Dem Egers sei Welt #44

DIENSTAG, 2. FEBRUAR 2016

#Comedy, #Egersdörfer, #Kabarett, #Kolumne

Vor Jahren tappte ich einmal mit der mir innewohnenden Schwerfälligkeit im Hamburger Hauptbahnhof herum. Ich wäre nicht böse, wenn jemand meine Art der Fortbewegung als langsames Schlurfen in kurzen Schritten bezeichnen würde. Mein irrendes Schleichen in dem stattlichen Gebäude dauerte so lange an, bis ich einen recht adretten Ausgang vorgefunden hatte und schier wie ein güldener Wellensittich aus seinem Vogelbauer durchs offene Türchen geradewegs in die große Welt hinausflog.

KLASSISCHE MUSIK

Schon beim ersten Vorwärtsgehen auf den Bahnhofsplatz wurde ich der steifen Briese gewahr, welche mir nicht vollkommen unvorbereitet und als solitärer Zufall entgegen blies. Stattdessen staunte ich um ein Vielfaches mehr über eine äußerst symphonische Symphonie, die sich dort vor An- und Abfahrten und zwischen fußgängigen Fußgängern, Ampelschaltung, Bus, Bahn, Autogebrumm und Koffergeschiebe in meine spitzenden Ohren ergoss. Feinste Orchestermusik aus einer vergangenen Epoche wurde hier über Lautsprecher kostenlos versprüht.

Und ich Baumschüler, aufgewachsen in einer mittelfränkischen Vorstadt – wenn man die Stadt Kaff nennt, wäre es nur ein bisschen übertrieben – dachte noch kopfschüttelnd: Schau sie Dir an, die hochwohlgeborenen Hanseaten, die gönnen sich was, wenn die von ihrem reetgedeckten Ferienhaus in Kampen auf Sylt mit der Eisenbahn nach vier Wochen im Sommer wieder zurückkehren in die alte Hanse. Während der erstklassigen Rückfahrt wurden dem Pascal Pfeffersack die in nachtblaue Seidensöckchen gehüllten Füßlein unterm Tisch diskret und zugleich himmlisch einfühlsam von der französischen Köchin an den neuralgischen Stellen manipuliert. Zeitgleich tobte über dem Tischchen ein Disput mit der mit den Nüstern aufgeregt bebenden Ehestute über die Notwendigkeit der Versetzung des dummen Kindes in ein Internat, in dem sich eine selbstlose monetäre Großzügigkeit seitens der Eltern positiv auf das Jahresendzeugnis auswirken könnte. Während der Debatte bekam der Herr Doktor auch unangenehm oft  zu hören, dass die Faulheit im Denken speziell ein Wesenszug seiner Familie wäre und daraus das Ungemach resultiere. Die nahezu reinrassige Bagage kommt dann obenrum völlig zerredet und teilweise untenrum angenehm stimuliert am Hamburger Hauptbahnhof an, um dort auf den Zeppelin zu warten, der sie gleich in die bescheidene Villa an die Elbe fliegen wird. Genau in diesem Moment der Erwartung auf die Weiterfahrt, lassen sich die feinen Menschen dazu den Brahms, den Beethoven und meinetwegen auch den Mozart geigen.
Das war aber alles Quatsch mit Sauce. Schlaue Leute hatten nämlich herausgebracht, dass der Rand der Gesellschaft, der gern am Bahnhof sitzt und nicht nach französischem Parfüm duftet, am besten mit klassischer Musik vertrieben werden kann. Ganz ohne Knüppel und Blut funktioniert der ganztägige musikalische Wasserwerfer.

Bei uns dauert es immer ein bisschen, bis die Geniestreiche aus der großen weiten Welt die graugrüne Pegnitz hinaufgeschwommen sind. Aber immerhin schwallen auch seit einiger Zeit in dem Automatenräumchen der Sparkasse am Bahnhof zu Nürnberg, wo es immer das gute, frische Money-to-go gibt, Streicher, Bässe, Bratschen und Arschgeigen, um die Penner zu vertreiben, die da vorher gerne mal schnarchend ruhten zwischen Kontoauszugsdrucker und Geldautomat. Das haut zweifelsohne sauber hin. Seitdem da die Klassik scheppert habe ich keinen mehr im Geldhäuschen liegen sehen. Letztens haben sie den akustischen Hofhund noch schärfer gemacht. Ich wollte mich bestimmt nicht ablegen, nur Geld holen. Aber meine Konzentration wurde schier seekrank, weil es jetzt schon fast in Richtung Zwölfton orgelte.
Ich muss auch oft denken, was so ein Beethoven dazu sagen würde, wenn er erführe, dass seine Musik als bestes Mittel das Gesocks vertreibt. Da hat einer mit dem Teufel gekämpft und die Götter bestochen, um diese Symphonie zu komponieren, und dann ist es nichts anderes als Desinfektion. Frage: Was für Asseln sind diese Entscheider, die Menschen am Rand mit klassischer Musik vertreiben?

Bei mir hat sich diese musikalische Perfidie inzwischen zutiefst verinnerlicht und treibt hässliche, stinkende Blüten. Dementsprechend Angst habe ich bekommen, als ich neulich einen Telefonanruf tätigte. Die Wartezeit bis die Person geruhte den Hörer abzunehmen, wurde mir versüßt, indem Musik durch den Hörer schallte. Es war klassische Musik. Ein flottes Streichquartett spielte eigentlich sehr aufgeräumt und fidel direkt in meine rechte Ohrmuschel. Aber die wohl beabsichtigte Wirkung der Musik kehrte sich bei mir in ihr Gegenteil um. Ich fühlte Bedrängnis und Zwang. Ich bekam mit jedem Takt mehr und mehr nervöse Angst. Ich fühlte mich massiv unter Druck gesetzt. Sollte jemand abnehmen, müsste ich in jedem Fall schnell und präzise angeben, um was es mir ginge. Ich müsste sofort Haltung annehmen. Die Person am anderen Ende der Leitung würde etwaige Flecken auf meiner Hose sofort erspüren und sich fragen, wie ich es wagen könne, in so einem desolaten Zustand anzurufen. Die Person stellt in Bruchteilen von Sekunden alles über mich fest und kommt kurz darauf zu einer sachgerechten Beurteilung meiner Existenz. Ich habe eingehängt und die Nummer nie wieder angerufen.

Kurze Notiz am Ende: Erst gestern habe ich in dem Kabuff der Sparkasse am Nürnberger Hauptbahnhof wieder einmal einen Kontoauszug ausdrucken lassen. Nur der Drucker hat dabei gezwitschert. Ist die Musik kaputt?



UND WAS MACHT EGERS SONST NOCH IM FEBRUAR?
Am Dienstag, den 9. Februar, lädt sich die fränkische Gute-Laune-Inkarnation selbst nebst Gästen zu Egersdörfer und Artverwandte in den Festsaal des Künstlerhauses im KunstKulturQuartier von und zu Nürnberg, wie immer präsentiert von curt. Am 13. Februar hat er in Regensburg ein Rendezvous mit Kollege Hannes Ringlstetter. Mit seinem Soloprogramm Vom Ding her ist u.a. am 12. Februar im Münchner Schlachthof, aber hinten raus dann eher außerbayrisch unterwegs. Vielleicht ist er diesen Monat bei den Schnapslesewochen im EdelExtra dabei. Vielleicht auch erst im März. Wichtigeres, Genaueres und Weiteres unter www.egers.de.

 




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Was für ein nicht enden wollender Sommer das heuer gewesen ist. Bis in den Oktober hinein wurde ich immer dringlicher gemahnt: Genieße unbedingt den sonnigen Tag heute! Morgen kommt der Herbst, dann ist alles vorbei. Immer wieder habe ich mich in die Sonne gesetzt und habe die Sonne mit aller Kraft genossen bis zur Langeweile, bis zum vollständigen Überdruss. Das kommt daher, dass ich Befehle stets gewissenhaft und verlässlich ausführe. Da kann man sich einhundertprozentig auf mich verlassen. Meine Zuflüsterer taten immer so, als ob das Himmelgestirn im nächsten Moment unwiderbringlich explodieren würde und man sein Leben fürderhin in lammfellgefütterten Rollkragenpullovern, Thermohosen und grob gestrickten Fäustlingen verbringen müsste – in Zimmern, in denen die Heizung unentwegt auf drei gestellt ist. Aber es hat ja nicht aufgehört zu scheinen. Wenn ich an einem Tag genossen und genossen habe, hat der Leuchtkörper sein blödsinniges Leuchten am nächsten Tag keineswegs eingestellt. Die Dummköpfe aber haben es nicht unterlassen, weiterhin ihre Sonnengenussbefehle auf mich auszuschütten. Die Aufforderungen blieben keineswegs aus, sondern steigerten sich zur Unerträglichkeit. Wenn einer endlich einmal sein dummes Maul gehalten hat, dass ich mich unbedingt bestrahlen lassen muss, hat ein anderer damit angefangen, mich aufdringlich aufzufordern, mein Glück unter dem drögen Kauern unter dem aufdringlichen Glanz des leuchtenden Planeten zu finden. Noch Anfang November saß ich voller Wut auf der Straße und habe Kaffee getrunken und gehofft, dass mir die Sonne ein Loch in die Stirn schmort, dass den Schwachköpfen ihr blödsinniges Gerede leidtut und sie mich um Verzeihung bitten müssen. Die Sonne hat immer weitergeschienen wie ein Maschinengewehr, dem die Patronen nicht ausgehen.  >>
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