Im Gespräch: Dennis Lyxzén (INVSN/Refused)

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Die circa 80.000 Einwohner zählende Stadt Umeå ist nicht nur eine der am schnellsten wachsenden Städte Schwedens, seit nunmehr 30 Jahren gilt sie zudem als absolutes Mekka des Hardcore Punks. Nicht ganz unschuldig an diesem rühmlichen Titel ist vor allem ein Sohn der Stadt: Dennis Lyxzén.

Sven Olov Dennis Lyxzén ist nicht nur Gründer des Punk-Labels Ny Våg, einen Namen hat er sich vor allem als Frontmann der Ausnahmeband Refused gemacht. Mit Projekten wie The (International) Noise Conspiracy oder AC4 hat der Schwede weitere Meilensteine gesetzt und sich als Hansdampf in allen Gassen zu einem der Aushängeschilder politisch motivierter Rockmusik entwickelt.

Mit seiner Ende der 90er noch als Solo-Projekt gestarteten Band INVSN legte er nach zwei erfolgreichen Alben am 16. März schließlich die EP „Forever Rejected“ vor und zeigt sich gerade in dieser musikalischen Inkarnation grenzenlos wie nie.

INVSN, das sind, neben Lyxzén selbst, seine alten Weggefährten Sara Almgren, André Sandström, Christina Karlsson, Anders Stenberg. Mit ihnen definiert er bei maximal verschüttetem Herzblut sich und auch das Genre Post-Punk durchzogen von abwechselnden Call-and-Response-Vocals komplett neu.

Anlässlich ihrer Show am 21. April im Vorprogramm von Protomartyr in München, unterhielten wir uns mit Dennis Lyxzén über „Forever Rejected“, das kreative Potential von INVSN und die Social-Media-Gewohnheiten einer Punk-Legende.

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Dennis, vielen Dank für deine Zeit und herzlichen Glückwünsch zum Release der neuen EP „forever rejected“. Ihr seid gefühlt erst gerade von eurer Tour zurück. Wie kam es so schnell zu neuem Material?

Wir hatten ja schon im letzten Frühjahr diesen Lana Del Rey Song aufgenommen, den wir auch veröffentlicht haben, aber es ist nicht wirklich viel passiert. Als wir dann von der Tour wiederkamen, fiel uns auf, dass das Album nun auch schon eine Weile draußen ist. Und ja, wir hatten dieses Cover, aber auch einige andere Songs, die es damals nicht auf das Album geschafft haben. Und wie Du weißt leben wir im Jahr 2018 und ich habe zunehmend das Gefühl, man muss die Leute kontinuierlich daran erinnern, dass es einen noch gibt. Da draußen gibt es so viele Bands… also sagten wir, klar, lass uns eine EP aufnehmen. Und ich könnte nicht glücklicher sein.

Es sind zwar nur rund 20 Minuten, aber die sind auf den Punkt. Eine schöne Zugabe zu eurem letzten Album.

Wir fingen ganz einfach mit ein paar alten Demos an. An „forever rejected“ und „a minute of magick“ hatten wir zum Beispiel schon eine ganze Weile gearbeitet, und ehe wir uns versahen, hatten wir eine ganze EP fertig..

Ich habe das Gefühl, dass dir INVSN wesentlich mehr Freiheiten gibt, als beispielsweise Refused. Zumindest denke ich, dass an eine Band wie Refused viel mehr Erwartungen geknüpft sind. Stimmst du mir zu?

Der größte Unterscheid zu Refused ist, dass INVSN natürlich nicht so viele kennen. Das allein gibt uns schon enorm viel Raum, um zu experimentieren. Selbstverständlich habe ich eine Vorstellung davon, wer wir sind und ich würde mir wünschen, dass INVSN bekannter wären, aber ich fordere mich einfach gern. Während Refused einfach Refused sind, ist es mit INVSN ein stetiger Prozess. Refused spricht seine eigene Sprache und es gibt eine Menge Erwartungen. Aber INVSN definieren wir immer wieder neu. Mit jedem Release bringen wir INVSN immer mehr in die Richtung, in der wie die Band bringen wollen.

Du jonglierst in der Tat mit wirklich vielen Bands. Wie entscheidest Du, zu welcher Band diese oder jene Idee am besten passt? Hast Du da ein bestimmtes Muster?

Das kommt durchaus vor, aber ich bin sehr bemüht, den kreativen Prozess für jede Band getrennt zu halten. Wir sind zum Beispiel mit INVSN auf Tour, schreiben aber nicht an neuen Songs. Jetzt schreibe ich Songs für Refused. Als wir aber mit Refused auf Tour waren, sind die jetzigen INVSN-Songs entstanden. Aber auch hier gilt: Refused hat diese bestimmte Sprache, Haltung und eine ganze andere Energie. Natürlich kommt es vor, dass ich an etwas für INVSN schreibe und merke, dass es auch für Refused funktionieren könnte. Vielleicht sogar besser, aber ich versuche das wirklich zu trennen.

Nichtsdestotrotz kann ich mir vorstellen, dass Dir auf Tour doch mal Ideen für das eine oder andere kommen …

Klar, Dinge passieren und als nach Inspiration suchender Mensch, kann man es gar nicht verhindern, dass sie ihren Einfluss nehmen.  Die Dinge, die du durchstehst formieren sich am Ende einfach zu einer Art Bibliothek und aus der bediene ich mich. Da ich bei beiden Bands der primäre Songwriter bin, wirst du mich und meine Art zu Reden und Dinge zu formulieren unweigerlich heraushören.

Du bist schon seit fast 30 Jahren im Geschäft. Warum?

Es geht mir immer noch um die Musik selbst, ganz klar. Der Business-Aspekt ist natürlich alles andere als inspirierend, soviel kann ich dir verraten. Das ist manchmal ganz schöner Mist… (lacht) Aber ich liebe es jeden Tag neue Musik zu entdecken, neue Songs und neue Sounds. Und ja, ich mache das schon eine Weile, aber es fühlt sich für mich immer noch frisch an. Was mich motiviert ist vielleicht auch die Tatsache, dass ich nie wirklich Erfolg im Mainstream hatte…

Was auf Dauer auch sehr langweilig sein kann.

Genau! Wir haben vorhin schon darüber gesprochen. Die Menschen haben Erwartungen und das kann Kreativität durchaus behindern. Klar war 2012 ein großartiges Jahr für Refused, aber was ist das schon? Ein einzelnes Jahr von wie vielen? 25? Es gibt Tage, da will man die Miete zahlen oder sich was Schönes gönnen, wo es natürlich ganz nett wäre, mehr Erfolg zu haben. Aber das war nie mein Motor. Wenn Du mich kennst, weißt Du, dass ich etliche DIY-Touren gespielt habe, bei denen nur eine Handvoll Leute erschienen ist.  Doch das gehört dazu und ich liebe es einfach mich musikalisch auszudrücken.

Mit INVSN ist die Dynamik vermutlich eine ganz andere, oder?

Mit INVSN sprechen wir eine ganz andere Zielgruppe an. Wir spielen Shows und es gibt Leute, die keinen Schimmer haben, wer wir sind. Die wissen gar nichts über uns oder meine Geschichte. Für viele sind wir eine brandneue Band und das fühlt sich sehr interessant an. Beide Seiten zu kennen, eben diese brandneue Band auf der einen Seite zu haben, aber auch Menschen zu kennen, die einen über 20 Jahre begleiten, ist schon irre.

Sind soziale Medien und diese vielen neuen Mechaniken wie Streaming und Instagram für dich eine Herausforderung?

Die Art und Weise, wie wir Musik hören hat sich definitiv geändert. Heute sitzt niemand mehr vor seiner Plattensammlung und nimmt sich Zeit für ein Album, aber man muss auch einfach mit der Zeit gehen. Sieh dir zum Beispiel das letzte INVSN-Album an. Es sind nur sieben Songs, aber wir wollten es auf Spannung halten. Heutzutage hörst du eben nur noch vier oder fünf Songs auf Spotify. Danach verlierst du den Fokus und hörst was anderes. Für mich war Musik aber schon immer eine Kunstform und nie, acht Hit-Singles pro Album zu liefern. Aber je experimenteller ein Song ist, desto höher ist die Gefahr, dass ihn Leute heute einfach skippen. Darin liegt die Herausforderung, gerade wenn wir davon reden, was es heißt heute Künstler zu sein und man das Ganze wirtschaftlich betrachtet.

Klar, früher hat man einfach nur Platten verkauft und es lief.

Exakt! Ich weiß noch, wie ich damals mit Noise Conspiracy auf Tour war. Damals erzählte man mir, dass man keine Platten auf Tour verkauft, weil die Leute dafür in Plattenläden gehen. Die Dinge haben sich geändert, aber man muss am Ball bleiben. Für jemanden wie mich, der schon sehr lange dabei ist, ist das manchmal durchaus ein Kampf, da die richtige Richtung zu finden.

Dennoch scheinst du das gut zu meistern und hast sogar deinen eigenen Instagram Account, auf dem du den Leuten deine Plattensammlung vorstellst.

Wer mir folgt, weiß, dass ich nicht sonderlich aktiv bin, aber anstatt meines Frühstücks, teile ich gerne ein paar Aspekte aus meinem Leben. Mir gefällt die Interaktion und mein Account richtet sich an die Nerds da draußen. Ich weiß, dass ich eine ziemlich gute Plattensammlung habe, warum sollte ich sie also nicht herzeigen? (lacht) Gleichzeitig deprimiert mich die Tatsache, dass man heutzutage ziemlich gut mit Social Media umgehen können muss, um überhaupt noch gehört zu werden. Damals hast Du ein neues Album veröffentlicht, ein paar Interviews gegeben und bist auf Tour gegangen. Heute ruft dich dein Manager an und schimpft, dass deine Social-Media-Performance zu wünschen übrig lässt. WTF? (lacht) Trotzdem denke ich, dass wenn man es richtig nutzt, Instagram ein kreatives Medium sein kann. Insofern macht es mir nichts aus und ich interagiere gerne mit den Leuten.

Das wichtigste ist denke ich, dass man die Dinge am Ende ins echte Leben zurückführt.

Definitiv! Du bist mit der ganzen Welt verknüpft und es ist ein großartiges Medium, aber du musst im Hier und Jetzt leben. Und ja, es kann sehr inspirierend sein.

Gibt es musikalisch oder kreativ im etwas, bei dem du dir unsicher bist, es aber gerne austesten würdest?

Ohja! (lacht) Es gibt viel, woran ich mich noch nicht gewagt habe. Mein Gesang, meine Songs, all das… da ist immer noch Luft nach oben. Mit INVSN arbeiten wir im Moment an Songs, die nicht so sehr von Gitarren dominiert sind. Das ist eine schöne Herausforderung, besonders nachdem ich mich mit Refused so drauf gestützt hatte. Die INVSN-EP treibt diese Idee noch ein Stück weiter. Aber auch als Sänger will ich besser werden und mich mehr auf meine Stimme verlassen können. Als wir mit Refused anfingen war ich kein guter Sänger, aber ein ziemlich guter Live-Performer. Insofern habe ich meine mangelnden Fähigkeiten als Sänger kompensieren können. (lacht) Ich würde auch gerne mehr im Bereich Noise machen oder in die Industrial-Richtung gehen. Auf der anderen Seite liegen mir aber auch die Lyrics am Herzen. Ich will bessere und mehr Texte schreiben. Wenn ich ehrlich bin, sehe ich mich erst bei der Hälfte von all dem angekommen. Ich weiß dass ich in meiner Karriere schon mehr geleistet habe, als mach anderer, aber für mich ist es einfach noch nicht genug.

Wahres Understatement. Trotzdem hast du uns letztes Jahr im Oktober verraten, dass wir wohlmöglich gar nicht mit dir befreundet sein wollen würden. Du meintest, du seist ein Weirdo. Doch braucht es eine gewisse Weirdness, um gute Musik zu machen?

Ich glaube ja. Eine gewisse Weirdness muss ja nichts Schlechtes bedeuten. Ich denke, es geht vielen künstlerisch veranlagten Menschen im Allgemeinen ähnlich wie mir. Ich beziehe das aber eher auf mein Älterwerden. Wenn man jung ist, kann jeder Punk sein oder irgendetwas anderes. Aber nach einer Weile musst du einfach irgendwie anders sein, um das über Jahre durchzuhalten. Die meisten Menschen, die mich inspirieren sind tatsächlich ein wenig schräg. (lacht) Als ich noch kein Musiker war, war ich extrem seltsam, weil ich noch kein Ventil für meine Energie gefunden hatte. Doch als ich Punkmusik entdeckte, brach sich der ganze Wahnsinn endlich Bahn. Hätte ich das nicht gefunden, hätte ich jetzt, wie so viele, meine Schwierigkeiten mit der Welt umzugehen. Punk war einfach der große Befreiungsschlag. Insofern ist diese Schwäche, vielleicht auch meine große Stärke.

Bei eurem letzten Auftritt in München habe ich vor allem die sehr intime Atmosphäre genossen. Was ist für dich das Besondere an diesen Shows?

Ich finde uns großartig! Klar, manchmal kommen nicht ganz so viele Leute zu den Shows, weil wir für einige eben eine ganz neue Band sind. Aber selbst wenn wir eine Show in Boston vor zehn Leuten an einem Dienstag spielen, zweifle ich zu keiner Sekunde an uns. Es macht einfach. Gerade für Sara, André und mich, die  wir alle schon lange Musik machen, ist es immer etwas Besonderes. Natürlich könnte ich auch darauf scheißen und mich fragen, warum ich das alles mache, aber ich liebe es einfach! Und hey, wir wohnen alle noch in Umeå, also am Arsch der Welt. Das sind gerne mal acht Stunden Autobahn, um einen Gig zu spielen. Es gibt Bands, die warten auf den großen Durchbruch und wir sprachen erst neulich darüber: es ist alles gut so wie es ist. Wir sind alle über 40 und tun es einfach! Genau diese Freundschaft und eben dieser Glaube an unsere Musik ziehen mich wahnsinnig hoch.

Also freut ihr auch tatsächlich darauf, so früh wieder hier zu sein?

Oh ja! Sara rief mich erst gestern an und fragte, wieso wir nicht auf Tour sind. Aber wir sind live auch einfach am besten und fühlen uns auf der Bühne zuhause. Wir sind eine gute Live-Band und wir lieben es zu spielen! Aber um als Band erfolgreich zu sein, muss man einfach auch hart arbeiten.

Dennis, eine letzte Frage. So wie wir dich kennen, wird die EP mit INVSN dieses Jahr auch nicht das einzige sein, was wir von Dir hören werden, oder?

Erwischt! Nein, es wird dieses Jahr tatsächlich ein neues Projekt geben und zwar mit Brian Baker von Minor Threat. Wir beide und noch ein paar Leute aus dem D.C.-Hardcore-Umfeld haben ein Album aufgenommen und sind gerade im Mix. Nur so viel kann ich verraten: es wird großartig!

Doch bis es soweit ist, freuen wir uns auf den 21. April im STROM, wenn INVSN im Vorprogramm von Protomartyr ihre EP „forever rejected“ in München live vorstellen werden.


INVSN > Facebook // 21. April // STROM // Einlass: 20 Uhr // VVK: 16 Euro zzgl. Gebühren

Foto: Danny Kötter > Homepage

Interview: Tim Brügmann > Homepage