fettes Brot, findest du die scheiße? Nein, ich weiß gar nicht, wer das ist. (lacht)

König Boris: Nein, die Angst, scheiße zu sein, treibt einen ja auch in jungen Jahren rum. Man will ja immer geil sein und hat ein bisschen Sorge. Klar, wenn man viel gemacht hat und schon Erfolge hatte, möchte man auf dem Level weitermachen. Aber, ich glaube, den Fehler, sich damit allzu sehr zu beschäftigen, sollte man als Band gar nicht machen. Man sollte auf das gucken, was man vorhat und worauf man Bock hat und die Möglichkeiten sehen. Man muss Spaß bei dem haben, was man macht, und sich begeistern. Dann stehen die Chancen ganz gut, dass das andere Leute auch gut finden.

Björn Beton: Ich glaube, je mehr man sich mit dem Alter beschäftigt, umso größer wird die Gefahr auch, dass das spürbar wird und zu viel Einfluss nimmt. Das ist nur ein Aspekt unter zehn Millionen. Letztendlich hat man das nicht in der Hand und kann nur das machen, was einem selber gut gefällt. Und wenn das nur für 30- bis 40-Jährige ist, dann ist es eben das. Ich glaube nicht, dass man das so genau für sich bestimmen kann.

König Boris: Wir haben allerdings den Eindruck, dass der Altersdurchschnitt unserer Zuhörerschaft recht heterogen ist. Von bis ist da, glaube ich, alles dabei.

Dokter Renz: Ich finde es schön, wie selbstverständlich du das Wort heterogen benutzt …

König Boris: Danke.

Vor der großen Lovestory-Tour seid ihr mit eurem Buch und der Radiosendung „Was wollen wissen“ unterwegs gewesen. Was war daraus die größte Lektion?
Björn Beton: Wir hatten ja schon mal eine Radiosendung und die Prämisse für uns war, dass wir keine Hausaufgaben mit nach Hause nehmen wollten. Wir wollten uns nicht groß vorbereiten oder ein Referat schreiben und das am nächsten Tag halten. Wir wollen so spontan wie möglich sein und haben insofern das Selbstvertrauen gefunden oder verstanden, dass das, was wir da machen – nämlich mit Leuten quatschen und selber Unsinn reden –, sehr unterhaltsam für uns und die Zuhörer sein kann. Immerhin gibt es die Sendung jetzt schon seit fünf Staffeln, also haben wir da irgendwas ganz richtig gemacht.

Dokter Renz: Eigentlich sind wir sogar die Erfinder des Podcasts. Ich weiß aber nicht, ob man das zurückverfolgen kann.

Nicht zuletzt auch auf der Bühne, wenn man euch schon mal gesehen hat.
König Boris: Genau, viel gelabert haben wir ja schon immer und Entertainment war schon immer ein Teil von uns.

Klar, einfach mal die Musik weglassen.
König Boris: Die lassen wir ja nicht mal weg, sondern spielen einfach Musik von andern Leuten. (lacht)

Was ist nach all der Zeit das Spannendste für euch an Fettes Brot??
Dokter Renz: Wir alle ändern uns. Wir sind drei Individuen, man glaubt es kaum, und arbeiten uns natürlich immer wieder aneinander ab. So lernen wir uns auch immer wieder neu kennen. Wir sind ein System, dass sich umeinander gebildet hat. Es bleibt spannend, weil es eine Mischung aus Familie, Spaß, Beruf und dem, was wir am liebsten tun, ist. Das einzige Handwerk, das wir beherrschen, ist die Musik. Aber ja, was Björn schon angesprochen hat, das Prinzip, unvorbereitet auf die Bühne zu gehen und das Gefühl zu haben, dass das reichen könnte, aber auch in die Hose gehen kann, macht total Spaß. Das fühlt sich wirklich gut an.

König Boris: Wir sind ja auch Fans von Musik und guter Unterhaltung anderer Leute. Und dann denk ich mir, ja, das will ich auch machen. So einen geilen Song schreiben, so eine geile Show haben. Dann weiß ich auch, dass wir die Möglichkeit dazu haben, was ein wahnsinniges Privileg ist. Das reicht schon als Motivation.

Ich war erst kürzlich wieder in Hamburg und prompt lief „Jein“ im Radio, eine Freundin bezeichnet den Track „Spiderman & ich“ als ihre musikalische Prägung und tatsächlich habt ihr mit Songs wie „Da draußen“, „Bettina“ und „Emanuela“ den Soundtrack für Dinge wie Schullandheim, Skifahrt und schließlich meine Abi-Fahrt mitverantwortet. Könnt ihr euch selbst ein Leben ohne Fettes Brot überhaupt vorstellen?
Björn Beton: Du sagst es ja selber, wie prägend manches für dich war. Und dann kannst du dir vielleicht ungefähr vorstellen, wie die letzten Jahre in unserem Leben waren. Das ist eine ungemeine Menge an Momenten und Dingen, die passiert sind.

König Boris: Auch zeitlich ist es ein riesiger Anteil, den das in unserem Leben einnimmt. Aber auch für unser Umfeld, Freunde und Familie.

Dokter Renz: Ich frage mich immer, ob man in einem anderen beruflichen Umfeld so eine persönliche Freiheit hätte entwickeln können, wie wir uns das als Musiker erlauben konnten. Da gibt es nicht viel und da muss man lange für suchen. Wir haben keinen Boss, wir müssen nicht zu irgendeiner bestimmten Zeit aufstehen. Also außer heute und gestern … (lacht) Klassisches Selbstständigen-Schicksal vielleicht? Da bin ich schon sehr dankbar für, dass ich so ein Leben führen darf und dass es reicht, damit Familien zu ernähren.

König Boris: Wahllos! Man sucht sich immer welche aus, die man gerade trifft und sagt: „Euch ernähr ich jetzt mal für zwei Monate!“

Und ich sage vielen Dank, Fettes Brot, für 25 Jahre Nährwert!

Unsere Verlosung ist beendet, die Gewinner wurden informiert.


Live: Fettes Brot > Homepage // Support: Mädness > Homepage // 26. Oktober 2019 // Zenith // Beginn 20 Uhr // VVK 43,20 EUR zzgl. Gebühren

Interview: Tim Brügmann > Homepage

Fotos: Jens Herrndorff > Homepage