Im Gespräch: Johnny Borrell von Razorlight

Ich war ja so verknallt in dich.

Die Helden der Kindheit treffen? Da würden viele Leute sagen: Don’t do it! Aber wie sieht’s da mit den Helden der Jugend aus? Diejenigen, die einen durch die unsichersten, schwierigsten Phasen des jugendlichen Selbstfindungsprozesses begleitet haben und durch alle Aufs und Abs, die damals teils als nahende Apokalypse erschienen und nun in der Retrospektive doch nur minimalste Problemchen, der absolute Standard des Erwachsenwerdens waren. Nun ja, diese Helden sollte man manchmal doch treffen – Denn sie können alle Hoffnungen und Vorstellungen, die man sich damals über sie gemacht hat bestätigen, oder sogar noch übertreffen.

I had a major crush on you when I was 17 – so bin ich denn auch mutig in das Interview mit Johnny Borrell von Razorlight eingestiegen. Sorry, aber so eine Chance bietet sich nur einmal im Leben und ich war es dem Teeniemädchen in mir mehr als schuldig. Außerdem bin ich ziemlich ervös wegen des Rufs, den du damals in den Medien hattest, das Enfant Terrible der Indie-Szene. Und siehe da, meine Ehrlichkeit bricht das eh nicht kalte Eis mit Johnny, der sich a.) über das Kompliment freut und b.) ein Fan davon ist, Emotionen offen und ehrlich auf den Tisch zu packen.

Enfant terrible! Oder?

Sein Ruf als der Sänger mit der großen Klappe und einem übermäßig selbstbewussten Auftreten mag ihm zwar noch anhängen, hat aber sehr wenig mit dem Johnny Borrell von heute zu tun: da sitzt er nun im Tourbus, sanft lächelnd, ruhige Stimme und absolute Offenheit für die Fragen, von denen er einige wohl schon hunderte Male beantwortet hat. Seine Worte wählt er mit Bedacht und nimmt sich eingehend Zeit, um nicht nur oberflächliche Antworten, sondern Einblicke in seine Persönlichkeit zu geben. Ich wollte mir damals definitiv selbst etwas beweisen, war ständig getrieben … Vor allem von Angst”, so sagt er, “Angst davor, dass jemand da draußen auch nur eine Sekunde meiner Shows als langweilig empfinden könnte.

Nun mit beinahe 39 Jahren scheint er in sich selbst zu ruhen. Es liegen auch beinahe 10 Jahre zwischen dem letzten Razorlight-Album Slipway Fires und der aktuellen Platte Olympus Sleeping. Damals wollte er einfach eine Band machen, die er sich gern selbst live angesehen hätte. Und so steckte hinter der Musik von Razorlight mehr Instinkt als Planung und berechnetes Arrangement von Songs. Die Hitsongs, die wir damals so feierten, waren überwiegend Demos – nicht perfekt, aber dafür auf ihre simple Art exzellent, so Johnny. Auch heute noch sei er stolz auf die alten Songs und könne sich selbst all die Jahre später unverändert gut in die Melodien und Texte hineinfühlen: Wenn du die Wahrheit, deine wahren Emotionen aufschreibst, kannst du dich immer wieder darin hineinversetzen, egal wie viel Zeit vergeht.

„Meine Songs sind wie kleine Fische im Wasser“

Damals wie heute basieren seine Lieder auf autobiografischen Einblicken, wobei sich der Songwriting-Prozess für ihn gar nicht nach einem echten Prozess anfühle. Er schreibe schlicht nieder, was ihm durch den Kopf geht, die Emotionen und Erlebnisse, die ihn umtreiben. Manche Songs werden nie aufgenommen, weder für Razorlight noch für Soloprojekte. Songwriting gehört einfach zu meiner Natur. Früher hatte ich Angst, dass niemand auf ‘Aufnahme’ drückt und der Song für immer verschwunden sein könnte.

Heute sehe er es gelassener, seine Ideen beschreibt er als kleine Fische, die er in einen Teich setzt und frei schwimmen lässt. Manche von ihnen reiften dann zu Songs heran, andere nicht, er hält schlicht nicht mehr so verbissen und kontrollierend daran fest. “Manche von ihnen sind zu abstrakt oder verschachtelt, um leicht verstanden zu werden. Ich möchte durch meine Songs aber mit Leuten sprechen und das treibt mich an.”

Einen Hitsong schreiben? Das habe er noch nie gezielt versucht. Er hoffe einfach nur, dass seine Lieder Anklang finden, wobei er sich manchmal gar nicht sicher sei, ob er in der heutigen Welt da draußen noch gehört wird. Von der aktuellen Popkultur schottet er sich schließlich auch relativ gut ab: Social Media seien nicht sein Ding. Das hat mit mir nichts zu tun und gibt mir einfach nichts. Weder mitmachen noch konsumieren. Ich hab’s versucht, aber ich verbringe meine Zeit gern mit Musik, Schreiben … Ich möchte meine Zeit lieber aktiv nutzen, statt ständig zu konsumieren. Ich hab nicht mal ein Smartphone und rufe Leute immer noch an, sagt er mit einem Lächeln.

Alte Songs für neue Fans – und andersrum

Das Thema verpackungsfreie Zukunft können wir dann leider nur kurz anschneiden, da die Zeit für seinen Auftritt nahte. Aber man merkt, dass das Enfant Terrible zu sich gefunden hat, wenn er es denn je in dem Ausmaße wie berichtet gewesen ist. Er mag sich zwar aus kulturellen Phänomenen wie Social Media raushalten, eine scharfe Beobachtungsgabe und Reflexion über aktuelle gesellschaftliche und politische Themen sind ihm aber anzumerken und würden Stoff für wohl beinahe unendliche Gespräche bieten.

Nach 20 Minuten war der Zauber leider vorbei, aber endete mit einem unvergesslichen kleinen Küsschen auf die Backe – das Teeniemädchen in mir hat sich hart zusammengerissen, nicht umzufallen. Das Konzert im Anschluss war gut besucht, vor allem von alten Fans, die sich über Johnny’s frühere Fische genau so sehr freuten wie über seine neuesten Songs. Johnny’s Anti-Trump-Message vor dem Evergreen America wurde von allen Anwesenden lauthals gefeiert. Daher zu Ehren seiner Haltung, hier noch einmal einer der größten Razorlight-Hits:

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Foto: John Borrell, FB Seite Razorlight