Womöglich ein Rückblick
#Ausstellung, #Kunst, #Natalie de Ligt
Einer der interessantesten Ausstellungen in der Metropolregion ging vor Kurzem zu Ende. Deshalb gibt es hier einen Rückblick mit vielen Bildern. Dass die Ausstellung so gut und besonders war, weiß ich so genau, weil ich zusammen mit den Nürnberger Künstler Reiner Bergmann, das Projekt kuratiert habe. Eigenlob ist völlig unterschätzt.
KÜNSTLER DES FRANKFURTER ATELIER GOLDSTEIN ZU GAST IM BORGO ENSEMBLE
Außergewöhnlich ist zunächst der Ort: Ehemalige Wohnungen in einem Mehrparteienhaus an der Stadtgrenze Nürnberg-Fürth; Hausnummer 159 und 161, jeweils 3 Stockwerke mit 3 Parteien. Die früheren Bewohner hinterließen mehr oder weniger Mobiliar und Odeur in den Wohnungen. Es gibt Zimmer, die gut in Schuss, aber hoffnungslos aus der Zeit gefallensind, andere sind licht und hell, wieder andere starren vor jahrzehntelangen Gebrauchs- und Rauchspuren. Diese und Tapeten aller Art sind die stummen Zeugen jener Menschen, die hier einmal gelebt haben. Als Zwischennutzer des Gebäudes öffnete Reiner Bergmann vor fünf Jahren den Ort auch für Freunde und Interessierte und nannte das Gesamte „Borgo Ensemble“.
In diesem Jahr luden er und Natalie de Ligt Künstlerinnen und Künstler des Frankfurter Atelier Goldstein in die Wohnungen des Hauses Nr. 161 ein. Auf drei Etagen entstand eine durchaus organisch gewachsene Schau, bei der das Zusammenspiel der Frankfurter Arbeiten sowohl mit den unterschiedlichen Räumen als auch mit den vom letzten Jahr bewusst belassenen Installationen von Nürnberger Künstlern ein bemerkenswertes Gesamtbild ergab, das lange nach dem Besuch nachschwingt.
Christa Sauers (Atelier Goldstein) monumental wirkenden abstrakten Bilder zeugen von einer Leichtigkeit, von kompositorischem Gespür, und sie sind bar jeden Zwanges – beneidenswert, wenn einem Bild Energie derart kraftvoll und selbstverständlich innewohnt. Ihre Bilder fügten sich wie geschmiert in das patinierte Wohnzimmer eines Kettenrauchers und korrespondierten ebenso sinnig mit den Zeichnungen des Regensburger Künstlers Peter Engel sowie im Durchblick mit Peter Angermanns Wandbild.
Geradezu museal konnten sich da Birgit Ziegert und ihr Atelier Goldstein-Kollege Julius Bockelt in einer „ordentlichen“ Wohnung präsentieren. Bockelts wie am Computer generierten Zeichnungen von Mustern und Strukturen mit Moiré-Effekt, bei denen das Auge permanent scharf stellt und die gleichwohl an simulierte Interferenzen denken lassen, standen in Kontrast zu Birgit Ziegerts wilden Stickereiobjekten, bei denen sie Wollfäden von satter Farbe einsetzt – wie ein Maler Pinsel und Farbe. In diesem Dialog trafen gewissermaßen Chaos und Ordnung aufeinander.
Eine seltsame Geschichte konnte sich im Kopfkino entspinnen in jenem, mit braunem Linoleum ausgelegten Schlafzimmer, das mit einer ebenso grusligen Kleiderschrankwand versehen ist. Hier zeigte Julia Krause-Harder (Atelier Goldstein) zwei ihrer erstaunlichen Saurier-Objekte, die sich in dem kruden Ambiente als vergessene Relikte und zugleich Eroberer ausnahmen. Krause-Harder verfertigt die Urtiere aus Materialeien wie Kleiderbügeln, Metallteilen aller Art, Kabelbindern, Eisen- und Alustangen, Gardinenringen etc. Die Objekte entsprechen in ihrer Anatomie dem neuesten Forschungsstand. Denn Krause-Harder versteht sich vor allem als Forscherin. Sie weiß alles über die ausgestorbene Spezies und hält auch wissenschaftliche Vorträge. Als Objekte bewegen sie sich spannungsreich zwischen Kunst und Wissenschaft, Wirklichkeit und Phantasie. Letzteres trifft auch auf zwei Maler zu: Klaus-Peter Wieseckel aus Nürnberg und den Goldsteiner Franz von Saalfeld. Wieseckel präsentierte seine Bilder in einer Küche, die andere wohl scheuen wie Dracula den Knoblauch. Die Wände sind nämlich Giftgrün gestrichen. Die von Wieseckel entworfenen, zum Teil ins Märchenhaft-Phantastische reichenden Szenarien spielen stets im Freien. Oft mutet die Landschaft wie eine theaterhafte oder eben theatrale Kulisse an, in der sich diffus – oder konkret, etwa durch einen Autounfall – Unheilschwangeres andeutet. Ein Stock tiefer an weißen Wänden waren die wundersamen und wunderbaren Aquarelle von Franz von Saalfeld zu entdecken. Sie zeigen farbenfrohe, detailreiche Alltagspanoramen, in denen Reales und Surreales gleichermaßen seinen Platz findet. Von Saalfeld porträtiert sein häuslich-familiäres, kleinstädtisches Umfeld, wobei die Routinen, Rituale und Biederlichkeiten erst die Basis zu bilden scheinen für die phantastischen Eigenschöpfungen, die er einwebt. Grandios und bezaubernd ist das Bild einer Landkarte mit dem Titel „Wer die Welt kennt“. Die Namen der Städte und Flüsse scheinen real, aber nicht alle – oder kennen Sie den „Kommhündchensee“ oder den Ort „Schlaftrunken.“
Zu jedem Werk und zu jedem Zimmer sollte etwas gesagt werden, allein der Worte sind schon so viele geschrieben. So bleibt die Erwähnung der weiteren teilnehmenden Künstler: Aus Frankfurt waren dies Perihan Arpacilar, Hans-Jörg Georgi, Markus Schmitz, Selbermann, Lothar Zaubitzer, Juewen Zhang. Und aus Nürnberg und Umgebung beteiligten sich Reiner Bergmann, Die Weltanschauungsbeauftragten, Cornelia Effner, Matthias Egersdörfer, Thomas Lunz, Martin Mittmann, Yor Vink, Fredder Wanoth und Reiner Zitta. Letzterer lud wiederum Schülerinnen und Schüler aus dem Wichernhaus in Altdorf ein, inmitten seiner Werke ihre gezeichneten Porträts zu präsentieren.
Kaum jemand würde vermuten, dass es sich bei den Künstlern aus dem Atelier Goldstein um Menschen mit Behinderung handelt, auf kunsthistorisch neudeutsch: Außenseiter-Künstler, früher sagte man Art Brut. In der Auseinandersetzung mit den Arbeiten ist Behinderung sehr, sehr fern. Das merkt auch Christiane Cuticchio, Gründerin und Leiterin des Atelierhauses, in einem Interview zu der vor 10 Jahren initiierten Institution an.
BORGO ENSEMBLE
Nürnberger Str. 159/161
90762 Fürth
www.borgo-ensemble.de
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