Dem Egers sei Welt #58: Die Wurst

DONNERSTAG, 31. AUGUST 2017

#Comedy, #Egersdörfer, #Kabarett, #Kolumne

Ein Freund hat mir eine vollständige Wurst zu Teil werden lassen. Der Mann ist unwesentlich älter als ich und begleitet mich seit geraumer Zeit in meinem Leben. Wir spielen eine halbe Stunde Federball mit der Absicht, uns anschließend in ein Wirtshaus gegenüber zu setzen und Bier zu trinken. Wir fahren hintereinander eine Strecke auf dem Fahrrad, um Appetit und Durstigkeit anzuregen. Am Ende der Fahrt kehren wir in ein Wirtshaus ein und trinken von Angesicht zu Angesicht an einem Wirtshaustisch Bier. Dazu verzehren wir eine Speise. Meistens fährt er auf dem Fahrrad vor mir her und ich sehe über Stunden nur den Hintern des Freundes. Im Wirtshaus bin ich froh darüber, wenn er mir gegenüber sitzt und Bier trinkt, spricht, schaut und ich nicht länger seinen stummen Hintern, der vor mir herfährt, betrachten muss.


Manchmal sprechen wir am Wirtshaustisch über die Probleme der Landwirtschaft. Dann sagt der Freund, dass ihn alles, was die Landwirtschaft betrifft, zutiefst belasten würde und dass er sich von den Gedanken an die Landwirtschaft fern halte. Dann sprechen wir nicht mehr über die Landwirtschaft. Oft sprechen wir über andere Themen wie z.B. Aspekte der Religion oder Weltpolitik. Nach einer Weile sagt der Freund, dass ihn die Auseinandersetzung mit dieser oder jener Angelegenheit deprimiere und innerlich derartig angreife, dass er nicht gewillt sei, die Sachlage noch weiter zu erörtern. Er bittet mich dann, die Unterhaltung an der Stelle sofort zu unterbrechen. Dann trinken wir Bier aus unseren Halblitergläsern und sagen nichts. Im Anschluss sprechen wir über etwas anderes. Manchmal denke ich mir bei diesen Abbrüchen im Gesprächsverlauf, dass ich von meiner Seite her die Sachlage durchaus noch eine Zeit lang erörtern hätte können. Ich schließe aber den Gedankengang damit ab, dass auch ich nach längerem Disput zu dem Ergebnis gekommen wäre, mir selbst das Weiterdenken oder Weitersprechen zu untersagen, weil ich mich dann in einen Kummer hineinsteigern würde, aus dem es keinen Ausweg gibt.

Ich kann mich durchaus der umgangssprachlichen Formulierung bedienen, dass mir der Freund ans Herz gewachsen ist und ich ihm gern im Wirtshaus gegenüber sitze, Bier trinke, Speisen esse, bereitwillig hinter ihm auf dem Fahrrad herfahre oder Federball spiele. Wenn der Freund allerdings bei einer Unterbrechung der Fahrradfahrt in der an seinem Fahrradlenker befindlichen Fahrradtasche zum Beispiel ein Taschentuch sucht, das er in der Tasche nicht finden kann, wird diese Herzensnähe einer Belastung ausgesetzt. Schnell verzerrt sich das Gesicht des Freundes in eine Fratze von maßloser Wut. Die Besonnenheit, die der Mensch in Wort und Bewegung am Biertisch an den Tag legt, stürzt um in einen Anfall der Raserei. Flüche und Verwünschungen wechseln sich mit der Verdammung der eigenen Unzulänglichkeit. Es scheint möglich, dass er gleich die Fahrrad-tasche herunterprügelt und zertrampelt, sein Fahrrad zerstört und sich zum Abschluss selbst in der Mitte entzwei reißt. Soweit kam es bislang noch nicht. Der Freund findet das Taschentuch in der am Gepäckträger befindlichen, zweiten Fahrradtasche und der Ausbruch endet so plötzlich, wie er angefangen hat.  

Unlängst hat der Freund mir eine Wurst zukommen lassen. Er wollte sie mir direkt nach Hause bringen. Ich wusste aber nichts von seiner Absicht und war nicht zugegen. Deshalb hat der Freund die Wurst bei einer Familie im Vorderhaus abgegeben. Ich selbst wohne mit meiner Frau im Hinterhaus. Die Frau war aber auch nicht daheim, als der Freund klingelte. Also hat der Freund die Wurst bei der Familie im ersten Stock abgegeben und mir einen Zettel in den Briefkasten geworfen, der mir Auskunft über das Wurstgeschenk gab. Ich freute mich sehr über den Hinweis und die Aussicht auf die Wurst. Zumal ich weiß, dass mein Herzensfreund einen exzellenten Wurstgeschmack hat und ich ihn deshalb als Wurstkenner bezeichnen möchte. Dann ging ich in den ersten Stock des Vorderhauses, um die Wurst abzuholen. Ich klingelte mehrmalig an der Wohnungstür. Niemand öffnete, obgleich ich deutlich bemerkte, dass die Familie, oder zumindest einzelne Familienmitglieder, in der Wohnung leise sprachen und durch die Zimmer schlichen. Ich klingelte noch deutlicher. Daraufhin erschien es mir, als würden die Familienmitglieder hinter der Wohnungstür das Sprechen einstellen, die Luft anhalten und in sämtlichen Bewegungen verharren. Unverrichteter Dinge ging ich zurück in das Hinterhaus, in dem ich im zweiten Stock mit meiner Frau lebe, und schaute vom Küchenfenster in die Fenster der Familie im ersten Stock des Vorderhauses. Ich wusste genau, dass sich dort meine Wurst befand, die mir der Freund geschenkt hatte. Deutlich nahm ich hinter den Gardinen der Fenster in der Wohnung im ersten Stock des Vorderhauses Bewegungen wahr. Ich musste davon ausgehen, dass die Familie mir absichtlich nicht die Tür geöffnet hatte, um mir meine Wurst vorzuenthalten. Ich wählte daraufhin die Nummer der Familie im Vorderhaus, die ich im Telefonbuch ausfindig gemacht hatte. Keiner der Familie nahm den Hörer ab, weil sie ahnten, dass ich es war, der anrief, um die Herausgabe der Wurst zu verlangen. Erbost ging ich wieder in den ersten Stock des Vorderhauses und klingelte bei der Familie. Niemand öffnete mir. Dann ging ich wieder in meine Wohnung im Hinterhaus und rief bei der Familie an. Bis spät in die Nacht ging ich immer wieder in den ersten Stock des Vorderhauses und klingelte und klopfte an der Haustür, ohne dass einer der Familienmitglieder die Tür geöffnete hätte. Dann ging ich wieder zurück in das Hinterhaus und versuchte telefonisch, die sofortige Herausgabe meiner Wurst zu erzwingen. Niemand von der Familie ging an das Telefon.

Am nächsten Tag sah ich, als ich aus meinem Küchenfenster in den Hof blickte, die Mutter der Familie, wie sie dabei war, Abfall in die schwarze Tonne zu werfen. Wie besessen rannte ich vom zweiten Stock in den Hof hinunter. Die Eile und Anstrengung schnürte mir die Luft ab und mit Mühe sagte ich der Frau, dass ich sofort die Wurst haben wolle, die mein Freund bei ihr abgegeben habe. Die Mutter sagte, die Wurst liege schon seit Tagen bei ihnen auf dem Wohnzimmertisch. Der Mann und die Kinder sähen die Wurst, die auf einem großen Teller liegt, die ganze Zeit an und können nichts anderes mehr tun. Sie sagte, ich könne ihnen die Wurst nicht nehmen. Sie, der Mann und die Kinder können ohne die Wurst nicht mehr leben. Ich gab der Frau unmissverständlich zu verstehen, dass ich sofort die Aushändigung der Wurst verlange. Die Frau schrie auf, als hätte ich ihr mit einer stumpfen Nadel in den Hals gestochen. Dann rannte sie aus dem Hinterhof über das Treppenhaus in den ersten Stock des Vorderhauses. Ich rannte ihr hinterdrein. Sie öffnete die Wohnungstüre und hätte sie ins Schloss geworfen, wenn ich meinen Fuß nicht zwischen Türstock und Tür gestemmt hätte. Ich brüllte nach meiner Wurst. Die Frau rannte in das Wohnzimmer und ergriff die Wurst auf dem Tisch. Die Kinder heulten auf wie verletzte Tiere. Der Mann jammerte und sank vor mir auf die Knie und bat mich inständig, ich solle ihnen die Wurst nicht nehmen. Ich riss die Wurst aus den Händen der Frau und rannte damit in den zweiten Stock des Hinterhauses.

Die Wurst leuchtet bernsteinfarben, als verberge sie ein Geheimnis. Stramm und wohlgeformt liegt die Wurst da wie eine Offenbarung. Der Duft, der von ihr ausgeht, ist überwältigend wie eine Symphonie und so kräftig, dass ich keinen Gedanken fassen kann, wenn ich im Raum mit der Wurst bin. Meine Frau war ganz entzückt von der Wurst und wollte sie gleich anschneiden. Ich verbat es ihr. Sie hat keinerlei Ahnung und kann die Größe und Bedeutung der Wurst nicht ermessen. Ich befahl ihr die Wohnung zu verlassen. Sie ist sofort gegangen. Seit Tagen betrachte ich die wunderbare Wurst auf dem Tisch und atme ihre Ausdünstungen ein.


UND WAS MACHT EGERS SONST SO IM SEPTEMBER?
Der Meister mimt den Phoenix, um bei Sonnenaufgang Ende September in der Glut der Morgenröte zu verbrennen und Anfang Oktober aus der Asche mit neuem Programm wieder aufzuerstehn. „Ein Ding der Unmöglichkeit“ sagt Ihr? Genau, und deshalb heißt das neue Programm auch so! Ihr dürft gespannt sein – wir sind es sowieso ...

 

MATTHIAS EGERSDöRFER: EIN DING DER UNMöGLICHKEIT
Samstag, 07.10.2017 // 20:00-22:00h

KATANA KUNST & KURHAUS E.V.
Wilhelm-Spaeth-Straße 18
90461 Nürnberg
Tel.: 0911 95980855
www.katana18.de




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#Comedy, #Egersdörfer, #Kabarett, #Kolumne

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Was für ein nicht enden wollender Sommer das heuer gewesen ist. Bis in den Oktober hinein wurde ich immer dringlicher gemahnt: Genieße unbedingt den sonnigen Tag heute! Morgen kommt der Herbst, dann ist alles vorbei. Immer wieder habe ich mich in die Sonne gesetzt und habe die Sonne mit aller Kraft genossen bis zur Langeweile, bis zum vollständigen Überdruss. Das kommt daher, dass ich Befehle stets gewissenhaft und verlässlich ausführe. Da kann man sich einhundertprozentig auf mich verlassen. Meine Zuflüsterer taten immer so, als ob das Himmelgestirn im nächsten Moment unwiderbringlich explodieren würde und man sein Leben fürderhin in lammfellgefütterten Rollkragenpullovern, Thermohosen und grob gestrickten Fäustlingen verbringen müsste – in Zimmern, in denen die Heizung unentwegt auf drei gestellt ist. Aber es hat ja nicht aufgehört zu scheinen. Wenn ich an einem Tag genossen und genossen habe, hat der Leuchtkörper sein blödsinniges Leuchten am nächsten Tag keineswegs eingestellt. Die Dummköpfe aber haben es nicht unterlassen, weiterhin ihre Sonnengenussbefehle auf mich auszuschütten. Die Aufforderungen blieben keineswegs aus, sondern steigerten sich zur Unerträglichkeit. Wenn einer endlich einmal sein dummes Maul gehalten hat, dass ich mich unbedingt bestrahlen lassen muss, hat ein anderer damit angefangen, mich aufdringlich aufzufordern, mein Glück unter dem drögen Kauern unter dem aufdringlichen Glanz des leuchtenden Planeten zu finden. Noch Anfang November saß ich voller Wut auf der Straße und habe Kaffee getrunken und gehofft, dass mir die Sonne ein Loch in die Stirn schmort, dass den Schwachköpfen ihr blödsinniges Gerede leidtut und sie mich um Verzeihung bitten müssen. Die Sonne hat immer weitergeschienen wie ein Maschinengewehr, dem die Patronen nicht ausgehen.  >>
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