Dem Egers sei Welt #26

MITTWOCH, 5. MäRZ 2014

#Egersdörfer

Oft und gerne fahre ich in Nürnberg und Fürth mit der, zugegeben, hundsteueren U-Bahn in der Gegend herum. Mit mir im Abteil sitzen und stehen Männer in Monologe verstrickt und Frauen lesen mehrere hundertseitige Romane. Babys in Kinderwägen lutschen Konfekt. Der Backfisch wischelt auf dem Smartphone herum. Agile Bratzen drehen sich an Stangen. In Behältnissen aus Plastik werden Kuchen und Katzen transportiert. Ein wohliger Schauer durchfährt die reisende Schar und nicht wenig auch mich, wenn sich die strenge Stimme des Steuermanns oder der Steuerfrau über die Lautsprecher meldet, weil sich unförmige Fahrgäste in den Türen verkeilt haben. Wenn ich nach meiner brausenden Fahrt aussteige und in Fahrtrichtung nach vorne gehe, kann ich den U-Bahn-Kapitän beobachten, wie er stolz und erhaben aus seiner einsamen Fahrerkabine einen kleinen Schritt auf den Bahnsteig macht und unbestechlich und unbeugsam auf die Türen der Bahn blickt, ob auch keiner der Reisenden durch dummes Stehen oder unzeitiges Aus- und Einsteigen die Weiterfahrt vereitelt. Wenn die Pforten des Zuges frei sind, drückt er oder sie erhaben und ernst ein kleines Knöpfchen. Die Türen schließen sich demütig. Der Kapitän oder die Kapitänin schreitet zurück in das Cockpit, startet die Bahn und schließt elegant und lässig, oftmals erst während der Fahrt, die eigene Tür.

DIE FÜHRERLOSE U-BAHN

Des Öfteren bin ich schon mit der sogenannten führerlosen U-Bahn gefahren. Ich gebe auch gerne zu, dass ich mich immer ganz vorne hin drängle. Wenn vorne schon jemand steht, meistens handelt es sich um unreifes Gemüse, dem es ganz und gar an sittlicher Reife mangelt, setze ich meinen grimmigen Blick auf. Dadurch kann ich ganz vorne meistens auch schnell ganz alleine stehen. Wenn mein böses Geschau nicht ausreicht, ziehe ich lautstark Rotz die Nase hinauf. Wenn ich darauf keine Reaktion feststellen kann, furze ich. Sodann verdrehe ich meine Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen ist, fuchtle mit meinen Armen und murmle Sätze aus der Apokalypse: „Und die sieben Engel mit den sieben Posaunen hatten sich gerüstet zu posaunen. Und der erste Engel posaunte: und es ward ein Hagel und Feuer, mit Blut gemengt, und fiel auf die Erde; und der dritte Teil der Bäume verbrannte, und alles grüne Gras verbrannte. Und der andere Engel posaunte: und es fuhr wie ein großer Berg mit Feuer brennend ins Meer; und der dritte Teil des Meeres ward Blut.“ Im Regelfall reicht ein Engel aus. Meistens stehe ich dann schnell allein vorne. Das genieße ich. Einsam wie Kapitän Ahab rase ich durch den finsteren U-Bahn-Schacht durch die immerwährende Dunkelheit in rastloser Fahrt in einem sinisteren Traum.

Was ich mich jetzt frage, ist: Was fühlt dieser wackere Kapitän, wenn direkt neben ihm am Nachbargleis der führerlose Geisterzug halt macht und sich wie Zauber die Türen öffnen, wenn eine entmenschte Stimme spricht und Knödel aus den Türöffnungen treibt und ohne eines Meisters Fingerdrücken auf den Knopf die Türen sich wie mit seelenloser Magie schließen? Gibt es eine infamere und gemeinere Art und Weise, jemandes vollständige Nutzlosigkeit und Ersetzbarkeit vor Augen zu führen?
Was wissen wir von den Empfindungen einer Bibliothekarin, die einst noch meine Metamorphosen von Ovid auf der letzten Seite scheppernd stempelte und mich mit Adieu verabschiedete und beim Wiedersehen mich erst huldvoll grüßte und hernach den Stempelgruß beäugte? Einem frigiden Scanner kann ich in der Bibliothek jetzt den Barstrichcode über die nackte Linse halten.
Was treibt die runde Frau im Freibad, wenn sie bald Platz macht für einen elektronischen Kasten, der erst nach Fütterung mit Münzen den Weg frei macht, aber blöde schweigt, wenn ich in seine Richtung plaudere?
Wie fühlt der Schlagzeuger der Kirchweihband, der den 4-Vierteltakt manchmal vergeigte und dann vom Drum-Computer ersatzlos ersetzt wurde? Schreibt der jetzt Symphonien oder dirigiert die Symphoniker?
Wie geht das mit dem Publikum in den Theatern so weiter? Bestimmt nicht bis in die Ewigkeit. Ihr Verhalten wird gemessen und verwertet. Die Lach- und Klatschfrequenz wird ermittelt. Wenn da der Proband unter das Mindestmaß rutscht, darf er oder sie irgendwann nur noch ganz jungen Talenten an der Blockflöte lauschen. Der Stuhl misst das Lebendgewicht. Wenn du zu fett bist, wird das ganz schnell hochgerechnet. Das kann sich kein Unterhaltungsbetrieb leisten, dass der dicke Knödel regelmäßig kommt, weil er das Gestühl zersitzt. Wer soll das zahlen?
Dann kannst du nur noch deinen Cyborg schicken. Der klatscht und lacht an den richtigen Stellen. Und mit seinen Augen nimmt er das Bühnenprogramm auf, und du kannst das dann daheim am Bildschirm anschauen. Den kannst du bald auch für dich zur Arbeit schicken. Eines Tages komme ich dann heim nach nicht getaner Arbeit und will mich auf das Sofa legen, und dann liegt er schon da. Ich sage: „Was macht der Cyborg auf dem Sofa?“ zu meiner Frau. Und die sagt: „Der Cyborg liegt. Und was das Schöne ist, er furzt nicht dabei. Er küsst auch gut und unterbricht sein Küssen nicht mit einem Rülps. Er kann auch gut mit den Kindern. Wir haben keine Verwendung mehr für dich. Adieu!“

Die Blutsauger und Geldgeier von Amazon wollen es machen; unsere Post, die mal ein funktionierendes Unternehmen von uns allen, des Staates nämlich, war, will es auch machen. Kürzlich hat die Post in Bonn zum ersten Mal ein Paket mit einer Drohne zugestellt. Irgendein Postfuzzi meinte, das sei der Anfang einer glorreichen Zukunft der Paketzustellung – irgendwelches Zeug, das irgendwelche Maschinen hergestellt haben, wird, von Robotern verpackt, von unbemannten Flugobjekten zu – ja, zu wem eigentlich gebracht? Zu einem, der mit Geld, das er nicht hat, weil er keine Arbeit hat, etwas kaufen soll, das er nicht kaufen kann?

Da fragt sich: Wenn der Totenreichtraum des Kapitals, das kein variables Kapital, also keinen U-Bahn-Kapitän, keine Bibliothekarin, keine Kassiererin im Schwimmbad, keinen Spaßmacher und keinen Eintrittskartenkäufer mehr braucht, wenn der erfüllt ist; wenn nur noch das Geld und die Maschinen die Welt beherrschen und kein Menschengesindel mehr stört – was macht das Kapital dann? Frisst das Geld selber die Schnitzel? Wofür gibt es sich selber aus? Geht das Geld in die Kneipe, schmeißt eine Runde und säuft sich mit einer lustigen Mannschaft zugedröhnter Drohnen einen an? Ficken sich Geld und Maschinen gegenseitig? Wäre das nicht eine gigantische nekrophile Sauerei?
Oder wichsen die Drohnen einfach so vor sich hin? Und das Geld guckt zu und wird geil dabei?


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EGERSDÖRFER UND ARTVERWANDTE (u.a. auch mit "Der Frau ihr Welt" von und mit der scharfsinnigen Kunsthistorikerin Natalie de Ligt.)
findet am Dienstag, den 11. März, ab 20 Uhr im KunstKulturQuartier (ex K4) statt (und wird ganz offiziell von curt präsentiert!).

Mit von der Partie sind der bereits zum Kult avancierte Praktikant Philipp Moll, die unterwürfige Gespielin Carmen sowie Egersdörfers Ehefrau, die geistreiche und nicht minder scharfzüngige Kunsthistorikerin Natalie de Ligt. Durch einen heiter-bissigen Abend führt das einer bunt-verrückten Popwelt entsprungene „Nummerngirl“ Bird Berlin (Sänger und Tänzer Bernd Pflaum).

FÜRCHTET EUCH NICHT:
Egersdörfer, Philipp Moll und Fast zu Fürth spielen die Preview zu ihrer Tour am 5. März im Katana.

VOM DING HER:
Egers erzählt – meist im Stehen – am 7. März unmögliche Geschichten in der Comödie Fürth.

Mehr von Matthias Egersdörfer:
www.egers.de
Nachbericht (vom 11. Februar)




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#Egersdörfer

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MAGAZIN  23.02.2024
AKADEMIE DER BILDENDEN KüNSTE. Text Matthias Egersdörfer

Der Moll war ein sehr langsamer Mensch. Er fuhr zum Beispiel mit einer kaum vorstellbaren Geschwindigkeit Fahrrad. Wäre er auch nur eine Kleinigkeit langsamer gefahren, wäre er schlichtweg umgefallen. Sah man den Philipp zum Beispiel von der Weite aus auf seinem alten Holland-Rad, musste man annehmen, dass er völlig reglos darauf saß und sich nicht bewegte. Auf der anderen Seite verfügte der Moll über eine blitzschnelle Auffassungsgabe. Jahrelang waren wir gemeinsam zum Christlichen Verein Junger Menschen hinmarschiert und hatten mit schier unermesslichem Übermut die Bibel bis knapp zum Irrsinn zerdeutet, hernach in herzlicher Zugewandheit mit den anderen Christenknaben bis zum Ohrenglühen gerauft und auch ansonsten keinen evangelischen Blödsinn ausgelassen. Dann, von einem Tag auf den anderen, war der Philipp nicht mehr hingegangen. Hat wortlos die Kündigung eingereicht. In Ewigkeit. Amen. Aus die Maus. Ich habe es am Anfang nicht begriffen. Es hat einige Zeit gebraucht. Das holdselige Himmelreich hatte seine Grenzen, von engstirnigen Glaubensbeamten errichtet. Da konnte man sich sauber daran derrennen. Und zum Müffeln hat es allenthalben auch schon angefangen gehabt. Junge Männer waren dazu gekommen, die sich für etwas besseres hielten, und vorbei war es mit unserem klassenlosen Bubenclub. Der Moll hatte einen Riecher. Dann hat er sich verzupft. Ohne Getu. Ohne Spektakel und großes Reden. Ich habe länger dazu gebraucht, das zu begreifen.
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HERSBRUCK. Bahnhof FÜRTH

Auf der blauen Himmelsleinwand über dem sandsteinernen Bahnhofsgebäude wurde ein Pinsel mit weißer Tünche immer wieder über die ganze Fläche abgestreift, um die Farbe aus den Borsten zu bekommen. Daneben im grauen Hochhausklotz glotzten die hundert schmalen Fensteraugen in müder Verschlagenheit. Auf den Bahnsteigen hingen blau gerahmte Displays in der Luft und zeigten den Reisenden die nächsten und übernächsten Anschlüsse hin zu anderen Bahnsteigen. Ein Mädchen mit weißen Steinchen im Ohr bewegte die kreidebleichen Turnschuhe mit ihren munter wiegenden Füßen und sprach und lachte mit einer Person an einem anderen Ort. Sanft griff sie in eine lange Strähne und zwirbelte das blonde Haar. Der Mann daneben löste seine Maske vom Ohr und trank vorsichtig aus der Mineralwasserflasche. Ein anderer hielt sich fast klammernd am Riemen der Tasche.

Eine Bahn fuhr heran. Seine Beine liefen zu den sich öffnenden Türen. Er verschwand. Die Türen schlossen sich. Die Bahn fuhr davon. Eine Frau mit gradem schwarzen Scheitel ließ eine Tasche unter dem Hintern nach vorne und hinten baumeln. Sie trug noch einen Beutel über der Brust und einen Rucksack am Rücken, als wolle sie sich von allen Seiten beschweren, um der Gefahr zu entgehen davonzufliegen wie der fliegende Robert. Dann pfiff hinten eine braune Lok, die sogleich geschäftig vorbeirollte, als habe sie im Lotto gewonnen. Dem geduldigen Postgebäude zur linken war ein Lederdach aufgesetzt worden. Wie braune Kappen auf den Köpfen von Knechten die im Viereck, Schulter an Schulter stumpf mit gestrecktem Rücken nebeneinender harren, stand es da und wartete auf Befehle. Direkt davor hatte man schwarze und gelbe Tonnen in einen engmaschigen Zwinger gesperrt. Die Quer- und Längsverstrebungen eines grünen Metallmasten überkreuzten sich im Blick darauf. Mit einer daran befestigten grauen Stangenkonstruktion wurde die elektrische Oberleitung recht aufwendig in die Luft gehalten. Weiße parallele Streifen flankierten im Sonnenlicht die Bahnsteigkante. Der Kabarettist stieg in die nächste Bahn nach Hersbruck ein und setzte sich zum Grafiker, der schon  im Waggon saß.
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