Theobald O.J. Fuchs: Erdkerne züchten

DIENSTAG, 30. JUNI 2015

#Comedy, #Kolumne, #Theobald O.J. Fuchs

Mir leuchtet es schon ein, dass ein gewisser Herr Chefredakteur gerne mal den investigativen Journalisten spielen und herumstochern und auch sticheln möchte, weil ich ihm nicht verrate, was ich wirklich treibe, den ganzen Tag lang. Von wegen „schrebergärtnern“ und „Strippen ziehen“. Da lasse ich die Mutmaßungen wild wuchern! Denn selbst diesen Chefredakteur bastelte einst der Weltgeist aus Ersatzteilen und Überbleibseln zusammen, da darf man froh sein, dass er überhaupt so gut arbeitet.

Denn das allerschönste am Schreiben ist doch die Tatsache, dass man nicht dabei sein muss, wenn irgendjemand irgendwann danach das Elaborat liest. Wie wohl auch jeder Musiker am eigenen Leibe erfahren darf: niemand wirft gammlige Tomaten oder leere Bierflaschen auf einen Plattenspieler. Und gerade aus dem Schutze dieser meiner schillernden Unberechenbarkeit heraus ist es mir möglich, die Visionen zu offenbaren, die der Menschheit endlich zur letzten Befreiung und Erhebung in den Stand der ewigen Glückseligkeit gereichen werden. Alles klar? Dann kann ich jetzt ja loslegen, mit meinem Plan, dem Plan der Pläne, der Mutter alles Geplanten.

Nachdem ich eine Weile über die Ähnlichkeit der Erde mit einer Avocado nachgedacht hatte, fiel es mir nämlich wie der Stuck von der Decke bzw. ein und praktisch direkt auf den Kopf: Wozu in die Ferne fliegen und sich auf die sinnlose Suche nach einem bewohnbaren Planeten machen, wenn man doch dasselbe sich in nächster Nähe selbst basteln könnte?
Liest hier jemand mit, der noch nie versucht hat, aus einem Avocadokern ein Avocadobäumchen zu ziehen? Niemand. Na also. Man nehme drei Zahnstocher und ein Glas Wasser, verrichte die handelsüblichen Avocadoanzuchthandlungen und warte ein kurzes Weilchen. Dein Weniges an Geduld wird mit einem Viel an Grünzeug belohnt, so ungerecht ist die Natur, im positiven Sinne freilich, wenn ihr der Schalk im Nacken sitzt.

Das Rohmaterial für meine neue Welt liefert mir das All kostenfrei und direkt vor die Haustür, 40 Tonnen Meteoriten-Staub jeden Tag. Zusammengekehrt sind das übers Jahr pyramidale Massen, die man nur aufsammeln muss, nichts weiter, und bald hat man das Rohmaterial für den selbst gezimmerten Planeten beieinander. Wie unsinnig vor diesem Hintergrund die gesamte Raumfahrt ist, brauche ich nun wohl nicht mehr näher auseinanderzusetzen. Die NASA schafft es ja nicht einmal, den ganzen Staub zurück ins All zu schießen. Also.

Was dann noch fehlt, ist ein runder, eiserner Erdkern, denn ich will ja in meiner neuen Welt nicht auf Kompasse und Brieftauben verzichten, nicht wahr? Den Erdkern forme ich aus Altmetall, das ich direkt von Straßen und Gehwegen aufklaube. Büroklammern, auch die kupfernen, rostige Schrauben mitsamt noch rostigeren Muttern, in dicke Batzen aufgequollenen Rosts vermummte Nägel, Haken, Ösen, Federn, Stangen und natürlich Ofentürchen. Wenn du einmal die Augen aufgemacht hast, kannst du das Zeug überall herum liegen sehen, es vermehrt sich gleichsam wie mineralisches Unkraut und kompostiert zu einem tadellosen Erdkern, der wie ein Herz im Innersten meiner neuen Welt seine metallischen Schläge schlagen wird.

Natürlich werde ich selbst der große Kaiser und Diktator der neuen Welt sein, werde großherzig und gutmütig Länder und Kontinente zuweisen, werde jedem Nagel und jedem Draht, die da sprießen, ihre Nische zuweisen, und wehe, da fangen welche an zu streiten!

Irgendwann werde ich einfach nicht mehr da sein. Werde unbemerkt verschwunden sein, hinfort gesegelt auf meinem eigenen Globus, und niemand wird Notiz davon nehmen. Wie auch? Wir bemerken nur, was neu ist, und übersehen meist, was fehlt. Erinnern tut sich sowieso niemand – und wenn es dann irgendwann einem harmlosen Tropf aufgefallen sein wird, dass er mich schon seit Jahren nicht mehr gesehen haben wird, werde ich bereits weit fort sein, unterwegs dorthin, wo Gravitationslinsen blühen und Quasare munter von schwarzem Loch zu schwarzem Loch flattern. Doch ich werde nicht alleine sein, denn mein Planet ist bei mir, und die mineralische Einwohnerschaft, die ich mir züchten werde
.
Vielleicht, aber nur ganz vielleicht bekomme ich dereinst dann Besuch, von einer kleinen tiefgefrorenen Sonde, die mir Jahrzehnte lang hinterher geflogen sein wird. Sie wird eine kleine Ewigkeit um mich kreisen, ehe sie einen kühlschrankgroßen Abgesandten aus Titan und Mikroprozessoren abwirft, der sanft auf mir landet und spektakuläre Bilder nach Hause sendet. Doch das wird eine ganz andere Geschichte sein, die uns eine ferne Zukunft erzählen soll.




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