Im Gespräch: Pascow

Es ist der Ostermontag, irgendetwas nach 23 Uhr. Mit einem beherzten Wurf der Standtom setzt Drummer Ollo einen deutlichen Schlusspunkt hinter ein Punkrockkonzert, welches man nur schwerlich besser spielen kann. Pascow beweisen in dieser Nacht eindrucksvoll, dass sie mit ihrem Geballer auch einen solch seelenlosen Ort wie das Technikum in den besten Platz der Stadt verwandeln können. Ursprünglich für das Strom angekündigt, wird auch das Münchner Konzert wegen großer Nachfrage in eine Halle mit größere Kapazität verlegt. Jade, das aktuelle Album von Pascow wurde von mir hier schon ausführlich gewürdigt und kommt bestens bei den Hörerinnen und Hörern an. Dass die vier Saarländer auf der Bühne mit der Wucht eines 40 Tonners agieren, ist auch im Süden kein Geheimnis mehr. Kein Wunder also, dass die Münchner Crowed die Band gebührend feiert und den Saal ein eine tobende und pogende Menge verwandelt. Bierduschen im Sekundentakt inklusive. Schön, sehr schön.

Denn zur Hölle werden wir alle gehen / Nur meinem Tod schulde ich ein Leben

curt hat vor dem Konzert die Möglichkeit, ein entspanntes Gespräch mit Alex (Gesang, Gitarre) und Flo (Bass, Stagediving) zu führen. Um die letzten warmen Sonnenstrahlen dieses Tages nicht zu verpassen, hocken wir uns auf den staubigen Platz vor dem Backstagebereich und plaudern entspannt über die Vorzüge eines Lebens fernab von überbordenden kulturellen Angeboten, über geheime Schätze in der Plattensammlung und die Energie, die das „Doch-nicht-Schluss-machen“ freisetzt.

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Der letzte Besuch von Pascow in München liegt ziemlich genau fünf Jahre zurück. Schön, dass ihr wieder mal hier seid. Wie läuft die Tour bislang?
Alex: Bisher sehr gut, vielen Dank. Schöne Konzerte, schöne Läden, nette Leute. Bislang gibt es nichts zu meckern.

Euer neues Album hat sich zu einem Dauergast auf meinem Plattenteller gemausert. Wie seht ihr das Album selber mit ein paar Monaten Abstand?
Alex: In der Vergangenheit war es so, dass ich mir ein fertiges Album nach dem Verlassen des Studios aus reinem Vergnügen nicht wieder aufgelegt habe. Einzig, um mich an bestimmte Sounds oder technische Einstellungen zu erinnern habe ich die Songs gehört. Mit dieser Platte ist das erstmals anders, denn die habe ich nach den Aufnahmen noch oft einfach zum Spaß angehört. Die Halbwertszeit ist hier schon deutlich höher als in der Vergangenheit.

Woraus leitest du das ab? Liefen schon die Aufnahmen anders ab als sonst bei euch üblich? Das Thema „Aufhören“, welches ihr mit dem Filmprojekt Lost Heimweh angerissen habt, schwebt spürbar über Jade.
Alex: Am Ende des Lost Heimweh Projekts war für uns Vier schon klar, dass es weitergehen würde. Ich glaube, und da habe ich erst kürzlich mit Ollo drüber geredet, dass die Idee von der Auflösung der Band, die ja tatsächlich im Raum stand, den Prozess der neuen Platte positiv beeinflusst hat. Das Songwriting und das Aufnehmen waren für unsere Verhältnisse relativ entspannt. Im Vergleich zu den anderen Alben haben wir uns auch eine Woche mehr Studiozeit genommen. Wir haben uns damit ein anderes Gefühl von Freiheit geschaffen, welches wir auch auf die Platte gepackt haben. An Songs wie Wunderkind, Marie oder Schmutzig Rot kann man das aus meiner Sicht gut hören. Die Experimente, die wir hier eingehen sind auch dadurch möglich geworden, dass wir ein Stück weit kompromissloser geworden sind. Es war auf einmal klar, dass es die Band nicht ewig geben wird. Hätten wir in der Vergangenheit einen Song wie Wunderkind höchstwahrscheinlich nicht gemacht, haben wir diesmal gesagt, wenn wir es jetzt nicht machen, dann machen wir es vermutlich nie. Also haben wir unseren Mut zusammen genommen und das dann so gemacht, wie wir es wollten.

Wie kurz standet ihr denn tatsächlich davor Pascow aufzulösen? Ihr kokettiert ja nicht, sondern geht ehrlich an die Frage heran? Gibt es denn eine abschließende Entscheidung?
Alex: Als wir auf die Tour aufgebrochen sind, die in Lost Heimweh dokumentiert wird, wussten wir schon, dass am Ende ein ernstes Gespräch auf uns wartet. Einziger Tagesordnungspunkt: machen wir weiter und wenn ja, wie? Während der Reise haben wir nicht darüber gesprochen aber jedem war klar, dass das Thema nun bald auf den Tisch kommt.
Flo: Es schwebte immer hypothetisch im Raum und niemand hat sich während dieser Tage getraut das offen anzusprechen. Vielleicht auch aus Angst, es könnte dann auch wirklich das Ende sein. Und natürlich gab es eine Entscheidung. Wir sitzen ja jetzt hier. Ansonsten wäre schon viel früher Schluss gewesen.

Alex, du sagst an einer Stelle des Films „größer werden ja – dann aber auch größer abliefern“. Jetzt habt ihr ein neues Kapitel angefangen und es wird größer. Wie fühlt sich das an?
Alex: Ich glaube, dass wir uns an mehreren Stellen neu erfunden haben und versuchen auch eine Schippe draufzulegen. Sei es beim Songwriting, sein es beim Coverartwork, sei es bei den Videos. Das ganze Team mit dem wir jetzt unterwegs sind hat die Absicht es anders und vor allem noch besser zu machen wie bisher. Für unsere Verhältnisse haben wir einiges mehr investiert – vor allem Zeit, um ein Bespiel zu nennen.

Ist denn der Song Jade als eine Selbsterinnerung zu verstehen?
Alex: Ja, schon ein Stück weit. Mit dem offenen Ende des Films haben wir ja selber – bewusst oder unbewusst – gewisse Geister gerufen. Die Zuschauer gekommen ja keine Antwort auf die Frage, ob es weitergeht oder nicht. Wir wussten bei der Veröffentlichung des Films dagegen schon, dass wir weiter machen. Je mehr Leute Lost Heimweh gesehen haben, je mehr kamen die Fragen nach unserer Zukunft. Da ist der Song Jade schon ein Fingerzeig an uns selbst.

Das Piano Intro der Platte wird in einigen Rezensionen sehr skeptisch beäugt. Aber wenn ich mir den Abspann von Lost Heimweh anhört, dann schließen diese beiden Stück nahtlos aneinander an. Für mich stellt das einen logischen Übergang dar.
Alex: Genau. Ich möchte das jetzt nicht überstrapazieren. Wir finden es ganz gut, wenn ein Album auch als Album konzipiert ist und nicht nur eine Aneinanderreihung von Songs darstellt. Ein Intro, mit dem die Platte eröffnet wird und ein Abschluss wie mit Wunderkind – das ist für uns eine stimmige Sache. Für Leute die genau nicht auf diese Sachen stehen, haben wir jedes Stück als einzelnen Track ohne fließende Übergänge gestaltet. Man kann sich also die Sachen rauspicken auf die man Bock hat. Man wird nicht gezwungen das Klavierintro zu hören, wenn man Silberblick und Scherenhände hören will.

Wie entstehen eure Songs? Ihr arbeitet viel mit Zitaten, mit Inspirationen, mit Verweisen. Hast du als Songwriter einen Zettelkasten mit Ideen aus dem du dich bedienst oder entstehen die Sachen spontan aus dem Moment heraus?
Alex: Früher hatte ich tatsächlich immer ein Buch dabei, in dem ich Idee, Zitate, Textfetzen festgehalten habe. Mittlerweile ist das alles im Handy. Wenn wir komponieren läuft das eigentlich immer nach dieser Reihenfolge. Wir arbeiten die Songs instrumental aus und ich singe halt irgendwelche Worte dazu. Zuerst ist immer die Gesangsmelodie da. Wenn dann die Instrumentierung und die Gesangsmelodie stehen, folgte die Ausarbeitung des Textes der dazu passt. In der Regel beginne ich mit dem Refrain. Oft blättere ich meine Handydatei Seite für Seite durch und suche nach etwas, was griffig und stark klingt und den Sound des Songs widerspiegelt. Meine Sammlung macht mir den Einstieg in das Texten leichter. So aus dem kompletten Nichts entsteht selten ein Text.

Inwieweit ist Gimpweiler, eure Heimat, noch Inspiration für euch? Schließlich seid ihr nicht, wie eure Freunde, nach Hamburg gezogen.
Alex: Am Anfang war das eher ein Gag. Die eine oder andere zweitklassige Band schreibt sich gerne auf ihre Fahne aus dieser oder jener Großstadt zu kommen. Auch wenn es gar nicht der Wahrheit entspricht. Wir haben das genau umgedreht gemacht und auf unsere Fahne geschrieben, dass wir aus dem kleinsten Dorf der Welt kommen. Aus einer Gegend, in der als nicht mal Punkrock gibt. Im Rückblick hat das uns aber auch sehr geprägt. Wir waren gezwungen, einfach alles selber zu machen. In Gimpweiler gab es einfach keine Strukturen. Das hat geholfen, uns über die Zeit unabhängig zu machen. Ollo hat angefangen Konzerte zu veranstalten und ich habe Platten anderer Band veröffentlicht. Wir konnten uns in kein gemachtes Nest setzen. Es gab einfach nichts also mach es selbst – das ist der Gedanke, den wir mit unserer Heimat verbinden.

Was kann man von der Provinz und speziell vom Saarland lernen?
Alex: Die Dinge selber in die Hand zu nehmen, das kann man dort sehr gut lernen. Als wir Ende der 90er anfingen steckt das Internet vergleichsweise in den Kinderschuhen. Das sich vernetzten war aufwendiger als vielleicht heute. Das Saarland selber ist sehr Französisch geprägt. Das steckt auch in uns. Aber ansonsten fällt mir nicht viel ein, worin sich die Saarländische Provinz von anderen Provinzen unterscheidet.

Gab es für euch in der Jugend jemals die Entscheidung mehr Metal oder mehr Punk zu sein?
Flo: Als ich so mit 10 oder 11 Jahren anfing mich bewusst mit Musik zu beschäftigen, da war meine erste selbstgekaufte LP die Razors Edge von AC/DC. Und von diesem Zeitpunkt an kamen Metallica, Maiden, Judas Priest und dieser ganze Kram dazu. Ein paar Jahre später kam ich über ältere Kids an einen Mailorder für Punk. Das hat mich von der Message und dem ganzen Auftreten her so gekriegt, dass der klassischen Metal immer mehr in den Hintergrund gerutscht ist. Für mich war das aber nie eine Entweder-oder-Entscheidung sondern eine Entwicklung.
Alex: Der Sven ist schon immer Metal. Ollo und ich kommen vom Skateboarden und da hört man mehr Punk als Metal.

Was sind dann in euren Plattensammlungen die typischen Stücke und was würde beim Betrachter für Überraschung sorgen?
Alex: Das ist schwer zu sagen… Die Ramones sind die Band, die ich wohl am häufigsten gehört habe. Das ist die Quintessenz von allem. Später kam Indie Zeug dazu. Die Smith finde ich richtig gut. In den letzten Jahren habe ich mich viel mit Garage Sachen beschäftigt. Jay Reatard finde ich super. Ich bin immer auf der Suche nach guten Songs. Und da ist es mir letztlich egal ob die Verpackung Metal, Pop, Rock oder Punk heißt.
Flo: Ich glaube, dass man oberflächlich betrachtet von mir nicht denken würde, dass neben meinen Crass Platten auch die Cardigans stehen. Von Pop bis Hardcore-Punk findet sich in meiner Sammlung alles. Musik muss gut gemacht sein und was das dann für eine Musikrichtung ist, ist für mich absolut zweitrangig.

Und in Svens Sammlung? Bei welcher Melodic-Rock Platte verlassen alle Anwesenden fluchtartig den Saal?
Alex: Dass wir alle den Raum verlassen? Bei so Gitarrengedudel wie Steve Vai oder Zakk Wylde. Ich kann mich an eine Fahrt erinnern, wo er so eine Liveplatte von Zakk Wylde am Start hatte. Das ging für alle anderen gar nicht. Sven kann dir allerdings begründen, warum er das gut findet. Und meine erste Platte war damals auch die Final Countdown von Europe.

Lasst uns nochmal auf die Entwicklung blicken, die eure Band im Moment nimmt. War das im Vorfeld abzusehen, dass ihr eine Tour spielt, bei der Konzerte hochverlegt werden, Konzerte lange im Voraus ausverkauft sind?
Flo: Als Hamburg hochverlegt wurde, war das schon eine krasse Nummer für uns.
Alex: Abzusehen war das alles freilich nicht. Sicher ist es immer das Ziel oder besser die Hoffnung, dass ein paar Leute zum Konzert kommen und dass die Läden voll werden. Hannover, Berlin oder Hamburg sind Städte, in denen wir relativ oft waren und dort hatten wir schon eher die Ahnung, dass es vom Zuspruch recht gut werden könnte. Bei den Konzerten im Süden hingegen, wo wir einfach nicht so oft oder auch noch nie gespielt haben, da hatten wir mit dieser Resonanz wirklich nicht gerechnet.

Wie reagierte die Szene auf diese Entwicklung? Ich habe das Gefühl, dass sich viele Menschen ein gewisses, fast schon verklärtes, Bild von euch als DIY-Band haben und nun skeptisch die Entwicklung beäugen und sie euch auch nicht uneingeschränkt gönnen.
Alex: Wenn es um die Größen von Läden geht, da unterscheiden wir schon, um welche Art von Konzert es sich handelt. Bei der Tour zu unserer neuen Platte, wollen wir schon, dass alle die Leute zum Konzert kommen können, die kommen wollen. Und nicht nur die ersten 200 die sich schnell im Internet das Ticket sichern. Wir diskutieren das intern immer wieder. Klar ist es cool in einem ganz kleinen Laden zu spielen und fast mitten im Publikum zu stehen – so wie kürzlich in Zürich. Aber wenn wir das aktuell in Städten machen, wo wir einfach viele Menschen ziehen, dann wollen wir denen allen eine Chance geben und nicht nur die Schnellsten 300 belohnen.

Im Song Unter Geiern heißt es „Und nach dem letzten Stück / hör ich den Teufel sagen: der größte Trick des Punkers war, nicht mitgemacht zu haben.“ Wie oft sagt ihr Nein bevor ihr Ja sagt?
Flo: So ein Nein/Ja Pendel gibt es bei uns nicht. Es ist nur so: wenn wir einmal Nein sagen, dann bleibt es auch dabei. Es müssen schon sehr, sehr viele gute Argumente kommen, damit wir uns von einem Nein umstimmen lassen.
Alex: Wir machen die Band nebenbei und sind nicht von ihr abhängig. Geld stellt für uns kein zugkräftiges Argument dar. Von daher können wir das machen worauf wir Bock haben oder einen Sinnen und Mehrwert sehen. Ansonsten lassen wir es einfach.

Habt ihr bestimmte Ziele für die Zukunft? Zum Beispiel ein wenig mehr im Ausland auftreten oder auf bestimmten Festivals spielen?
Alex: Wenn wir das, was wir heute haben vor 20 Jahren schon in Aussicht gehabt hätten, dann hätten wir vielleicht schon alles auf die Karte Musik machen gesetzt. Heute und mit der Erfahrung der letzten 20 Jahre im Nacken erliegen wir nicht mehr dem schönen Schein. Im Augenblick sagen wir o.k. es ist cool so wie es ist und wenn es ein wenig wächst, dann sind wir fein damit. Aber es ist nichts, was wir ewig machen werden. Jeder von uns hat neben der Band ein echtes Leben und das hält uns schon sehr auf dem Teppich.

Der Blick zurück und der Blick nach vorne, wie zufrieden seid ihr mit dem, für das Pascow heute stehen?
Flo: Der Blick zurück ist auf jeden Fall zufrieden. Aber der Blick nach vorne…? Wir sind ja in der glücklichen Situation, dass wir die Dinge sich entwickeln lassen können. Und wenn Sachen kommen, bei den alle vier der Meinung sind, dass ist cool, das haben wir noch nicht gemacht, dann kann man das auch ausprobieren. Aber Ziele im Sinne eines Businessplans gibt es nicht.
Alex: Wir probieren gerne viel aus. Das stimmt schon. Wir probieren auch Sachen aus, vor denen uns die Szene warnt. ‚Hey, macht das nicht blabla…‘ aber wir wollen uns immer gerne selber ein Bild machen und dann bewerten, was davon war gut und was war eher schlecht. Es gab Festivals, da haben wir direkt beim Verlassen der Bühne gewusst, das war ok aber sowas brauchen wir nicht noch einmal. Das geben wir dann auch an unseren Booker weiter. Und andere Sachen, bei denen wir im Voraus sehr skeptisch waren, fanden wir hinterher sehr toll.

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Fotos: David Eisert