40 Jahre Glockenbachwerkstatt – Kultur von allen für alle

„Geduld, Vernunft und Zeit macht möglich die Unmöglichkeit.“

Dieses Zitat des deutschen Dichters Simon Dach aus der Barockzeit hat auch für die 1979 gegründete Glockenbachwerkstatt e. V. seine Gültigkeit. Das alte, freundliche Bürgerhaus mitten im Herzen der Stadt ist im Winter ein warmes Wohnzimmer, im Sommer ein grüner Biergarten. Vor allem aber ist es ein Treffpunkt für Jugendliche, Musiker, Künstler und Kreative, zugleich Förderzentrum der Erziehung, der Wohlfahrtspflege und der Integration von verschiedenen Gruppen in ganz München.

Alles hat als Elterninitiative angefangen, um Betreuungsmöglichkeiten für Kinder zu bieten. „Damals hatte das Viertel einen anderen Charakter als jetzt, es war noch nicht durchgentrifiziert. Griechische, türkische Migranten und Geflüchtete vor dem Jugoslawien-Krieg wohnten hier“, erklärt Andreas Alt, Mitarbeiter des Vereins seit 2004.

„Die Nachbarschaft wollte selber etwas machen und brauchte dafür einen Raum. Deswegen hat die Stadt dieses Haus für das Projekt gemietet.“ Heute, mit 47 Mitgliedern und ca. 40.000 Besuchern allein im vergangenen Jahr, hat das Angebot sich enorm erweitert: offene Kinder-, Jugendlichen- und Erwachsenen-Kurse, Stadtteiltreff, Bandräume, Bolzplatz, Kindergarten … und Preise, die auf schmale Budgets zugeschnitten sind.

Egal ob morgens oder abends, unter der Woche oder am Sonntag: Wer zur Glocke kommt, spürt sofort die lockere Stimmung und große Vielfalt. Während des Tages reicht das Angebot von Töpfern und Schreinern über Capoeira bis hin zu Fußballtraining, Kindergarten und Schülerhort. Später, wenn die Sonne untergeht, wird die Werkstatt zur gemütlichen Kneipe und Konzertbühne, wo auch Elektro-Partys, Hip-Hop Sessions und Diskussionsrunden stattfinden. „Es ist so wichtig für uns, dass unsere Besucher auch ohne Geld Kultur genießen können“, erklärt der Sozialpädagoge und betont nochmals, dass in der Glockenbachwerkstatt keiner gezwungen wird, etwas zu konsumieren. „Man muss nicht trinken, nicht essen, gar nichts, man kann einfach nur da sein.“

Glocke 1990 Sommerfest; Quelle: Glockenbachwerkstatt-Archiv

In der Blumenstraße 7 steht die Tür immer offen. Das Haus verbindet Generationen, Kulturen und Nationalitäten. Es ist ein Ort für Dialog, Partizipation und Mitgestaltung. Wer also einen Kurs geben oder selbst eine Veranstaltung auf die Beine stellen will, bringt einfach seine Ideen mit. „Es ist gut, dass wir von der Stadt unterstützt werden und uns nicht diesem komplett kommerziellen Anspruch unterwerfen müssen. Jeder kann sich ausprobieren“, betont Alt. „Dabei muss nicht beim ersten Mal alles super klappen und tausend Menschen kommen. Es geht auch, wenn einfach 30 Leute kommen. Das ist total schön und die Veranstalter lernen ebenfalls dazu.“ Ja, an Flexibilität mangelt es dieser coolen Location wirklich nicht.

Aber wie in jeder Familie gab es auch schwierige Momente in der Glockenbach-Gemeinschaft. Etwa als vor rund fünf Jahren der hauseigene Bolzplatz wegen einer Renovierung eines Stadtgebäudes fast verschwunden wäre. Dank der riesigen Mobilisierung von Eltern, Nachbarn und sogar Prominenten fand die Stadt eine Bebauungsalternative, um die Fläche intakt zu lassen. Zu Recht ist Andreas stolz auf dieses Ereignis: „Es war eine tolle Erfahrung auch für die Kinder, die zu dieser Zeit den Kindergarten besuchten. Für die war es ein totales Demokratie-Erlebnis: auf die Straße gehen, demonstrieren und gewinnen. Durch diese ganze Geschichte sind wir mehr miteinander verbunden.“

Und weil Raum ohne Zeit nicht existiert, loben sie gerade ihres 40. Jubiläum mit mehr Herzblut als je zuvor. „Wir wollen nicht so einen Tag mit großem Getrommel veranstalten, wo wir sagen, wir sind jetzt 40 … und dann ist alles vorbei, sondern wir haben verschiedene Bausteine, reguläre Veranstaltungen mit Highlights“, berichtet er und fügte hinzu, dass auf ihrer Homepage eine Ecke für alte und neue Fans eingerichtet wurde, um Anekdoten, Fotos oder Videos zu teilen. Also eine Plattform, auf der jeder mitmachen kann.

Die Stadt verändert sich und dies betrifft alle Bereiche der Gesellschaft: Bildung, Wohnung, Nachtbarschaft. Deshalb lohnt es sich, Initiativen wie die Glockenbach-werkstatt zu bewahren, in denen der Austausch und die Integration mehr wiegen als der Kommerz. Genau so galt es gestern, genau so gilt es heute in der Glocke: Kultur von allen, für alle. Die Diversität des urbanen Lebens gilt es zu umarmen.

Für die Zukunft hat Andi noch einen Wunsch: „Wir wollen weiterhin eine Oase bleiben, in die Menschen kommen können, in der sie sich ausprobieren können. Deine Herkunft, deine Identität ist dabei egal.“ #dasistglocke

Bürgerhaus Glockenbachwerkstatt > Homepage

Dieser Artikel ist in unserer Printausgabe curt #92 im April 2019 erschienen.


Unser Interviewpartner: Andreas Alt (Foto: Lara Freiburger)