Theobald O.J. Fuchs: Stilles Wasser

MONTAG, 27. APRIL 2015

#Comedy, #Kolumne, #Theobald O.J. Fuchs

Ich hatte mich nach oben geschwiegen, nach ganz oben. Und ich war wieder abgestürzt, dorthin zurück, wo ich herkam. Dazu brauchte es nicht mehr und nicht weniger als das mineralische Schweigen, eine natürlich vorkommende Sprachlosigkeit, die ich als Erster entdeckte und vermarktete.

Schon von Kindesbeinen an hatten mich Quellen und Bergwerke interessiert. Denn beinahe hätte ich einen Gedankenbrunnen geerbt. Beinahe, sage ich, wenn nicht schon vor vielen Jahrzehnten meine Vorfahren ihren Besitz und alles Vermögen bei den illegalen Schafskämpfen, die damals in Mode waren, verspielt und den Rest verprasst hätten. Hätten sie das nicht gemacht, ich wäre heute noch der stolze Direktor einer fabrikmäßigen Gedankenabfüllung. Die Menschen rissen meinen Abgesandten die Flaschen, aus denen die Gedanken nur so sprudelten, aus den Händen, so dass da anhöbe ein großes Gezeter und Geplärre, wenn ich mich entschiede, das Angebot zu verknappen, rein aus einer unbegründeten Lust und Laune heraus, als herrlicher Gedankenflaschenkönig eines längst versunkenen Kaiserreichs.

Doch die Realität sah anders aus. Verarmt, aller Macht und Würde beraubt, erhielt ich nicht mehr als eine rudimentäre Ausbildung als Flaschendreher. Nicht einmal ein Aufbaustudium als Korkenzieher war noch drin im Budget. „Für dich muss das reichen,“ sagte mein Vater, „deine Eltern müssen jetzt sehen, dass sie weiter kommen.“

Denn ich habe siebenundzwanzig kleinere Geschwister, die inzwischen auch zu knospen begannen und nach Bildung schrien, aus vollem Halse. Eines seltenen stillen Tages hatte ich dann die Eingebung, die mich bis an die Spitze der Gefühlshändler brachte, obwohl oder sogar weil ich ja eigentlich kein Gefühl, sondern nur die Vorstufe vertrieb.

Ich füllte in jede Flasche, derer ich habhaft werden konnte, Schweigen hinein. Schweigen ist bekanntlich das Gold der Gedanken. Anstatt wie früher in die Flasche hinein zu schweigen, konnten sich die Käufer meiner Abfüllungen diesen toten Raum einverleiben, um umgekehrt ihre Gedanken dort einzufüllen. Damit wurde ich groß, ganz groß, es schien, als hätten die Menschen darauf gewartet, nur darauf. Auf mein Produkt.
Ich blieb mir stets treu und füllte nur Flaschen, nie hätte ich schweigende Fässer abgefüllt. Das hätte meinen ureigenen Vorstellungen von anständigen Gefäßen widersprochen.

Flasche um Flasche wurde verkauft, in manchen Kneipen, wenn es hoch her ging, ballte sich das Schweigen so dicht zusammen, dass der Raum zum Bersten gefüllt war. Bis die Blase platzte und hinaus auf die Straße strömte, wo sofort gespenstische Ruhe einkehrte, die nicht wenige erschreckte Anwohner veranlasste, die Polizei zu rufen und sich wegen der unerträglichen Stille zu beschweren.

Den Höhepunkt meines Erfolges erzielte ich mit der Essenz der Milde. Zuerst wollte ich das Getränk „Milde Auslese“ nennen, doch ein Kaffeeproduzent ließ den Namen vor Gericht verbieten. Weitere Geschmacksrichtungen waren „Einsicht“, „Vergebung“ und „Geduld“. Das Zeug ging weg wie die warmen Semmeln. Zudem schuf ich die  Abwandlungen spritziges und naturelles Schweigen, die leicht anders wirken, wenngleich ihre Anhängerschaft auf eine kleine Schicht besonders anspruchsvoller Sprachloser beschränkt blieb.

Die Menschen tranken mein schweigendes Wasser, schütteten es literweise in ihr Inneres, um die schwarze Traurigkeit fort zu spülen, die in jener Zeit viele plötzlich und wie aus heiterem Himmel überkam, so schmerzhaft, als stäche ein geschärftes Messer senkrecht von oben direkt in den Kopf. Diesen Schmerz spülte mein schweigendes Wasser in Nullkommanichts davon und hinweg, neue, bunte, zarte Gedanken breiteten sich aus, erfüllten die Leere und die Menschen mit Freude.

Leider geriet der Trend zu den schweigenden Mineralien so schnell wieder aus der Mode, wie er aufgekommen war. Die Leute waren irgendwann einfach übersättigt.

Da stand ich dann sauber da, meine Felle schwammen davon, und ich hatte nicht genug Hände, um auch nur eines zu halten. Zwar versuchte ich es dann doch noch mit Fässern, aber deren hohler Hall erregte bei den meisten lediglich ein leichtes Ekelgefühl. Nach nur wenigen Jahren eines Lebens in Saus und Braus landete ich also wieder auf der Straße. Doch meinen Erfolg, den ich in der Schatztruhe meiner Erinnerungen sicher verfahre, kann mir niemand mehr nehmen. Von ihm werde ich bis ans Ende meiner Tage schweigen wie ein Grab.


(Fotos:  Katharina Winter)
 




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