Dem Egers sei Welt #29

DIENSTAG, 8. JULI 2014

#Comedy, #Egersdörfer, #Kolumne

An manchen Tagen werden mir meine Handlungsreisen schwer, als ob ich eine trächtige Braunbärin auf dem Rücken durch die Geisterbahnwelt schleppen müsste. Gespenster mit leeren Augen sprechen mir feucht ins Antlitz und zerren spitzfingrig meine Jackett-Ärmel in hundert verschiedene Richtungen und zupfen unablässig an meinem löchrigen Seelenhemd.

KLEINE NÄCHTLICHE PHANTASIE

Im Saal sitzen wintermüde Motten mit verstaubten Flügeln, die lassen ihre Saugrüssel aus dem Kopf aus- und einrollen. Ich trinke einen Schluck lauwarmen Tee mit undefinierbarer Farbe, kontrolliere mein Hosentürchen, trete auf die Bühne und spreche eine Stunde über Chancen und Gefahren der Hundeflohzucht im 21. Jahrhundert. Pause. In einer windschiefen Kammer hinter der Bühne sitze ich im Dunst meines Achselschweißes und betrachte das Glas, in dem sich die feuchte Aufmunterung befindet. Auf der Oberfläche beobachte ich eine merkliche Wellenbildung. Irgendetwas Lebendiges schwimmt in der Tasse. Ich schütte mir die Flüssigkeit in den Rachen und schlucke mit geschlossenen Augen, kontrolliere mein Hosentürchen, trete auf die Bühne und spreche eine weitere Stunde über Gefahren und Chancen der Hundeflohzucht. Am Ende meines Vortrags verbeuge ich mich. Die Motten husten asthmatisch und schlagen mit den Flügeln. Grauer Staub fliegt durch die Luft. Ich rolle meine großformatigen Abbildungen des Hundeflohs zusammen, knöpfe den obersten Hemdknopf zu und verschwinde, wie ich gekommen bin.

    Ich setze mich auf den Rücken eines gutmütigen Bernhardiners, der mich ins Hotel trägt. Hinter der Rezeption sitzt eine Stabheuschrecke. Mit einem Auge beobachtet sie mich, mit einem Auge schaut sie auf den Bildschirm. Mit einer Hand tippt sie auf der Tastatur, mit der anderen Hand nimmt sie aus einem Kistchen ein Zettelchen, auf das ich meine Angaben machen soll. „Ob unter Umständen noch ein Raucherzimmer frei wäre“, frage ich in Demut. „Da muss ich schauen“, antwortet die Schrecke und betrachtet mit acht Augen den Bildschirm und tippt dazu mit vierundzwanzig Fingern einen klackernden stillen Walzer auf das Griffbrett. Sie lächelt mich an, wie nur eine Phasmide lächeln kann, und sagt: „Sie haben Glück. Zimmer 316 ist frei und da dürfen Sie rauchen.“ Sie händigt mir mit drei Händen den Schlüssel aus, und ich fahre mit dem Aufzug in den dritten Stock und öffne die Tür zum Zimmer 316.

    Ich schließe die Pforte und die Welt hinter mir. Stelle mein Gepäck auf den Boden, öffne das Fenster, ziehe Hemd und Hose aus und lege mich aufs frisch gemachte Bett, nehme ein Zigarettenpapierchen aus dem Tabakbeutel, lecke einen Filter feucht und klebe ihn links, fülle daneben kinderfingerlang den Tabak, rolle die Konstruktion, küsse den Papierrand und verschließe ihn, wie man einer Braut das Brautkleid am Rücken verschließt. Sodann nehme ich das hintere Ende sanft zwischen meine Lippen. Meine rechte Hand nimmt ein Zündholz aus der Streichholzpackung. Mit links halte ich das kleine Kistchen, und ich reibe den roten Kopf über die Reibefläche. Hell brennt das Hölzchen, und ich führe die Flamme ganz sacht an die Zigarettenspitze. Der Tabak entflammt. Wenn Du die Luft anhältst und es ganz leise ist, kannst Du es knistern hören. Ich sauge den Rauch ganz tief den Hals hinunter und blase ihn hernach in die Luft über meinem Unterhemd.

    Eine weiße Wolke rauche ich mir über meinen runden Bauch. Sie steht erst da und dehnt und dreht sich und zieht lautlos zum offenen Fenster hinaus. Schaukelt über das Dach des Hauses, fliegt unter Sternen und Mond über die Stadt. Meine weiße Rauchwolke schwebt über Straßen und Wege, nächtliche Teiche mit quakenden Fröschen, sanft wogendes Getreide, Parkplätze, Burgen und Schlösser und Gewerbegebiete, am Ortsschild vorbei, lässt die Tankstelle links liegen, die schlummernde Allee entlang, huscht über Schornsteine in den Hinterhof, den ich vermisse. Der Rauch aus meinem Mund fliegt zum zweiten Stock im Hinterhaus hinauf, strömt durch das gekippte Fenster und umarmt die Frau, die da liegt und die ich liebe.


* Elias Hauck & Dominik Bauer sind das Comiczeichner-Duo Hauck & Bauer. Ihre Arbeiten erscheinen regelmäßig in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und dem Satiremagazin Titanic.
hauckundbauer.blogspot.de

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Uns Egers macht‘s wie die Lehrer – Sommerferien im August!
Zurück ab Mitte September (Auftritt beim 3satfestival) gibt‘s im Oktober dann wieder geballte Bühnenpräsenz.

 




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#Comedy, #Egersdörfer, #Kolumne

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