Kurz vor Ostern schaute Klaus nochmal kurz ins Büro. Klaus Billmeyer gehört seit fünf Jahren zum Straßenkreuzer-Team. Er ist Stadtführer, Verkäufer und Mitarbeiter beim Pfandprojekt des Straßenkreuzers am Flughafen. Jetzt geht nichts mehr - doch Klaus klagt nicht. Vielleicht, weil er in den bald zehn Jahren, die er in seinem Leben ohne Obdach auf der Straße verbracht hat, existenzielle Krisen gemeistert und sich nie aufgegeben hat. Jetzt freut er sich, dass er eine Wohnung und eine Freundin hat und nicht krank ist.
Günter Dietz hat keinen Weg gescheut, um an einen Straßenkreuzer zu kommen. Mit Rollator und einem Lächeln kam er aus der Südstadt (!) zum Maxplatz 7, klopfte ans Fenster des Vertriebsbüros und kaufte sich abstandsgerecht ein Exemplar. Glück gehabt, lieber Herr Dietz, dass grade Barbara Lotz im Büro war. „Ich kaufe jeden Monat einen Straßenkreuzer, darauf wollte ich nicht verzichten. Dann hab ich gesehen, dass der Bus gleich hier hält und bin hergefahren. So komm ich an die frische Lust und an ein Heft. Mir ist es wichtig, die Verkäufer zu unterstützen, denn jeder Mensch kann in eine schwierige Situation kommen oder sogar abstürzen. Ob verschuldet oder nicht, das ist doch völlig egal. Und ich lese jedes Heft auch. Muss sagen, da sind immer interessante Geschichten drin.“
Elisabeth „Eli“ Heyn gehört seit ein paar Jahren zum bunten Team der Straßenkreuzer-Schreibwerkstatt. Die Mitglieder, Verkäufer*innen und Leser*innen des Magazins, treffen sich in normalen Zeiten donnerstags. Sie tauschen sich aus, diskutieren – und schreiben, auch für den Straßenkreuzer. Die Freude am Schreiben verbindet sie alle. Eli ist Ärztin, vor ein paar Tagen hatte sie ihren ersten Einsatz in der Drive-In-Corona-Teststation, die beim Möbelhaus Höffner aufgebaut wurde. „Es hat bestimmt 15 Minuten gedauert, um mich so zu verpacken, dass ich einsatzbereit war. Allein drei Paar Handschuhe musste ich anziehen. Es waren sehr viele Helfer da, von Polizei, Feuerwehr bis zum THW und natürlich medizinisches Personal. Ein riesiger Aufwand mit an die 20 Leuten, der mich schon verblüfft hat. Letztlich habe ich dann schätzungsweise 25 Personen getestet, die sich vorher über die allgemeine Telefonnummer 116117 mit Symptomen gemeldet hatten. Darunter zum Beispiel eine LKW-Fahrerin, die nach einer Frankreichfahrt unter Quarantäne stand, aber gebraucht wurde. Eine Frau kam mit einem geliehenen Auto, weil sie kein eigenes hat. Ein Kollege und ich haben nur Abstriche genommen, das hätten auch weniger qualifizierte Personen erledigen können. Was mich umtreibt, ist aber etwas ganz anderes: Ich denke, wir alle müssen achtsam sein, dass wir uns nicht psychisch isolieren, allein bleiben, auf diese Weise krank werden. Das Zwischenmenschliche darf nicht kaputt gehen, deshalb finde ich es so wichtig, dass das Straßenkreuzer-Team Kontakt zu allen Verkäufern hält. Was ich mir wünsche: dass die spirituelle Dimension dieser Krise thematisiert wird. Mich erinnert die öffentliche Stimmung an eine kollektive Trauma-Situation, hinter der letztlich die Angst vor dem Tod steht. Eine solche Pandemie wird auch in dem Roman „Die Pest“ von Camus beschrieben, ich kann diese Lektüre nur empfehlen. Darin siegt zum Schluss das Erbarmen und die Nächstenliebe. Egal, wie es endet.“
Karlheinz „Carlo“ Schnabel war 2008 der erste Stadtführer unserer Schicht-Wechsel-Touren an Orte der Armut und Hilfe in Nürnberg. Er war Verkäufersprecher und hat sich in der Schreibwerkstatt engagiert. Das macht seine Gesundheit alles längst nicht mehr mit. Aber seinen Verkaufsplatz am Einkaufszentrum Röthenbach/Schweinau würde er auch mit seinen 70 Jahren nicht aufgeben wollen. „Ich bin jetzt, wie alle vernünftigen Leute, meistens zu Hause. Nur mit dem kleinen Hund geh ich natürlich raus. Ich bin schon lange krank, mein Herz ist kaputt. Aber ich habe eine Lunge wie ein Pferd – obwohl ich rauche. Rauchen ist mein kleiner Luxus, den ich mir leisten kann, weil ich den Straßenkreuzer verkaufe. Das sag ich auch ganz ehrlich meinen Kunden. Ach, die vermisse ich sehr. Der Kontakt zu meinen Kunden ist unbezahlbar. Angst habe ich nicht. Schau, ich bin 70, da kann es immer mal zu Ende sein, auch ohne Corona. Ich lebe bescheiden und versuche über die Runden zu kommen. Und wenn es vorbei ist mit dieser Gefahr, dann geh ich wieder an meinen Verkaufsplatz. Ich hab so tolle Kunden, die warten auf mich. Da bin ich ganz sicher.“ / Foto: Maria Bayer
Lidia und Natanael Csapai hatten schon vor Corona zu kämpfen, um sich und ihre beiden kleinen Kinder, den knapp dreijährigen Efraim Natanael und die sieben Monate alte Damaris Luisa, Monat für Monat über die Runden zu bringen. Jetzt kommen zu all den finanziellen Sorgen die Ängste um die Gesundheit der Familie dazu. Lidia berichtet:  „Wir sind sehr besorgt. Ich vermeide es, überhaupt rauszugehen. Ich mache meistens die Fenster auf, damit die Kinder frische Luft bekommen. Natanael hat einen Putzjob und nicht viel verdient. Jetzt bekommt er wegen Kurzarbeit noch viel weniger. Wir sind vor gut zehn Jahren aus Rumänien gekommen, um nicht immerzu in Armut zu leben. Es ist auch hier nicht einfach. Wir zahlen für eine winzige Wohnung 600 Euro Miete und haben Angst, wie es weitergehen kann. Wir müssen alles, was wir benötigen, über den Straßenkreuzer-Verkauf verdienen. Essen und vor allem Anschaffungen für die Kinder. Jetzt fehlt uns das Geld und auch der Kontakt zu den Kundinnen und Kunden. Wir vertrauen auf Gott, dass es bald wieder besser wird.“ / Foto: Anika Maaß
„Ich stricke gerade mehrere Socken für gute Kundinnen. Wenn ich damit fertig bin, dann kann ich gerne weitere Socken stricken. Da brauche ich die Größe bitte. Eigentlich nehme ich kein Geld, weil ich das ja nur für gute Kunden und Kundinnen mache. Aber das ist jetzt schon sehr nett.“ Resmiye Sarigül verkauft den Straßenkreuzer seit 1997. Viele Menschen kennen sie als „die Frau, die beim Karstadt Eingang Königstraße steht“. Die 68-jährige Türkin hat vier Kinder geboren und allein großgezogen. Als zehnjähriges Mädchen hatte Reymiye in Izmir von einer Tante Häkeln gelernt. Kurz darauf hatte sie die ersten Hausschuhe fertig. Bis heute sind die feinen Fußwärmer ihre Spezialität. / Foto: Daniele Riesner
Sami Karatas, geboren in Westanatolien, kam 1979 nach Deutschland. Seit 2014 verkauft er den Straßenkreuzer: „Ich bin gesund und wünsche das auch allen anderen. Ehrlich gesagt habe ich schon ein wenig Angst und ich hoffe, dass die Sperre in zwei Wochen vorbei ist. Wir können jetzt keinen Straßenkreuzer verkaufen. Das ist hart. Aber ich habe zumindest ein Zuhause. Viel schlimmer ist es für Obdachlose. Die wissen am wenigsten wo sie hingehen können und wo sie sicher sind.“ / Foto @instaklickklack / www.strassenkreuzer.info
Waldemar Graser hat - wie einige andere - noch ein paar Hefte und will verkaufen, so lange es geht. Seine Eindrücke heute Nachmittag: „Es ist gespenstisch hier, auf dem Zwischendeck im U-Bahnhof Weißer Turm. Wo sonst tagsüber tausende rechts von der U-Bahn in die Stadt strömen und Tausende von links auf die U-Bahnsteige strömen - jetzt laufen alle zehn Minuten eine handvoll Menschen an mir vorbei. Vor mir der tote C&A, hinter mir der tote Wöhrl, neben mir der halbtote Zeitungskiosk. Ich komme mir vor, als würde ich meinen Verkaufsplatz auf dem Südfriedhof haben. Halt, eine Kundin! Sie kauft ein Heft und gibt mir 2,50€. Die erste Verkaufshandlung seit zwei Stunden. Ohne eine Spur von japanoider Firmentreue ist dieser Arbeitstag nicht durchzuhalten. Immerhin: Ich habe heute bis jetzt 1,40€ verdient. Vielleicht werden’s ja mehr.“ / www.strassenkreuzer.info
Klaus Billmeyer ist Stadtführer, Verkäufer und Mitarbeiter beim Pfandprojekt des Straßenkreuzers. / www.strassenkreuzer.info