Im Gespräch: Brother Grimm

„Wenn es die Farbe wär, wäre der Esel eine Nachtigall.“, heißt es so schön, und manchmal ist es schon ein wenig verwunderlich, wie sehr sich der Tenor bei einer Künstlerbeschreibung versteifen kann. Zumindest sobald einem die Schubladen fehlen.

Ein besonders meisterhaft mit allerlei Düsterwortschatz umgarnter Künstler ist dabei der Berliner Brother Grimm, dessen „Albträume in Fuck-Moll“ sich tatsächlich keinem dezidierten Genre zuordnen lassen. Und auch wenn sich der dunkelgewandete Hüne in seinen Songs auf nebelschwarzen Trampelpfaden bewegt, wohnt seinem Blues, seinem Soul und seiner Klage stets etwas Hoffnungsvolles inne. Wenn es im Gebälk knarzt oder ein heller Ruf einfach so verhallt, schaut sogleich eine friedlich organische Komponente ums Eck und schickt sämtliche bösen Geister weg.

Hässliche Märchen hat er zu erzählen, ein paar sogar, doch geht es bei Brother Grimm bei weitem nicht nur um Schwarz oder Weiß. Auf das Wesentliche reduziert, wird daher schnell klar, warum Brother Grimm an diesem Abend, an dem er die Industrial-Gospel-Revolutionäre von Algiers in München unterstützt, so gut reinpasst. Ehrlich, ein wenig kauzig, aber auch voller Energie und mit Kraft im Herzen, präsentiert der Alchemist in einem wohl gefüllten STROM stilecht mit Rauschebart sein zweites Album „Home Today, Gone Tomorrow“, das beim Qualitäts-Label Noisolution erscheint.

Bevor Dennis Grimm – in der Tat nicht nur ein glücklich gewählter Künstlername – zum Megaphon und seinen 6-Saiten griff, trafen wir uns mit dem so gar nicht grimmigen Blues-Man  auf ein Bier und zwei Zigaretten an der dicht befahrenen Lindwurmstraße. Ein Gespräch über Licht und Dunkel, kreatives Schaffen und alte Helden, umgarnt von durchgedrückten Hupen und Güterzugverkehr.

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Dennis, erst einmal herzlichen Glückwünsch zur neuen Platte! „Home Today, Gone Tomorrow“ heißt Deine Nummer zwei und kommt schon knapp ein Jahr nach Deinem Erstling „King For A Day, Cool For A Life Time“ raus. Wann war für Dich klar, dass ein neues Album entstehen muss?

In diesem Fall ist es so, dass ich tatsächlich relativ schnell die Aufnahmen schon gemacht hatte. Teilweise sind sie schon fast ein Jahr alt. Letztes Jahr Ende März habe ich sie bereits aufgenommen und dann ruhten sie ein wenig. Immer mal wieder habe ich ein paar  Sachen gemischt und Overdubs gemacht. Dabei war klar, dass das zweite Album zügig kommt, weil ich während der Tour zur ersten Platte schon neue Songs entwickelt habe, die ich auch live gespielt habe. Gut die Hälfte der Platte habe ich vorher schon live gespielt. Das stand also im Prinzip fest soweit und dann habe ich mich getraut, damit ins Studio zu gehen und den Rest einfach kommen zu lassen.

Deine Musik wird vorranging als sehr düster und sperrig beschrieben. Sogar albtraumhaft, was ich nur bedingt nachvollziehen kann, denn ähnlich wie bei beispielsweise Mark Lanegan, Nick Cave oder Leonhard Cohen, schwingt für mich auch immer sehr viel Leben mit. Es zieht weitaus weniger runter, als viele behaupten. Wie interpretierst Du Deine Musik?

Du bist tatsächlich einer der wenigen, der sagt, dass er oder sie es nicht so düster findet. Ich finde es ehrlich gesagt auch nicht so düster. Es kommt wohl mehr auf die Hörgewohnheiten des Einzelnen an. Am Ende siegt ja immer die Hoffnung. Sie stirbt nicht! (lacht) Weder in den Texten, noch in der Musik. Ich kann das schon nachvollziehen, wenn die Leute so empfinden, aber nicht in letzter Konsequenz.

Natürlich, Melancholie und Trauer sind dabei, doch denke ich mir: „Hey, still alive!“. Insofern ist da der Hoffnungsschimmer stets dabei. Aufgenommen hast Du das Album ja auch schließlich in der Freistadt Christiania in Dänemark. Ein umstrittener Ort, aber keineswegs düster. Was gibt es dort, was Du daheim in Berlin oder Deutschland nicht findest?

Gute Frage. Gelegenheit macht Diebe. Der Produzent beider Platten ist Temboi Levinson, der Gitarrist von Hodja, mit denen ich ein paar Jahre auf Tour war. Die ganze Geschichte starte mit dem Satz: „Ich hätte Bock mal ein paar Songs bei Dir aufzunehmen.“ Und mit dem Plan bin ich dann auch dorthin gefahren. Und am Ende dieses Gedankens stand dann auf einmal diese CD, wobei ich gar nicht wusste wie mir geschah. Dass das so einfach war, hat tatsächlich mit seiner Arbeitsweise zu tun. Ich habe das noch nie erlebt in einem Studio, dass man in so kurzer Zeit, ohne es zu merken, eine Platte aufnimmt. Andersrum gibt es viele Studios, die einen von der Größe her schon erschlagen. Da kommt man rein und hat drei Schlagzeuge oder 26 Gitarren zur Auswahl. Da verbringt man dann erstmal zwei, drei Tage mit dem Soundcheck, aber bei Boi kommst Du rein und es gibt im Prinzip einen Gitarrenverstärker und ein Mikrofon. Das hat er schneller aufgebaut als ich meine erste Zigarette gedreht habe. Ich bin angekommen, habe ausgepackt und vier Stunden später waren die ersten drei Songs im Kasten. Das ist unbezahlbar!

Apropos schnell im Kasten. Deine Songs folgen keiner klassischen Struktur. Meistens eskalieren Deine Songs zum Ende auch gerne mal. Sind das Dinge, die impulsiv bei der Aufnahme kommen oder hast Du das durchaus wohl getaktet?

Beides. Die Musik schlägt eine Richtung ein, die wohl getaktet und impulsiv entsteht. Der repetitive Faktor in der Musik ist ja unüberhörbar. Diese Explosion passiert auch nicht immer, aber ich war schon immer ein Fan von einem Grande Finale, wenn man so will.

Bei einem Deiner letzten Auftritte konnte ich mich auch genau davon überzeugen. Zwar bei Tageslicht, aber die Leute standen positiv überrascht mit offenen Mündern vor eben jenem Finale. Wie kam es zu dieser Art von Musik? Brother Grimm ist schließlich nicht Deine erste Band.

Witzigerweise endete die letzte Tour mit Sandy Bird mit einem Konzert bei Michelle Records in Hamburg. Und wie Plattenladenbesitzer nun mal sind… Man kauft am Ende immer mindestens eine, die sie gerade gespielt haben. In dem Fall war es glaube ich die erste Platte von Charles Bradley. Und auch wenn meine Musik jetzt nichts mit Charles Bradley zu tun hat, war das für mich ein Türöffner für Black Music. Also durchaus eine Tür in Richtung Soul in dem Fall. Bis dahin war ich echt ein Indie-Kid. Da habe ich den ganzen Tag Fugazi und Sonic Youth gehört. Das mach ich zwar immer noch, aber das war der Moment, wo ich mich anderen Sachen geöffnet habe. Da habe ich angefangen Soul und Blues zu hören, auch viel altes Zeug. Auch Jazz zu hören und das hört man vielleicht ein bisschen heraus.

Definitiv, wenn man es runtereduziert.

Der Ursprung schwarzer Musik ist ja auch eine Reduktion. Die Anfänge des Blues waren sehr reduziert vom Prinzip her. Und das war mir eine neue Herangehensweise an Musik, da ich früher doch sehr verspielt und gewissermaßen voll beladen unterwegs war. Das war für mich ein ganz neuer Zugang zur Musik um den ich sehr dankbar bin.

Wo steckt der große Reiz für Dich bei Brother Grimm? Ein Reiz, den Du vielleicht früher nicht hattest?

Es gibt sowohl im kreativen Prozess als auch auf Tour gewisse Momente. Manchmal führe ich kleine Selbstgespräche mit mir. Gut, mit wem sollte man die auch sonst führen? (lacht) Aber da sage ich zum Beispiel scherzhaft: „Hey Dennis, wie siehts aus? Bandprobe?“ Und dann mache ich den Verstärker an und mache ne Bandprobe zuhause. Und das ist großartig! Das ist natürlich was anderes, als sich mit einer Band Termine zu überlegen. Dann kann wieder jemand nicht. Irgendwer hat immer n schlechten Tag oder eine Bandprobe scheitert einfach. Auf Tour ist das dasselbe. Ich habe jeden Morgen, wenn ich von einem Ort zum anderen aufbreche, diesen Moment im Auto, an dem ich einsteige, die Tür zumache und kurz durchatme. Und da weiß ich, keiner ist zu spät, ich muss auf keinen warten und keiner ist schlecht gelaunt. Und ganz wichtig, keiner ist verschwunden! (lacht)

Was durchaus mal passieren kann…

Ja das passiert. Alle sind da, alle sind gut drauf und wenn sie schlecht drauf sind, ist es auch okay, weil es ist ja nur der eine. Das genieße ich sehr. Aber Bands sind toll! Wir haben früher tolle Dinge gemacht und aus meiner persönlichen Sicht war das eine schöne Zeit. Es macht Spaß mit einer Band Musik zu machen, allein aufgrund des kreativen Austauschs. Das kann sehr befruchtend aber manchmal auch einschränkend sein. Allein Musik zu machen hat zwar auch seine Grenzen, aber es ist schon eine große Befreiung. Man ist keinem Korrektiv untergeordnet. Das ist durchaus gefährlich, aber um wirklich herauszufinden, ob ein Song funktioniert, muss ich ihn in sehr rohem Zustand jemandem vorspielen. Und dann entwickele ich das Gefühl erst, ob das funktioniert. Aber ich bin völlig befreit von allem und kann grenzenlos alles machen, was ich will. Ohne jede Rechtfertigung ist das wirklich einfach nur großartig.

Fungiert die Bühne dann auch mal als Testing Ground oder bist Du da noch eher schüchtern?

Letztlich ist die Bühne immer Testing Ground für Ideen. Das ist manchmal klasse und manchmal auch schwierig. So richtig merkt man es erst auf der Bühne, ob etwas funktioniert. Und das ist gefährlich, aber auch schön, weil es natürlich einem neuen Song eine ganz andere Dramatik gibt. Vor allem wenn man ihn zum ersten Mal spielt und man merkt, dass er klappt. Und dabei misst man das nicht immer an der Reaktion des Publikums allein. Ich merke das beim Spielen schon aufgrund der Tatsache, dass ich den Song spiele und andere zuhören. Da kriege ich ein anderes Gefühl zum Song und merke relativ schnell, ob es funktioniert oder nicht.

Du bist häufig mit Label-Kollegen von Noisolution unterwegs. Wie steht es dabei um Synergien und die generelle Zusammenarbeit mit dem Label? Schließlich beweist Arne Gesemann schon seit vielen Jahren ein sehr gutes Händchen was Kooperationen angeht.

Ich glaube am wichtigsten bei der Zusammenarbeit, sowohl beim Booking, als auch beim Label, ist dass man sich gegenseitig über den Weg traut. Es ist fast dieselbe Geschichte wie bei Magnificent Music, die meine Band Sandy Bird damals schon gebucht haben. Ich finde es sehr wichtig, mich gut aufgehoben zu fühlen und den Leuten mit denen ich arbeite zu vertrauen. Vor allem auch zu wissen, dass wir gemeinsame Ziele haben und einen gemeinsamen Weg finden, diese zu erreichen. Ich denke es gibt verschiedene Zugangswege zu Label und Booking. Es gibt Leute die sagen, aufgrund dieser zwei Bands will ich da hin. Ich für meinen Teil mag das Programm von Magnificent Music und Noisolution, aber das war für mich an keinem Punkt ein Grund, da teilnehmen zu wollen. Mir geht es eher um die Menschen, die das Label betreiben. Da bin ich bei Arne und Äxl jedenfalls in sehr guten Händen.

Und dann noch vor der Haustür.

Haha, dann ist das auch noch zuhause, stimmt. Zwar ist es in der heutigen Zeit nicht mehr so entscheidend, aber schon schön, sich einfach mal auf ein Bier oder einen Kaffee treffen zu können und über „Karriere“ zu sprechen.

Wir neigen uns dem Ende zu und was liegt da näher, als sich auch mit dem Ende Deiner neuen Platte zu beschäftigen? Du hast im letzten Track eine wunderbare, nicht anbiedernde Hommage an David Bowies „Heroes“ versteckt. Bewusst kein Cover, was mir sehr gefällt. Welchen Stellenwert nehmen solche Ikonen für Dich und Deine eigene Musik ein?

Ist das nicht ein wundervolles positives Ende dieser Platte? (lacht) Klar, Bowie hat schon großen Anteil an allem, was die letzten 40 Jahre musikalisch passiert ist. Von daher war er schon einer der großen Helden. Vor allem was seinen Mut angeht. Bowie hat ja viele Dinge gemacht, mit denen andere ganz sicher gescheitert wären. Aber aus irgendeinem Grund, der nicht so richtig greifbar ist – abgesehen von der Qualität und seiner Ausstrahlung – hat das funktioniert. Er konnte immer alles machen und das war immer alles gut. Ich glaube was viele Musiker machen, ist dass sie sich in ihren ersten Jahren ausprobieren und dann ihr Rezept finden. Und wenn das dann auch noch erfolgreich ist, verfolgen sie das weiter. Das hat Bowie nie gemacht. Mit „Ziggy Stardust“ war er so on top und dann Soul-Platten machen? Ich kann mir vorstellen, dass die Leute in seinem PR-Umfeld wahrscheinlich Amokgelaufen sind.

Aber nein, er macht erstmal Soul-Platten, um dann nach Berlin zu gehen und sich wieder neu zu erfinden …

Aus heutiger Sicht ist das schwierig zu beurteilen, klar gab es die richtigen eingängigen Hits, aber ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie es sich anfühlt „Space Oddity“ 1969 zum ersten Mal zu hören. Das war sicher schon etwas weird.

Nichtsdestotrotz würde ich gerne noch einen Blick in die Zukunft wagen. Brother Grimm, ist das ein Projekt oder siehst Du Dich kreativ in den nächsten Jahren woanders? Kann die Laune so schnell umschlagen wie sie gekommen ist?

Ja! Definitiv… Die Ursprungsidee und das Prinzip alleine Musik zu machen, war tatsächlich Musik zu machen, die ich sowohl allein als auch mit Band umsetzen kann. Insofern will ich es nicht kategorisch ausschließen, wieder Bandmusik zu machen. Ich kann nur ausschließen, dass ich irgendwann nur noch Bandmusik mache. Da ist Brother Grimm schon mehr als ein Projekt. Das klingt fast ein wenig gefährlich, aber er ist schon auch das Ende einer Reise. Ich habe das Gefühl, dass ich da einen Teil von mir gefunden habe. Das kann aber alles bedeuten. Ende offen.


Brother Grimm und sein experimentelles Einmann-Blues-Orchester zwischen Cave und Bowie mit einer Prise Neubauten entsprechen sicher nicht dem, was man sich unter einem geselligen Konzertabend vorstellt. Seine düster-schöne Melancholie und das fesselnde Handwerk jedoch mit allerlei Metaphern-Zauber zu belegen, verklärt den Blick auf das charismatische Gerippe seiner Meditationen. Treibende Saiten-Anschläge, Prophetisches aus dem Megaphon oder einfach nur Soundteppiche gepaart mit Kraftvollem aus der Kehle machen die Musik von Brother Grimm zu dem wohl Eindringlichsten, was das Land rund um die Hauptstadt derzeit zu bieten hat. Wo sich das Dunkel mehrt, strömt auch Licht hinein.

Live und in Farbe kehrt Brother Grimm am 02. Februar im Vorprogramm der Space-Krauts von Coogans Bluff zurück nach München und verspricht im Feierwerk das Ying zum Yang der Label-Kollegen aus Rostock.


Brother Grimm > Homepage // 2. Februar // Feierwerk (Kranhalle) // Beginn 20 Uhr // VVK 12 EUR zzgl. Geb

02.02.2018 – DE – München, Feierwerk + Coogans Bluff
03.02.2018 – CH – Luzern, Treibhaus + Coogans Bluff
23.02.2018 – DE – Berlin, Badehaus RECORD RELEASE PARTY
24.02.2018 – DE – Großhennersdorf, Kunstbauerkino
09.03.2018 – DE – Weimar, Kasseturm
10.03.2018 – CH – Rorschach, Treppenhaus
11.03.2018 – DE – Freiburg, Slow Club
15.06.2018 – DE – Mannheim, Maifeld Derby

Interview: Tim Brügmann > Homepage