Andreas Radlmaier im Gespräch mit: Timur Vermes

DIENSTAG, 29. SEPTEMBER 2015



Autor der Hitler-Satire „Er ist wieder da“ –  Er war noch gar nicht weg, der heimtückisch sympathische Herr Hitler, der im vereinten Merkel-Berlin nach 66 Jahren aus der Allmachtsstarre erwacht und eine späte Fernsehkarriere als vermeintliches Führer-Double startet. Zwei Millionen Bücher und Hörbücher wurden seit 2013 alleine in Deutschland verkauft, bislang wurde das Buch in 41 Sprachen übersetzt.

Auf deutschen Bühnen ist „Er ist wieder da“ längst gelandet. Jetzt startet die Verfilmung von David Wnendt („Kriegerin“, „Feuchtgebiete“) am 8. Oktober in den deutschen Kinos. Oliver Masucci, Schauspieler am Wiener Burgtheater, spielt die Hauptrolle. Der Nürnberger Timur Vermes, der im Schlagschatten des Quelle-Areals aufwuchs, dürfte mit dem Bestseller „Er ist wieder da“ der auflagenstärkste Autor in Nürnbergs Stadtgeschichte sein. Besonders interessieren tut das vor Ort nur wenige.

A.R.: Schön, dass Sie mal wieder da sind, Herr Vermes, in der alten Heimat. Sind Sie glücklich, dass Ihre Hitler-Satire verfilmt wurde?

TIMUR VERMES: (Überlegt kurz) Ja. Nicht verfilmt kann jedes Buch werden. So eine Verfilmung bietet die Gelegenheit, einen Blick in diese Industrie zu werfen, den ich gerne wahrnehme, weil ich ohnehin gerne ins Kino gehe. Weil ich mich über Filme freue, mich über sie ärgere und mich oftmals frage, warum werden Filme so wie sind.

A.R.: Wie fällt dann die Antwort bei „Er ist wieder da“ aus? Sind Sie erfreut, verärgert, erstaunt …?

TIMUR VERMES:  Sagen wir: erstaunlich bestätigt. Weil sich zeigte, dass auch Filmleute denselben Ängsten unterliegen, Fehler im Umgang mit Hitler zu machen. Und weil damit im Herstellungsprozess immer wieder auch der Unsinn auftauchte, mit dem das Buch selbst spielt. Mein Lieblingsbeispiel: Die idiotische Faustregel „Hitler darf nicht sympathisch sein“. Wie will man da jemals einen gefährlichen, authentischen Hitler zeigen? Hitler war ja nicht deshalb für viele wählbar, weil ihn alle für ein widerliches Arschloch gehalten haben.

A.R.: Welche Geschichte erzählen jetzt diese 90 Minuten?

TIMUR VERMES: Vor allem die des Buches, mit ein paar Erweiterungen und
Einschränkungen. Die erste Version hat noch versucht, alles abzudecken –
aber dann bleibt nach 100 Minuten nur ein Kessel Buntes. Die nächsten
Schnittvarianten haben sich darum auf zwei Stränge konzentriert, die Wahl
fiel auf Hitlers neue Karriere und die Mechanismen in der TV-Firma. Kann man machen.

A.R.: Welche Einflussmöglichkeiten hat man eigentlich als Autor?

TIMUR VERMES: Ganz unterschiedlich. Weil es immer davon abhängt, wie viel Wert dir der Regisseur, der Produzent beimessen, wie sie das literarische Ergebnis einschätzen. Und dann gibt es natürlich sehr viele externe Einflüsse, z.B. dass in „Er ist wieder da“ sehr viele Gelder aus der Filmförderung stecken. Wie überhaupt bei sehr vielen deutschen Filmen. Das war mir in dieser Deutlichkeit vorher gar nicht bewusst. Dass etwa auch Til Schweiger und „Die sieben Zwerge“ in erheblichem Maß durch Filmförderung finanziert wurden und werden. Da kratzt man sich dann am Kopf (lacht). Bei einer Hitler-Satire stellt sich die Frage, wie hätte das Buch ausgesehen, wenn es mit Filmförderung finanziert worden wäre? Was hätte dann umgeschrieben werden müssen? Welche Passagen wären heikel gewesen? Und genau diese Herangehensweisen treffen jetzt bei der Verfilmung auch zu. Wenn sehr viele mitdiskutieren, wird das Ergebnis selten entschlossener.

A.R.: Sie waren aber als Drehbuchautor mit in der Verantwortung. Da können Sie kaum dem Drehbuchautoren die Schuld geben, oder?

TIMUR VERMES: Es kommt drauf an, in welcher Phase du Drehbuchautor bist. Ich war Drehbuchautor in einer sehr frühen Phase …

A.R.: Wollten Sie den eigenen Stoff nicht aus der Hand geben?

TIMUR VERMES: Den Gedanken, dies zu machen, die Schwierigkeiten und Probleme zu lösen finde ich reizvoll. Man bekommt ja auch ein paar Gesetze mit, in die man sonst nicht hineinschaut. Ein Gesetz lautet: Wir brauchen dringend einen großen Gegenspieler. Und: Die BILD-Zeitung ist dafür nicht groß genug. Es ist schön zu erfahren, nach welchen Kategorien Film gemacht wird. Zum Beispiel muss im „Tatort“ die erste Leiche spätestens nach fünf Minuten da sein – und das darf kein Verkehrsopfer sein! Das ist das Grundgesetz des „Tatort“. Manche Dinge sind eben schematisch, weil sie so verlangt werden. Das ist also kein Geheimnis (lacht).

A.R.: Waren die Dreharbeiten für Sie also learning by doing?

TIMUR VERMES: Ein bisschen. Dann ging das Drehbuch an die Constantin (Anm.d.Red.: Filmverleih) und wurde überarbeitet. Da habe ich dann auch meinen Namen zurückgezogen.

A.R.: Das Bühnenstück zum Hörbuch zum Roman gibt es längst. Nach Castrop-Rauxel und Memmingen folgen Potsdam und Weimar. Verfolgen Sie die Variationen?

TIMUR VERMES: Nicht im Einzelnen. Aber: Bei den bislang fünf oder sechs Bühnenbearbeitungen überzeugte mich die Kraft der einfachen Theatermittel. Das erstaunt dann im Verhältnis zu den Millionen, die in einen Film fließen, doch wieder. Ich fand auch die Figurentheater-Variante in Karlsruhe sehr schön.

A.R.: Der Bestseller wird also nach allen Regeln der Kunst ausgeschlachtet…

TIMUR VERMES: Wo fängt für Sie das Ausschlachten an?

A.R.: Naja, Hörbuch, Film – und am Ende wartet das Mousepad mit dem Buchcover samt Seitenscheitel-Illustration.

TIMUR VERMES: Zunächst ist da ein Stoff, den du für attraktiv hältst. Und dann greifen automatisch die Mechanismen des Andockens. Im Zusammenhang mit Hitler finde ich immer wieder interessant, dass dieser Geschäftsprozess keineswegs einem besonders vorsichtigen Umgang unterliegt.

A.R.: Hat Sie der große Erfolg dennoch überrascht?

TIMUR VERMES: Der musste einen doch überraschen! Wir wussten: Die Sprache ist ein Hindernis. Darüber wurde auch vorher diskutiert. Herr Hitler schreibt altmodisch und langatmig, hat ein betuliches Denken und einen eigenwilligen Humor. Ich habe die langen Sätze dennoch beibehalten und ihn auf diesen Kurs festgezurrt: Wir machen ein paar sehr gute Witze im Buch und dafür muss man etwas verlangen – das war der Deal.

A.R.: Erstaunlicherweise landete „Er ist wieder da“ gerade bei der jungen Generation. Und das in einem Land, das bei der NS-Aufarbeitung wahrlich nicht geizt. Dieses Buch ist ja kein Pflichtstoff, sondern eine freiwillige Leistung.

TIMUR VERMES: Meine These ist: Diese freiwillige Leistung ist auch eine Gefühlssache. Hitler erzählt in der ersten Person und er schämt sich nicht.

A.R.: Für mich ist entscheidend: Er bewegt sich nicht in einer Sepia-Welt …

TIMUR VERMES: Er bewegt sich in unserer Welt, er vertritt dieses Gedankengut und er entschuldigt sich nicht, nach dem Motto: „Wie soll’s denn sonst sein? Hallo!!“ Die Leute empfinden, dass sich da einer was traut. Die Logik ist: Was soll er sonst sagen? Ich spiele es nur ordentlich durch. Im Grunde sehr banal, und trotzdem heißt es: Das kann man nicht machen. Die ganze deutsche Diskussion ist verkrampft, unlogisch und weist doch auf eine nationale Verhaltensstörung hin. Das ist kein erwachsener Umgang mit dem Stoff.

A.R.: Bedeutet erwachsen respektlos?

TIMUR VERMES: Neinneinnein. Es geht grundsätzlich um die Frage „Darf man das?“. Wer stellt denn so eine Frage normalerweise? Vierjährige. Ein solches Verhalten gibt’s bei keinem anderen Stoff. Wir fragen, in diesem Fall gerne den Autor, wie wir sonst nur die Eltern fragen: Darf man das? Was für eine Frage?!

A.R.: Obrigkeitshörig?

TIMUR VERMES: Im Grunde schon. Aber das Verhalten ist nicht rational und deshalb vermutlich auch erstaunlich wenig nachhaltig.

A.R.: Was hat der Bestseller mit Ihnen selber gemacht?

TIMUR VERMES: Er hat mir Möglichkeiten eröffnet, die ich noch lerne, sinnvoll zu nutzen. Und er schmeichelt der Eitelkeit. Allerdings in einem anderen Umfang, als es mir vor 20 Jahren passiert wäre. Ich bin in der Lage zu erkennen, was ich da erreicht habe, weiß aber sehr wohl, welche anderen Faktoren, Zufälle mitspielten.

A.R.: Nürnberg hat vermutlich noch nie so einen auflagenstarken Autor hervorgebracht. Das regt die Stadt weder an noch auf. Was sagt uns das?

TIMUR VERMES: Ich glaube, dass viele gar nicht wissen, dass ich Nürnberger bin. Da steckt auch der tief verwurzelte Unglaube an Erfolg drin.

A.R.: Denkt man immer noch, Ihr Name sei ein originelles Pseudonym?

TIMUR VERMES: Es ist nicht totzukriegen.

A.R.: Sie haben gerade die Arbeiten an einem neuen Buch abgeschlossen. Es ist keine Satire über Hermann Göring und auch keine über Wladimir Putin, so viel steht fest. Worum dreht sich das Buch dann?

TIMUR VERMES: Ich versuche es abzuschließen. Wenn wir zu dem Schluss kommen, das Buch ist doch eher Mist, dann hast du für den Papierkorb geschrieben. Aber ich versuche, das Buch zeitnah zu beenden.

A.R.: Nochmals: Was wird es?

TIMUR VERMES: Etwas anderes.

A.R.: Keine Komödie? Keine Satire?

TIMUR VERMES: Das ist die Frage: Versucht man jetzt, der nächste Tommy Jaud zu werden?

A.R.: Geht man nun nach so einem Übererfolg verkrampfter oder entspannter ans Werk?

TIMUR VERMES: Du könntest verkrampfen – aber es hilft dir ja nix! Ich werde an den Verkaufszahlen des Nachfolgerbuches gemessen werden. Was nicht sinnvoll ist, aber es wird passieren. Egal, was ich schreibe, ich kann das nicht ändern. Ich kann versuchen, den zweiten Teil zu „Er ist wieder da“ zu schreiben. Dafür wird mir niemand um den Hals fallen. Ich kann versuchen, den zweiten Teil nicht zu schreiben, es wird mir auch keiner um den Hals fallen.

A.R.: Ein klassisches Dilemma. Was ist die Lösung?

TIMUR VERMES: Ich werde versuchen, den Leser an den Herrn Vermes zu binden. Nicht an den Kasper Vermes. Was die einzige Chance ist, denke ich mal, weil in „Er ist wieder da“ bestimmte Dinge stecken, die sich in dieser Güte nicht wiederholen lassen. Diese Mischung aus Unterhaltung und Anspruch – diese Geschmacksnote fortzusetzen ist schwer.

A.R.: Was zeichnet Sie als Autor aus?

TIMUR VERMES: Ich denke, ich kann eine Geschichte erzählen, so dass man sie lesen will.

A.R.: Welche als nächste wollen Sie partout nicht sagen?

TIMUR VERMES: Logischerweise nicht. Den ersten Blick darauf bekommen die Verlage. Ich kann nur sagen: Es ist etwas Anderes und es soll nicht langweilig sein. Und das ist Schwierig: Im Moment würde der Markt alles kaufen – und es gibt keinerlei Rückkoppelung auf die vorhandene schreiberische Qualität.

A.R.: Sie haben mal als Lebensziel formuliert: „Auf dem Sofa liegen, Comics lesen, auf die Sportschau warten, abends Schafkopf spielen oder umgekehrt.“ Wie weit sind Sie von diesem Lebensziel entfernt?

TIMUR VERMES: Das mit dem Sofa krieg‘ ich ganz gut hin. Den Rest momentan nicht so, weil meine Schreibphasen unheimlich lang sind und ich irgendwann versuche, das Ganze durchzuziehen, praktisch ohne Fernsehschauen.

A.R.: Aber Sie sind das, was man landläufig unter einem „gemachten Mann“ versteht?

TIMUR VERMES: Ab wann ist der Mann gemacht?

A.R.: Das hängt von den persönlichen Bedürfnissen ab. Aber ist es nicht der Traum eines jeden Autors mit der ersten größeren Veröffentlichung ein solches Ausrufezeichen zu setzen?

TIMUR VERMES: Ich kann man nicht beschweren. Du genießt eine andere Aufmerksamkeit und du hast die Chance, dass ein Großteil der Leser auch das nächste Buch wieder in die Hand nimmt. Vielleicht mit anderen Erwartungen, aber immerhin. Das ist wie eine Art Lebensversicherung. Ich muss mir also nicht so viele Sorgen machen.

A.R.: Das ist die eine Seite. Andererseits kaufen Sie Second-Hand-CDs und fahren weiterhin mit dem Regionalexpress und nicht mit dem ICE.

TIMUR VERMES: Das kann ich bestätigen – ein Wahnsinn!

A.R.: Ist das fränkische Sparsamkeit oder ein Krankheitssymptom?

TIMUR VERMES: Also: Nachdem meine Frau auch aus Franken kommt und ähnlich denkt, kann das ein fränkisches Gen sein. Dieses Wissen darüber, woher man kommt und wie mühsam es ist, Geld zu verdienen (wobei ich das auch als Journalist nie als mühsam empfand), geht nicht verloren. Du siehst die Leute vom Film mit der Marie 14 Tage durch Deutschland reisen ohne Plan, und denkst dir dann: Naja, mein Geld ist es ja nicht. Das mit den gebrauchten CDs ist sicher krankhaft, aber man sagt sich häufig schon: Das geht aber mit weniger finanziellem Aufwand auch.

A.R.: Sie leben seit 14 Jahren in München. Wie kompensieren Sie die Sehnsucht nach Nürnberg?

TIMUR VERMES: Gelegentliches Vorbeischauen in Nürnberg, Suche nach Menschen in München, die ordentliche Würste herstellen können – und du arrangierst dich mit den Dingen, die es auch in München gibt. Die Tatsache, dass diese Stadt prosperierend wirkt, ist beruhigend. Wenn du nach Nürnberg kommst, siehst du halt viele Ecken, die dir Sorgen bereiten und weit weg sind von Premium-Lösungen.

A.R.: Eine Rückkehr nach Nürnberg ist ausgeschlossen?

TIMUR VERMES: Ja, weil wir in München in der Verlagswelt vernetzt sind, dort auch Freunde haben. Und meine Frau liebt die Berge – ich weiß nicht warum.


FÜR DIE FOTOS: CRISTOPHER CIVITILLO. www.cris-c.de

FÜR NÜRNBERG: TIMUR VERMES
Vermes wird 1967 als Sohn einer Deutschen und eines Ungarn in Nürnberg geboren und wächst im Schatten des Quelle-Turms auf. Er studiert Geschichte und Politik in Erlangen, volontiert bei der Abendzeitung Nürnberg und wird dort Redakteur.
Es folgen Stationen beim Kölner Express und bei der Abendzeitung München. Tätigkeiten als Ghostwriter, Kolumnist und Autor (etwa über einen „Tatortreiniger“). Seine Hitler-Satire „Er ist wieder da“ (2012) hat sich allein in Deutschland bislang 2 Millionen Mal verkauft (darunter auch mit großem Erfolg das Hörbuch, das Christoph Maria Herbst einsprach). Er bespricht als Fan Comics. Die tägliche Meinungsäußerung in einer Tageszeitung aber vermisst er zur Zeit. Dafür taucht er gerade für ein halbes Jahr in der Texter-Redaktion der BUNTE in die Glamour-Welt der bunten Sternchen ein. Denn, sagt Vermes: „Ich will bestimmte Dinge machen, die mir Spaß machen“. Ein neues Buch hat er auch geschrieben, das wohl 2016 erscheint.

FÜR CURT: ANDREAS RADLMAIER
Andreas verantwortet u.a. das Bardentreffen, Klassik Open Air, Stars im Luitpoldhain ...
Andreas Radlmaier und curt stehen seit Jahren beruflich im Kontakt, denn als Leiter des Projektbüros im Nürnberger Kulturreferat ist er verantwortlich für oben genannte Festivals, sowie für die Entwicklung neuer Formate wie Silvestival, Nürnberg spielt Wagner und Criminale. Einen Großteil dieser Formate begleitet curt journalistisch.
Andreas ist seit über 30 Jahren in und für die Kulturszene tätig. Studium der Altphilologie, Englisch und Geschichte, Zweites Staatsexamen. Volontariat bei den Nürnberger Nachrichten. Bis 2010 in verantwortlicher Position in der Kulturredaktion der Abendzeitung Nürnberg. 2003: Kulturpreis der Stadt Nürnberg für kulturjournalistische Arbeit und Mitarbeit an zahlreichen Publikationen.
Wir freuen uns über die Mitarbeit eines ausgewiesenen Kulturexperten - und die monatlichen Interviews!
 




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