Theobald O.J. Fuchs: Bau

SAMSTAG, 6. DEZEMBER 2014

#Comedy, #Kolumne, #Theobald O.J. Fuchs

Alles entwickelt sich. Erst wächst‘s, dann blüht‘s und schließlich verwelkt‘s. Jedes Zuckermolekül in jeder Rübe, jedes Reh auf der Wiese und jeder Maulwurf darunter, das römische Reich und die Sowjetunion, der Siemens und die Deutsche Bahn, Ruhm und Reichtum und nicht zuletzt du selbst: am Ende muss alles vergehen, so ist der Gang der Dinge.

Frühmorgens um vier klingelte mein Wecker, um viertel nach vier stand ich draußen an der Straße, es war Herbst, also stockfinster, klebrig kalt und neblig. Der, der sich „Der Polier“ nennt, tauchte keine zwei Minuten später auf, am Steuer des verbeulten Transporters, auf dessen Ladefläche wir am Vorabend Werkzeug und Material geladen hatten, das wir brauchen würden. Wir saßen schweigend im Führerhaus, bliesen Zigarettenrauch ans Armaturenbrett und genossen die Wärme innerhalb der beschlagenen Scheiben. Rasch langten wir an, am Ziel, schnell waren Kreuzhacke, Schaufel, die zweihändige Säge und der Wurzelbohrer abgeladen und in Position gebracht. Die Asphaltdecke leistete kaum Widerstand, der zu hartem Sediment zusammengebackene Schutt, auf den wir darunter stießen, hielt uns ebenfalls nur kurz auf. Dann durchquerten wir, wühlend wie die Rohrspatzen, die Knochenschicht, die bierführende Schicht, die Schichtschicht und schließlich die Tonbrezelschicht, unter der wir endlich die tragende Schicht erreichten. Und darauf eine schöne runde Frühstückspause errichteten. Es war kurz nach sechs, noch kein Mensch unterwegs, alles neutronenbombenmäßig säuberlich ausgestorben auf der vierspurigen Straße zwischen Nürnberg und Fürth, etwa auf Höhe des Landgerichts.

Wir rauchten, während wir am weißen Preßsack kauten, den der, der sich „Der Polier“ nennt, verteilte. Gestärkt ergriff dieser die Schubkarre und stellte sie hochkant neben eine schmale Blumenrabatte. Darin sprießte ein Baum, der in einen kunterbunten Strickstrumpf gehüllt war. Der, der sich „Der Polier“ nennt, hockte sich hinter die Karre, die ihm zum Sichtschutz gereichte. Denn er sah rein gar nichts, war doch sein Kopf dahinter diskret verborgen. Nur sein gewaltiges Gesäß ragte gleichsam als doppelter Vollmond hinter der Wanne hervor. Ich will nicht groß darauf eingehen, womit er die nächste Viertelstunde beschäftigt war, denn es stand im unwiderlegbaren Widerspruch zu den gut lesbaren Hinweisschildern, welche die Anwohner in der Rabatte aufgestellt hatten.

Danach ging‘s mit maximalem Schwung ans Werk: die Betonmischmaschine angeschmissen, Sand und Ziegel haufenweise herbei gekarrt, mäßig Eisen und Stahl untergerührt, Prise Teerpappe dazu, Fundament gelegt und Sockel gesetzt. Mit Wasserwaage, Lot und Drainage gefuchtelt, dass alles zu spät war.

Gerade noch rechtzeitig, denn die ersten Autos tauchten auf, stutzten, bremsten und blieben stehen. Selbstverständlich hatten wir alles fein sauber abgesperrt und ausgeschildert, in beide Richtungen mit lustig blinkenden gelben Warnbaken und rot-weiß-gestreiften Schranken und „Gesperrt“-Schildern, quer über alle vier Spuren mitsamt Gehsteigen. Wir baten um und stießen ausschließlich auf Verständnis, nichts darf einer zünftigen Erdbewegung im Wege stehen, nie und nimmer.

Wir ließen uns auch nicht ablenken, als wenig später die Polizei auftauchte. Schließlich hat die Baustelle Vorrang, vornehmlich wenn es sich nur um eine elegante schlanke Mauer quer über die Fürther Straße handelt. Bauarbeiter dürfen alles, wenn sie nur die Baustelle ordentlich abriegeln, einzäunen und beschriften. Bauarbeiter bauen, und wer baut, hat recht. Die Beamten lasen, was wir auf ein hübsches gelb-schwarzes Schild geschrieben hatten: Parken verboten - Dauerbaustelle! Die Cops konnten nicht anders, als das zu respektieren, und zogen friedlich von dannen.

Wenn sie in zweitausend Jahren an jener Stelle erneut graben werden, werden sie einen gewaltigen Koprolithen finden, hinter dem rostigen Abdruck einer Blechwanne, und die Überbleibsel einer Sperrmauer. Das Sprengkommando werden sie rufen, nur zur Sicherheit, und eine Kultstätte werden sie postulieren, irgendwas Religiöses, wie es des Archäologen Art und Sitte ist.

Denn alles vergeht, nichts ist von Dauer. Nicht Opel, nicht Grundig, nicht die Quelle und nicht die A.E.G. Auch nicht Schlecker, Marktkauf oder Spar. Nicht die Sonne, nicht die Berge, nicht dieses Veranstaltungs-Magazin-Dingsbums und vielleicht nicht einmal ich. Es gibt nur eine Ausnahme, die bleibt für immer bestehen, und das ist die Dauerbaustelle. So eine Dauerbaustelle ist das Immergrün unter den Baumaßnahmen, sie ist großartig, winterfest und unverwüstlich. Sie ist die Ewigkeit.

 




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