Andreas Radlmaier im Gespräch mit: Marcus Bosch

FREITAG, 1. JULI 2016

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Seit fünf Jahren ist Marcus Bosch Generalmusikdirektor am Staatstheater und fühlt sich mittlerweile angekommen in Nürnberg. Als Chefdirigent der Staatsphilharmonie versucht er mit neuen Konzertformaten wie „Phil & Chill“ Traditionen aufzubrechen und im öffentlichen Bewusstsein zu landen. Das Preisträger-Konzert des 1. „Meistersinger“-Wettbewerbs auf dem Hauptmarkt (am 28. Juli, dem Vorabend zum Bardentreffen) mit Arien von Mozart bis Verdi passt bestens zu seiner Idee eines Klassik-Relaunch.

FÜR Seine Vorstellungen kann Bosch, der zugleich künstlerischer Leiter der Opernfestspiele Heidenheim ist und Gastdirgient zwischen Mailand und Athen, auch an die nächste Generation weitergeben: Ab dem Herbst ist er Professor für Dirigieren an der Musikhochschule München.

A.R.: Was macht eigentlich ein Dirigent in der Sommerpause des Opernhauses?

MARCUS BOSCH: In der Tat schaffe ich es seit etwa drei Jahren, Urlaub zu machen. Ich versuche, das auch konsequent durchzuhalten. Viereinhalb, fünf Wochen an einem Fleck zu sein, nichts zu machen. In den ersten drei Tagen darf man mich dann für gewöhnlich nicht ansprechen, aber wenn mein Schlafdefizit aufgeholt ist, geht’s los: Tennis spielen, segeln, Fahrrad fahren, lesen. Und die Beschäftigung mit den Kindern, die ich über das Jahr nicht habe, steht natürlich auch im Vordergrund.

A.R.: Vor dem Urlaub wartet noch jede Menge Dirigier-Arbeit. Auf dem Hauptmarkt bei den Neuen Meistersängern und im Luitpoldhain beim Klassik Open Air, aber auch in Heidenheim. Dort sind Sie künstlerischer Leiter der Opernfestspiele. Welchen Reiz hat das für Sie?

MARCUS BOSCH: In einem Satz gesagt: Ein Festival ist ein Ort, eine Form, wo man Produktionen von Grunde auf komplett gestalten kann. Das macht wahnsinnig Spaß, das zu organisieren, zu managen, Künstler zusammenzubringen. Das vor allem vor dem Hintergrund, die besten Voraussetzungen zu schaffen für ein Arbeiten ohne Widerstand. Wo es nur die Aufführung als Ziel gibt. Das ist auch der Sinn und die Uridee eines Festivals, etwas Besonderes zu schaffen, fern vom Tagesgeschäft, fern von Familie, fern von den täglichen Belastungen.

A.R.: Sie sprechen von einer widerstandsfreien Zone. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die Zwänge im Theateralltag ungemein größer sind.

MARCUS BOSCH: Na klar. Es reden viel mehr Menschen an dem „Produkt“ mit. Und verschiedene Meinungen, das ist logisch, müssen ausdiskutiert werden. Verschiedene Meinungen führen immer zu Kompromissen. Bei einem Festival wie den Heidenheimer Opernfestspielen muss ich viel weniger Kompromisse eingehen.

A.R.: Also das autokratische Paradies?

MARCUS BOSCH: Würde ich gar nicht sagen. Es geht noch mehr um ein Miteinander, weil es nur um die eine Sache geht.

A.R.: Bedeutet das Kärrnerarbeit für Sie, in Heidenheim Opern-Begeisterung zu entfachen?

MARCUS BOSCH: Kultur zu erklären ist überall Kärrnerarbeit. Aber da haben meine Vorgänger schon hinreichend Humus geschaffen. Die Opernfestspiele sind allerdings auch durch schwere Zeiten gegangen, samt Eliten-Vorwurf. Ein neues Publikum zu gewinnen, war für mich immer ein großes Thema. Es gibt so viele Hemmschwellen. Und das können ganz schlichte Dinge sein: ich weiß nicht, was ich da reden soll, ich weiß nicht, was ich da anziehen soll, ich weiß nicht, wie ich mich bewegen soll? Dieses große Unsicherheitsgefühl zu nehmen, wird auch verstärkt Aufgabe der Theater sein, ihre Mitarbeiter viel stärker einzusetzen.

A.R.: Als Integrationsfiguren?

MARCUS BOSCH: Als Handreicher. Dem jeweiligen Bekannten- und Freundeskreis mitzuteilen: Das ist mein Arbeitsplatz und das Resultat ist sicher auch etwas für Dich. Wir müssen daran arbeiten, wie wir die Menschen ansprechen, wir müssen Begeisterung aussenden.

A.R.: Ab Herbst gehen Sie im Festsaal des Künstlerhauses auf Publikumsfang. Dorthin wird die Reihe „Phil & Chill“ verlegt. Klappt bislang die Gleichung Clubsounds von heute und Klassik von gestern ist gleich das Publikum von morgen so einfach?

MARCUS BOSCH: Medial wird der Gang des Orchesters in einem Club am meisten wahrgenommen. Auf Exotik springen Medien an. Für inhaltliche Verbesserungen braucht man viel mehr Zeit, einen längeren Atem, um Wertschätzung zu generieren. „Phil & Chill“ ist eine Reihe, bei der wir fortlaufend experimentieren, wie wir auf Menschen zugehen können, wo wir gute Sachen gemacht haben, wo wir Dinge angeboten haben, die nicht angekommen sind. Im Publikum gibt es zwei Strömungen: Die einen, die eine Mozart-Symphonie im Club hören wollen, also den Bruch erleben wollen. Andererseits sehen wir, wie schwierig es ist, ein echtes Crossover mit den DJs hinzukriegen, Musik zu spielen, die inspiriert ist vom Clubbing. Aber das ist eine große Herausforderung für die Hörer: klassische Musik mit Verfremdung zu erleben. Es ist ein work-in-progress, für das wir auch nicht das ideale Rezept gefunden haben. Aber inzwischen drehe ich das herum und sage: Es ist klasse, Dinge ausprobieren zu können und mit Erwartungshaltungen frei umzugehen und auch zu spielen.

A.R.: Ist der Club-Sound Ihre Welt?

MARCUS BOSCH: Würde ich nicht sagen. Da bin ich auch zu seltener Hörer.

A.R.: Sehen Sie die Überlebenskunst der klassischen Musik pessimistisch?

MARCUS BOSCH: Null. Wir haben bei den Kinderkonzerten ein neues Abo eingeführt und liegen dort bei 900 Stück. Die Auslastung der Philharmonischen Konzerte steigt. Das hat lange gedauert, so wurde es mir auch prophezeit, dass Nürnberg nicht im Sturm zu erobern ist, sondern nachhaltig. Man sieht es beim Klassik Open Air, das sicherlich auch Event-Charakter hat: Es wächst und wächst und wächst. Kurzum: Ich bin der falsche Mann für Pessimismus. Wir müssen sicher auffangen, was die Schulen nicht mehr leisten können, wir müssen die ursprüngliche Freude, Begeisterung, Sehnsucht, Berührung, Sensibilität, die klassische Musik, und nur diese, teilweise auslösen kann, vermitteln. Ich prophezeie, dass es nie eine Krise der klassischen Musik geben wird, sondern wenn dann eine Krise der Vermittlung.

A.R.: Wir hängen immer noch einem Aufführungsritual des 19. Jahrhunderts nach. Muss man das also ändern?

MARCUS BOSCH: Ich glaube, man muss genau das machen, was wir machen. Auf der einen Seite dieses Ritual betonen, zum Beispiel mit Konzerten im Historischen Rathaussaal, wo man erleben kann, das eine Beethoven-Symphonie eine markerschütternde Angelegenheit sein kann, weil sie für Räume geschrieben wurde, die diese Symphonie akustisch nicht aushält, wo bewusst ein Raum gesprengt wird. Ich glaube folglich nicht, dass das Ritual das Problem ist. Es gibt viele Menschen, die das Reine wollen. Das ist der eine Weg, den man sogar verstärken muss. Für diejenigen, die erst einen Zugang finden müssen, und das werden immer mehr werden, brauche ich Formate, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen, ihnen die Hemmschwelle zu nehmen.

A.R.: Wenn wir schon bei Ritualen sind: Was macht der Bühnenfrack mit Ihnen?

MARCUS BOSCH: Viel Arbeit.

A.R.: Man verwandelt sich also nicht in einen anderen?

MARCUS BOSCH: Ich dirigiere eigentlich viel lieber im Gehrock. Ich mag den Frack, aber er verschlingt wahnsinnige Summen im Jahr für die Reinigung. Er ist ein gewachsenes Kulturgut und die passende Etikette für ein Orchester. Ich brauche das nicht, halte ihn aber für reizvoll. Im Opernhaus ist übrigens zu beobachten, dass gerade die jungen Menschen extrem gut angezogen sind. Da gibt’s sicher Sehnsüchte und Pendelbewegungen. Es hat aber einfach was, wenn sich Menschen für ein paar Stunden in Schale werfen und damit anders fühlen. Es gibt da ein Bonmot von Pierre Boulez: Um einen Frack wirklich tragen zu können, brauchen Sie 400 Jahre.

A.R.: Wie sind Sie überhaupt in der klassischen Musik gelandet?

MARCUS BOSCH: Ich bin aufgewachsen mit klassischer Chormusik. Meine erste Platte, die ich zum Geburtstag bekommen habe, war die „Fünfte“ von Beethoven, mit Georg Solti und dem Chicago Symphony Orchestra. Da war ich zehn. Ich war in der musikalische Früherziehung und habe Blockflöte gelernt, da hat man meine Begabung bei mir gesehen. Daraufhin mussten meine Eltern mir ein Klavier kaufen, was für sie wirklich ein finanzieller Kraftakt war damals. Das Klavier habe ich heute noch.

A.R.: Aber Sie kommen nicht aus einem musisch geprägten Haus?

MARCUS BOSCH: Insofern schon, dass meine Eltern den Kirchenchor geleitet haben. Sie waren sehr kirchenzentriert, Theater war nach ihrem alten Pietismus schon Gaukelei. Es ging darum, Musik zu Ehren Gottes zu machen. Damit bin ich aufgewachsen.

A.R.: Also eine gläubige Familie. Welche Haltung haben Sie dazu – heute?

MARCUS BOSCH: Natürlich hat sich da viel bei mir verändert. Aber ich merke, dass das eine tiefe Wurzel meiner selbst ist, davon ist sicher ein großer Teil meines Musizierens, meiner Gefühle beeinflusst. Wir machen am 1. November das „Deutsche Requiem“ von Brahms in der Gustav-Adolf-Gedächtniskirche. Als ich das das letzte Mal dirigiert habe mit Orchester im Aachener Dom, habe ich danach Rotz und Wasser geheult. Und konnte das lange nicht mehr dirigieren. Dieses Stück hat Brahms ja gar nicht so sehr aus tiefem Glauben erschaffen, sondern in der Erinnerung an seine Mutter. Doch wenn man sich die Texte zu Herzen nimmt, bewegt es einen immer wieder sehr. Weil klar wird: Wir sind nicht von dieser Welt.

A.R.: War es dann vom Kirchenchor zum Generalmusikdirektor ein gerader Weg?

MARCUS BOSCH: Im Nachhinein betrachtet sehr geradlinig: der bilderbuchmäßige Dirigenten-Kapellmeister-Weg.

A.R.: Und jetzt eine Musikprofessur in München. Fühlen Sie sich als „Lehrer“?

MARCUS BOSCH: Man bewirbt sich nicht darauf, wenn man darauf keine Lust hat. Ich habe sehr früh unterrichtet. Als Chorleiter, als Lehrbeaufragter an der Filmmusikhochschule, habe Meisterkurse gegeben für den Deutschen Musikrat. Insofern ist die Professur nur eine logische Entwicklung: Dirigieren ist immer auch Unterrichten. Man hört dieses Wort heute so ungern: „ein Orchester erziehen“, aber wir machen viele Dinge nicht freiwillig und brauchen deshalb Anleitungen.

A.R.: Was waren für Sie in den letzten zwölf Monaten herausragende Bühnen-Situationen?

MARCUS BOSCH: Natürlich war das Erreichen von Wagners „Götterdämmerung“ am Opernhaus so ein unglaublicher Moment: den Mount Everest der Opernliteratur gemeistert zu haben. Das wird bei der Wiederaufnahme des „Ring“ nächste Saison nochmals ganz andere Freiheiten ergeben. Und die Johannes-Passion war auch so ein toller Moment. Ich muss sagen, dass sehr viele Abende – auch mit meinem Festivalorchester der Opernfestspiele Heidenheim, den Stuttgarter Philharmonikern – schöne Erlebnisse waren, die bleiben.

A.R.: Sorgt das Klassik Open Air jedes Jahr neu für den besonderen Kick?

MARCUS BOSCH: Im Prinzip ja. Auch wenn das dramaturgische Konzept, das wir angestrebt haben, jetzt zwei Mal durch Regen unterbrochen wurde und die Energie nicht wie geplant hochkochen konnte. Aber man spürt die Erwartung des Publikums und die Vorfreude der Musiker: Teil zu sein des größten Open Airs in Europa. Und spätestens, wenn die Wunderkerzen angehen, ist man gefangen von diesen überwältigenden Bildern.

A.R.: Beim Klassik Open Air am 24. Juli wird alles Gershwin sein. Einen Abend einem einzigen Komponisten zu widmen, das ist Premiere in 17 Jahren. Halten Sie Gershwin für so herausragend?

MARCUS BOSCH: Herausragend ist die richtige Bezeichnung für ihn. Welch anderer Komponist hat so eine Durchlässigkeit zwischen U- und E-Musik wie er? Und es gibt immer noch keinen zweiten Gershwin. Bernstein hat zwar sein Erbe in gewisser Weise fortgeführt, aber dennoch: Gershwin ragt heraus. Mit „Cuban Overture“, mit „Amerikaner in Paris“, seiner musikalischen Europa-Vision, und anderen Songs zeigen wir auch ganz verschiedene Farben. Daher: Der Abend hält das sehr gut aus!

A.R.: Sie sind nun fünf Jahre in der Stadt. Sind Sie in Nürnberg angekommen?

MARCUS BOSCH: Ich spüre eine stetig wachsende Zuneigung.

A.R.: Sind sie gekommen, um zu bleiben?

MARCUS BOSCH: Als Dirigent in meinem Alter kannst du nirgendwo eine Stelle annehmen, um danach in Rente zu gehen. Das geht gar nicht. Der Wechsel ist normal in unserem Beruf. Er findet heutzutage vielleicht manchmal zu schnell statt, weil bestimmte Prozesse Zeit brauchen, um sich zu vernatürlichen. Ich war bislang immer zehn Jahre in den Städten. Und das war immer eine adäquate Zeitspanne.


FÜR DIE FOTOS: CRISTOPHER CIVITILLO. www.cris-c.de

FÜR NÜRNBERG: MARCUS BOSCH
Marcus Bosch (46) ist seit 2011 Generalmusikdirektor (GMD) des Bayerischen Staatstheaters und der Staatsphilharmonie Nürnberg, vorher war er zehn Jahre lang in vergleichbarer Position in Aachen. Er ist künstlerischer Leiter der Opernfestspiele in seiner Heimatstadt Heidenheim, Vorsitzender der GMD-Konferenz und ab dem Winter-Semester Professor für Dirigieren an der Musikhochschule München. Bosch dirigierte zahlreiche große Orchester, etwa die Münchner Philharmoniker, das Deutsche Symphonie Orchester Berlin und Orchestre Philharmonique du Luxembourg. Als Operndirigent ist er zwischen Mailand, Göteborg, Hamburg und Athen unterwegs. In Nürnberg wird er für seine Deutungen von Wagner, Verdi und Bruckner gefeiert. Beim Klassik Open Air am 24. Juli präsentiert Bosch unter dem Titel „Summertime“ ausschließlich Stücke von George Gerswhin.

FÜR CURT: ANDREAS RADLMAIER
Andreas verantwortet u.a. das Bardentreffen, Klassik Open Air, Stars im Luitpoldhain ...
Andreas Radlmaier und curt stehen seit Jahren beruflich im Kontakt, denn als Leiter des Projektbüros im Nürnberger Kulturreferat ist er verantwortlich für oben genannte Festivals, sowie für die Entwicklung neuer Formate wie Silvestival, Nürnberg spielt Wagner und Criminale. Einen Großteil dieser Formate begleitet curt journalistisch.
Andreas ist seit über 30 Jahren in und für die Kulturszene tätig. Studium der Altphilologie, Englisch und Geschichte. Bis 2010 in verantwortlicher Position in der Kulturredaktion der Abendzeitung Nürnberg. 2003: Kulturpreis der Stadt Nürnberg für seine kulturjournalistische Arbeit und Mitarbeit an zahlreichen Publikationen.




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