Udo Kloos und das Design #10: Gelbe Zeiten
#Design, #Kolumne, #Udo Kloos
„Das Internet wird kein Massenmedium - weil es in seiner Seele keines ist“, erklärte vor 15 Jahren Matthias Horx (Leiter der Zukunftsinstituts in Frankfurt) in einem Essay - ein Plädoyer für Radio, TV und Printmedien. Erstaunlich treffsicher treten einige solcher Vordenker (oder Nach-Denker) aus der Reihe, die nur unscharf vorhersehen, was das Leben in seinem Wesen ausmacht. Nämlich, dass wir an Bekanntem nicht allzu lange festhalten können. Denn bereits im frühen Kindesalter reift die Erkenntnis, dass kürzlich Erfahrenes sich bald erschöpfen kann: die Muttermilch, der Winter oder der Sommer.
„Das Internet wird kein Massenmedium - weil es in seiner Seele keines ist“, erklärte vor 15 Jahren Matthias Horx (Leiter der Zukunftsinstituts in Frankfurt) in einem Essay - ein Plädoyer für Radio, TV und Printmedien. Erstaunlich treffsicher treten einige solcher Vordenker (oder Nach-Denker) aus der Reihe, die nur unscharf vorhersehen, was das Leben in seinem Wesen ausmacht. Nämlich, dass wir an Bekanntem nicht allzu lange festhalten können. Denn bereits im frühen Kindesalter reift die Erkenntnis, dass kürzlich Erfahrenes sich bald erschöpfen kann: die Muttermilch, der Winter oder der Sommer. Einige wollen bis heute nicht akzeptieren: Maria war mal Jungfrau, unsere Welt wirklich keine Scheibe. Pferde wurden als allgemeines Fortbewegungsmittel ebenso abgelöst wie Nokia als Weltkonzern. Weniges ist von Bestand. Und wer sich dem Wandel in den Weg stellt, sieht rückblickend wie der Quelle-Retter Seehofer aus, der 2009 in Nürnberg mit einem Hochglanzkompendium (Quelle Katalog) in der Hand von Kameras eingefangen wurde … Es sollte, wie wir kurz darauf erfuhren, die letzte Ausgabe werden. Der Quelle Katalog zählte einst neben den Telefonbüchern zum Einrichtungsgegenstand in vielen Haushalten. Der Müller Verlag druckt bis heute Gelbe Seiten und Telefonbücher. Für wen?
Im Nachhinein will es jeder besser gewusst haben. Daher: Augen auf, sonst stolpert man auf bekannten Pfaden über frische Hürden. So wie sich uns vor den Nürnberger Haustüren aktuell wieder beachtliche Türme aus Gelben Seiten (geflankt von Telefonbüchern) selbstbewusst in den Weg stellen. Umherblickend zeigt sich der Grad der Verbreitung. Diese gelbe Invasion strotzt erneut mit reichlich Kontaktinformationen auf dünnem Papier. Stumm (in Folie eingeschweißt) wollen die Brocken aufgehoben werden. Relikte aus dem letzten Jahrtausend, bundesweit verteilt, stimmen die Ü40-Jährigen melancholisch. Mit ihren hunderten gedruckten Seiten auf 40g-Papier galten sie einst als Nachschlagewerke, selbst wenn sie sich selten im Regal neben den Brockhaus gesellten. Regelmäßig wurde das Telefonbuch zur Hand genommen und thronte in einigen Haushalten auf einem eigenen Möbel. Letzteres teilte es sich so lange mit dem Telefon, bis dieses sich von der Fessel des Kabels befreite.
Diese Bücher lehrten uns beharrlich die richtige Reihenfolge des Alphabets. Sie waren in den Familien ein strenger Lehrer, denn nie wurde einem die Frage nach der richtigen Telefonnummer vorzeitig beantwortet. Nie kam ein Vorschlag, bevor das Wort oder der Gedanke überhaupt zu Ende gedacht, geschweige denn im Geiste buchstabiert worden war. Google war darin nicht zu finden. Unsere Gelben Seiten, damals nicht weg zu denken und in jedem Haushalt ein loyaler Butler. Doch dann kamen all die einfachen Assistenten wie www, Siri und Co. Immateriell, immer zur Hand. Diese Angeber bieten seit über einer Dekade ortsungebunden alles bunter, schneller, besser, umfangreicher und sogar für Legastheniker, Ausländer oder Blinde an.
Und jetzt? Da liegen nun die gelben Wälzer über Wochen unbeachtet tausendfach an den Nürnberger Haustüren. Wer erbarmt sich und belädt die Altpapiertonnen?
Gelbe Seiten Reloaded. In der Schule hieß es: Thema verfehlt! Note 6 – der Aufsatz konnte noch so brillant sein. Erlaubt sei nun die Frage, ob eben diese rasanten Veränderungen des jungen Jahrtausends an den Verlagen vorbeigerauscht sind, die aufwändige Produktionen wie diese stemmen?
Vor rund 2.500 Jahren stellte Sokrates fest, wie zahlreich doch die Dinge wären, derer er nicht bedürfe. Ich erfreue mich im Alltag zunehmend an jenen Momenten, in denen ich feststelle: das brauch ich gar nicht! Ein Umzug zeigt die Menge an Ballast, den man um sich schart. Wehrhafter wäre: das will ich nicht! Bei den Gelben Seiten wird niemand gefragt. Beachtlich, wie unbeirrt einem dieses Druckerzeugnis ungefragt vor die Füße gelegt wird. Ich will das nicht! Ein echter Service wäre das Angebot, sich die dicken Bücher auf dem Postweg unentgeltlich zuschicken zu lassen. Vermutlich entlarvte sich jedoch damit das geringe Interesse daran?
So, und nun, was tun damit? Zweckentfremden? Die Kunst mit der Kunst – habe ich mir mal sagen lassen – bestünde darin, Zweckungebundenes zu erschaffen. Handelt es sich bei der aktuellen Aktion des Müller Verlages um eine Soziale Plastik? Kunst im öffentlichen Raum? Kunst am Bau? Nürnberger Kreative aller Straßen, vereinigt Euch! Die Bücher jetzt druckfrisch an allen Haustüren. Mitnehmen, bevor sie nach Wochen im Regen aufgequollen sind. Baut Buden damit, Hocker oder Bänke. Für jeden im öffentlichen Raum.
curt macht sich Gedanken ums Design. Glaubhaft ernsthaft, und irgendwie schon immer. darum präsentieren wir in unserem magazin eine Kolumne über Design und gestaltung in unserem alltag ... und im weitesten Sinne.
UDO KLOOS UND CURT.
Udo betreibt den neoos Schauraum. Mit seinem neoos Planungsbüro gestaltete und konzipierte er u.a. die Räumlichkeiten der Mischbar, der BLOK Bar, des glore Stores, die EBL Stores, der Rösttrommel ... alles curt-Freunde.
Mehr dazu: www.neoos-design.com
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