Theobald O.J. Fuchs: Flüstermann und Frauziege

MONTAG, 31. AUGUST 2015

#Comedy, #Kolumne, #Theobald O.J. Fuchs

Der Frühstücksflüsterer saß mit seiner Frau auf der anderen Seite des fensterlosen Frühstücksraums des fensterlosen Hotels, das allerdings ein sehr günstiges war. Warum auch immer – der Verzicht auf Fenster schien Kosten einsparen zu helfen. Aber auch das schwarz-gelb gefärbte Wasser, das als Kaffee ausgeschenkt wurde, sowie die Wurst, die aus alten Kaugummis hergestellt worden war, trugen zum niedrigen Preis bei.

BEIM TIERFRÜHSTÜCK

Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, im Bett liegenzubleiben und alles, was ich an diesem Tag zu tun hatte, zu träumen. Dann wäre ja auch alles erledigt, dachte ich im Halbschlaf, und drehte mich noch für ein einziges Mal um. Die Matratze war weich wie Gras, jedoch zugleich hart wie Fels. Es half nichts, ich sprang auf und schwang mich die Treppe hinab in den Salon.  

Die Frau des Frühstücksflüsterers verstand nur jeden zweiten Satz, den ihr Mann flüsterte. Sie selbst sprach laut und deutlich. Davon, dass sie zweihundert Münzen für weniger als ein Kilo Kartoffeln gekauft habe - oder auch umgekehrt, ich hörte nicht auf die Worte, denn ich war von ihrer meckernden Stimme so beeindruckt, dass ich vor meinem inneren Auge eine Ziegenherde sah, die in einem Frühstücksraum sitzt: hier eine Ziege, dort eine Ziegenfamilie, da ein älteres Ziegenehepaar, am Büffet jedoch ein altes fettes Nilpferd, das Kaffeekannen stapelt, draußen an der Rezeption ein bärtiger Hirsch hinter dem Tresen, auf der Straße Passantenschafe, Meerschweinchen in der Straßenbahn, Schlangen an der Fußgängerampel, überall Tiere. Und diese eine Ziege flüsterte in nächster Nähe ganz fürchterlich penetrant, das lauteste Flüstern der Welt war es, so unerträglich hässlich und dumm, dass sich fast mein Ziegenblick eintrübte.

Warum flüstert dieser alte Ziegenbock, fragte ich mich, wo doch seine Ziegenkuh schallend durch den ganzen Frühstückssaal meckert, und kein Fenster ist da, wo sich der Lärm nach draußen schleichen könnte. Ob der Flüsterer aus der Ziegen-DDR stammt, überlegte ich, dass er sich schon als Kind angewöhnt hat, nie in der Öffentlichkeit ein lautes Wort zu sprechen, überhaupt niemals laut zu sprechen, um nicht von der Ziegenstaatssicherheit verhaftet zu werden.

Vielleicht war schon der Vater der Stasi-Ziege eine Regimekritik-Ziege, die dem kleinen Zicklein einschärfte, niemals laut zu sprechen, weil immer auch falsche Ohren mithören, und es dann an der Tür klingeln würde, früh um fünf, und schon ginge es ab zum Schlachthaus der Gestapo-Wölfe. Mit ohne Rückfahrtschein.

Es roch nach Stall im Raum, ganz deutlich, und so sah ich mich aufmerksam um. Da waren immer mehr andere Tiere, die den Frühstückssaal bevölkerten und nicht aus den nicht vorhandenen Fenstern schauten. Einordnen konnte ich nur wenige, denn Gottes Tiergarten beherbergt viele Gestalten. Ein älterer Herr stolzierte herein, roch kurz an einer Stuhllehne, streckte sich dann unter dem Tisch aus, während sein Hund Platz nahm und nach einem Napf voll schwarzem Tee kläffte. Kurze Zeit darauf tauchte ein Brüllaffe auf, er stützte sich auf dicke behaarte Arme und watschelte in die Ecke, wo der Zeitungsstock an der Wand hing. Er verschwand mitsamt seiner Tasse Kaffee hinter dem aufgespannten Bogen Papier, und man hörte ihn nur noch heftig keuchen, wenn ihn ein Artikel amüsierte. Irgendwie erinnerte er mich an einen Kollegen, aber das war völlig unmöglich, da man mir gesagt hätte, wenn einer in der selben Stadt übernachtete wie ich.

Wo sind die Menschen? fragte ich mich. Es gibt ja sogar Tiere, die im Körper eines Menschen geboren wurde. Menschliche Rinder, die nur muhen und dumm schauen und den anderen hinterher laufen, oder Affenmenschen, die kreischen, keckern und krakeelen. Es gibt menschliche Schlangen, Elefanten und Wühlmäuse. Ein spinnenbeiniger Mann verliebt sich in eine schweinsäugige Frau. Sie kriegen es irgendwie hin, ein Kind in die Welt zu setzen. Woher soll man wissen, in welche Richtung nun der Nachwuchs schlägt? Wird er sich am Morgen in einer Schlammkuhle suhlen oder lieber zwischen Zweigen Netze spannen, um Fliegen fürs Abendessen zu erbeuten?

Nun, das war der Moment, als ich das Tier in mir entdeckte. Ich beendete mein Tierfrühstück und kroch mühsam die Treppe hinauf zurück in mein Zimmer, wo ich einen dicken Kieselstein schluckte. Das ist bei uns Krokodilen nach einer üppigen Mahlzeit so üblich.

(Im Bilde: Theo O.J. Fuchs, Fotos:  Katharina Winter)


UND WAS MACHT THEO WIRKLICH?
Wissen wir immer noch nicht genau. Man munkelt, der Physikdoktor operiert auch an offenen Herzen und Hirnen. Man mutmaßt weiterhin, er ziehe Strippen in der Galerie Bernsteinzimmer. Konkret wissen tun wir nur, dass er Nachberichte verfasst zu Egersdörfer & Artverwandtes. Und: er war Kurzkrimipreisträger, in seiner Jugend, letztes Jahr.
Dass er nicht nur schreiben, sondern auch lesen kann, beweist er am Donnerstag, 01.10.2015, 20 Uhr, in der Tante Betty Bar (Schweppermannstr.1, Nbg), bei der Lesung seiner fränkischen Kurzkrimis „Die Sau, der Wirt und das Marderloch“ sowie „Der Tote im Wehr“.




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