Udo Kloos und das Design #5: Auspuff Porno

DIENSTAG, 3. NOVEMBER 2015

#Design, #Kolumne, #Neoos, #Udo Kloos

Geiler Auspuff, Celtistunnel, 2 Uhr Nachts - Prime Time für Testosterongeschwängerte, Hirnentleerte, intellektuelle Tiefflieger, die auf leeren Straßenabschnitten in der Stadt den röhrenden Tiger raus lassen. Im 2. Gang vom Bahnhofsplatz mit 100 Sachen den Tunnel durchschießen – Das Bauwerk wird zum Lautsprecher.

SCHLUSS AUS PUFF PORNO

... Und viele sollen teilhaben. Verstehen, dass der verchromte Auspuff ein begehrenswertes Ventil für das Öl im Blut ist. Falsch, hier handelt es sich ausschließlich um Adrenalin, das einem das Tier in sich entdecken lässt. Sie täten wesentlich besser, sie gingen in den Steckerleswald, zögen sich nackt aus und brüllten, schrieen, heulten - das würde helfen. Und alle, wirklich alle südlich der Bahngleise hinter dem Celtistunnel fänden das dann toll! Der Anthropologe Dr. Jacob Dunn von der University of Cambridge hat kürzlich bei seinen Forschungen mit Primaten belegt, dass die Testikelgröße und die Größe der Stimmorgane in Abhängigkeit stehen - ich will es mit einer Tautologie untermalen: diametral entgegengesetzt. Man kann nicht alles haben. Die Natur investiert offensichtlich, wenn es um die Reproduktion geht, nicht unbegrenzt in alle Richtungen. Und wer sich vier Auspuffe-püffe-pöffe unter die Stoßstange schraubt, dem mangelt es an anderer Stelle, schon rein finanziell.

Auspufffff. Nun, „Entscheidend ist, was hinten raus kommt“. Dieses Zitat, so könnte man munkeln, wäre eine weise Vorsehung unseres Altbundeskanzlers Helmut Kohl zum aktuellen Abgasskandal gewesen. Aber lassen wir diesen momentan allzu strapazierten Nebenschauplatz. Vielmehr amüsiert mich, wie man am Ende des fossilen Zeitalters mit einem Auspuff derart rudimentäre Anachronismen zelebrieren kann. Darf ich es Porno nennen? Dass Endtöpfe, Sportauspüffe oder Chromverblendungen an diesem heißen Rohr, an der finalen Ausstülpung kurz hinter dem Schalldämpfer so bewusst geformt, rundum verpackt werden. Handelt es sich um Selbstbewusstsein oder Freude am Gestalten? Was man nicht verstecken kann, dass soll man zeigen. Auch wenn es stinkt und lärmt? Da schaut alle her.
Fraglich, ob bereits vor der gänzlichen Elektrifizierung des Verkehrs der Auspuff sich zu einem Kuriosum wandeln wird. Denn immer noch investieren Hersteller in ihren Entwicklungsabteilung oder auch Tuningartikelanbieter mit sattem Budget in das Look & Feel des Sounddesigns. Die überraschende Krönung: dieser Sound auf der Straße unterscheidet sich nicht nur in der Lautstärke von dem, was der Pilot innen hört, sondern auch im Klang. The Art of Verarschung. Kurios, oder?

Neulich, der VW Fox am Rathenauplatz: kleinere Karre geht kaum, aber dafür vier Auspüffe. Ein Fuchs ist das, nur scheitert dieser Hund in meinen Augen an Glaubhaftigkeit. Den Gestalter und Betrachter wie mich stören spontan die Proportionen und Dimensionen; aber ich erinnere mich an den Anthropologen Dr. Jacob Dunn. Das versöhnt mich und ich bin gerührt, denn der da – im Fox vor mir – meint das nicht nur ernst, sondern versenkt mit den leeren Chromrohren hinter seinem Schalldämpfer so richtig Asche am Autoarsch.

Hot, hot, hot! Auf die Spitze treibt es der Motorradfahrer, dem man sowieso ein inniges Verhältnis zu seinem Auspuff nachsagt (ich habe mir auch schon mal eine Brandblase am Knöchel geholt). Das Thema heißt Underseat Exhaust. Nein, kein Fetisch aus diversen Erotik-Portalen, sondern ein Bausatz vom Tuningausstatter. Es muss also ein besonders kribbelndes Verhältnis zwischen Mensch und seiner Maschine entstehen, wenn beim Mopedfahrer das Bedürfnis wächst, sich den heißen Endtopf unter den Sitz und damit zwischen die Oberschenkel zu klemmen. Tuningausstatter haben den Drang der Neuzeitcowboys erkannt und bedienen die Lüsternen mit verlängernden Accessoires. Was mich überrascht: da hirnen über Jahrzehnte clevere Konstrukteure, wie man den Schwerpunkt des Motorrads möglichst flach legt, um das dynamische Fahren besonders beim Wechsel in den Kurven zu optimieren. Und dann erigieren die Besitzer den Auspuff und damit den Schwerpunkt zurück nach oben. Wer nicht nachrüsten will: die Triumph Daytona 675 zum Beispiel kommt schon ab Werk mit Underseat, der röhrend vibrierenden Rohrführung unter dem Sitz. Und für alle, schau, schau: wie bei allen Rennsemmeln ist die Sitzhaltung fast liegend, auf jeden Fall deutlich nach vorne gebeugt. Von hinten betrachtet mögen die „Anal-ogien“ beim Underseat Exhaust zwar beabsichtigt, aber wohl kaum ernst gemeint sein. Für Fußgänger oder Fahrradfahrer wird die Triumph Daytona zum Abgas-Fön.

Auch Proktologen beschäftigen sich u.a. mit Erkrankungen des Analkanals. Auf der anderen Seite verausgaben sich die Tuningfreaks - „exhaust systems driven by sound“, so der Claim eines Ausstatters. Hansi Kreische, der ehemalige Nationalspieler der DDR-Oberliga, meinte frustriert am Ende des verlorenen Spiel seines Vereins Dynamo Dresden: „Aus Scheiße kann man keine Bonbons machen.“ Ich meine auch, ein Auspuff ist ein Auspuff ist ein Auspuff. Stinkt und macht Lärm. Wer ähnlich wie im Tierreich den Anus zur Schau und zu Gehör gestellt, läuft ebenso im urbanen Feld Gefahr, unerwartete Reaktionen zu provozieren. Sogenannte Gastrointestinalien, also rektale Fremdkörper, werden von genervten Stadtindianer in den Endtöpfen verbreitet. Ein solches, verstopftes Endrohr macht dann seinem Namen alle Ehre: AusPUFF.

UDO KLOOS UND CURT
Udo betreibt den neoos Schauraum. Mit seinem neoos Planungsbüro gestaltete und konzipierte er u.a. die Räumlichkeiten der Mischbar, der BLOK Bar, des glore Stores ...
Mehr dazu: www.neoos-design.com

 




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