Theobald O.J. Fuchs: Gemüse

1. NOVEMBER 2014 - 30. NOVEMBER 2014

#Kultur, #Theobald O.J. Fuchs

Die niedlichen kleinen Spinnen auf der Wiese breiteten heute morgen kleine Picknick-Decken aus, fünf, zehn, fünfzehn weiße Tupfer im Gras, und der Nebel eilte hurtig herbei, um funkelnden Perlwein aufzutragen. Derselbe Nebel, der prompt auf meiner Brille niederschlug, so dass ich nichts mehr sah. Obwohl ich, wenn meine Brille sauber ist, sogar durch einen Kohlrabi hindurch sehen kann. Gegen Mittag, wenn die Sonne wieder herauskommt.

Es ist nämlich Herbst geworden, und ich bringe die letzte Ernte ein. Die Gelberüben stellten sich nicht ganz blöd an, dieses Jahr, man muss sie eben fördern und fordern, wie frühkriminelle Kinder. Erst gießen, damit sie nicht eingehen, dann auf dem Trockenen sitzen lassen, damit sie die Wurzeln strecken. Regelmäßige Ermahnungen, ein paar Nackenschläge, doch immer in Maßen. Und zur Belohnung hin und wieder ein kräftiger Schluck Wasser. Das gilt übrigens für alle Pflanzen.

Die fünf ärgsten Feinde des Gärtners sind: Nacktschnecke, Blattlaus, Fadenwurm, Kartoffelkäfer und der rumänische Nachbar. Letzterer ein Siebenbürger, den die Bundesregierung vor 40 Jahren dem regionalen Diktator abkaufte. Im Dreier-Sparpack mitsamt Ehefrau und Schwiegermutter. Hundert Kilo Gepäck durfte jeder Erwachsene mit in dem Zug nach Deutschland nehmen, und der Nachbar nutzte dieses Kontingent, um sich unterwegs, im berühmten Chemiekombinat „Unkrautul Ecs“ bei Bukarest einen unerschöpflichen Vorrat erlesenster Gifte zuzulegen. Im Frühjahr wird daher plötzlich beiderseits des Grenzzauns über Nacht das Gras gelb, qualmende Krater erblühen in den Steinplatten des Patrouillenweges, tote Nachtgieger krümmen sich unter verkohlten Stengeln.

Ich schloss diesen Rumänen vom Fleck weg ins Herz, weil er sich noch nie angepasst hat – weder an die dekadente Laissez-faire-Gesellschaft des Kommunismus', noch an die betongraue Umweltschutzdiktatur in Deutschland. Sein Glück steht fest auf den drei Beinen, die da heißen: selbst angebaute Zucchini, selbst angebaute Paprika und selbst gebrannter Multi-Frucht-Schnaps.

Die Fadenwürmer mögen den Meerrettich nicht, dem ich daher großzügig Asyl neben dem Kartoffelbeet gewähre, obwohl er maulfaul und einfältig ist. Die Läuse wasche ich mit reichlich Geschirrspülmittel von den Blättern, die Kartoffelkäfer sammele ich ein und werfe sie ins Feuer, wo sie schmelzen und zu einer gelb-schwarz gestreiften Paste gerinnen, aus der in Vollmondnächten die Geister aller getöteten Schädlinge empor steigen und grauenerregend knistern.

Nur die Nacktschnecken sind eine ernste Bedrohung und meiner Meinung nach von der Regierung sträflich unterschätzt. Mit Luftangriffen allein wird sich dieses Problem nämlich nicht lösen lassen – nur Bodentruppen könnten wirksam gegen die schleimige Brut vorgehen, davon bin ich überzeugt. Nacktschnecken sabotierten meinen ersten Versuch, Kohlrabi großzuziehen und auf die Universität zu schicken. Einige Opfer wurden derart zusammengebissen, dass nur noch unförmige graubraune hölzerne Strünke übrig blieben. Getrockneter Walfisch-Rotz, der absolut ungenießbarste Schlonz aus der Rückseite einer Kuh. So sah das aus.

Doch wie heißt es so schön? Nur die harten kommen in den Garten. Eine Minderheit der Kohlrabi überlebte den Fraß wie durch ein Wunder, blieb jedoch schwerstens entstellt und verstümmelt. Durch drei oder vier Exemplare konnte ich sogar hindurchsehen, wie durch ein Schlüsselloch, da wo die Schleimwürste einen Tunnel gebohrt hatten.

Natürlich übte ich Rache. Ich ermordete so viele Schnecken, dass ich nachts Alpträume bekam. Von einem Schneckengerichtshof, der mich verurteilte wegen Schneckenmassenmord mit besonderer Grausamkeit.

Denn irgendwann platzte mir der Gummistiefel, angesichts der unzähligen Ekelwürste, die an meinen Pflänzchen lutschten. Da schnappte ich mir ein Blecheimerchen, füllte Wasser hinein und sah mich um nach Salz. Und so landeten die Schnecken in einem kalten Sud, worin sie schlagartig anschwollen und aufplatzend zu grau-braunen Schleimschwaden transmorphten. Die zwischen Kräutern aus der Provence trieben. Da hatte ich mir's eingebrockt, das leckere Schneckengericht … 




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