Techno, Afterhours & Drogen in Nürnberg

MONTAG, 13. MäRZ 2017, Z-BAU

#Die Rakete, #Diskussion, #E-Werk, #Electro, #Interview, #Stadt Nürnberg, #Techno

Die Kulturliga lud am 13. März, einem Montag abend, zu einer Podiumsdiskussion zum Thema „Clubkultur in Nürnberg: zwischen Standortfaktor, Subkultur und Drogensumpf?“ in den Z-Bau. es kamen über 500 Interessierte!

Aufgrund kaum nachvollziehbarer, völlig überdimensionierter Polizeimaßnahmen vor und in Nürnberger Technoclubs in den letzten Wochen und Monaten ging Nürnberg landesweit durch die Presse. Die wohl von Robert Pollack (Abteilungsleiter für Sicherheits- und Ordnungsangelegenheiten im Ordnungsamt) vorgeschlagene Entschärfung von Afterhours durch bessere Beleuchtung und zimmerlaute Schlagermusik sorgte für Shitstorms, Blamagen und nationale Belustigung: so viel Nichtkenntnis einer Szene wurde selten öffentlich demonstriert. Dennoch wird von Seiten des Ordnungsamts und der Polizei am gefahrenen Kurs festgehalten. Die Situation spitzt sich immer mehr zu, Clubs bangen um ihre Existenz, Partygäste fühlen sich diskriminiert. Eine ganz Szene steht unter Generalverdacht.
Die Kulturliga, ein Zusammenschluss zur Förderung der Livemusik und Clubkultur in Nürnberg, Fürth und Erlangen, bat darum zur Diskussionsrunde an die lange Tafel im Z-Bau. Hier saßen Britta Walthelm (Bündnis 90/Die Grünen), Robert Pollack (Ordnungsamt der Stadt Nürnberg), Holger Watzka und Wally Geyermann (beide Kulturliga e.V.), Ralf Köhnlein (Fixpunkt Berlin), Marc Wohlrabe (Clubkommission Berlin) und Thilo Färber (Club Die Rakete). Im Publikum: VeranstalterInnen, DJs, ProduzentInnen, aber auch einfach nur Menschen, die das Nachtleben und elektronische Clubmusik im speziellen als Teil ihres Lebens begreifen und sich deutlich bemerkbar machen wollen.

Wir haben Holger Watzka, seit über zehn Jahren DJ, Booker des E-Werks und aktives Mitglied des Kulturliga e.V., um eine Bestandsaufnahme und eine Prognose gebeten.

Holger, warum war diese Podiumsdiskussion so wichtig?

HOLGER: Ich glaube, das war wichtig, um das Thema in die öffentliche Wahrnehmung zu bringen, die Presse auf das Thema aufmerksam zu machen und zu zeigen, dass es hier um mehr geht, als nur um ein paar Feiernasen, die selben, die sich zugekokst haben und in Ruhe feiern wollen… Ich sehe hier ein wichtiges kulturpolitisches, jugendkulturelles, drogenpolitisches Thema, eine Problemlage, die die Stadt Nürnberg lösen muss. Mit vielfältigen Ansätzen aus unterschiedlichen Blickwinkeln.

Es waren über 500 Besucher bei der Podiumsdiskussion ...

HOLGER: Wir waren echt ganz schön überwältigt von der Resonanz. Das war irre, eine Diskussionsveranstaltung mit so viel Resonanz. Das hat deutlich gezeigt, dass es hier um eine lebendige, kreative Szene in der Stadt Nürnberg geht, die gehört werden will. Und es geht nicht um eine Randgruppe, es geht um verdammt viele Leute.

Robert Pollack vom Ordnungsamt, Teilnehmer der Diskussionsrunde, stellte sich den Kulturschaffenden. Ebenso war Britta Walthelm, Stadträtin der Grünen, da. Wie bewertest Du diese beiden Teilnehmer bzw. wie haben sie sich geschlagen?

HOLGER: Hut ab vor allen Dingen vor Herrn Pollack, der ja eigentlich alleine das Ordnungsrecht und die verwaltungstechnische und polizeiliche Sicht der Stadt Nürnberg vertreten hat. Auch dass Frau Walthelm noch so kurzfristig zugesagt hat, sich offen gezeigt hat und ohne Berührungsängste zu dem Thema sich einfach in die Diskussion begeben hat, fand ich toll. Enttäuschend, dass aus dem Kulturreferat oder auch von anderen Fraktionen keine spontane Offenheit da war.

Welche Aussagen fandest Du besonders bezeichnend?

HOLGER: Ich glaube, der wichtigste Satz kam von Herrn Pollack:
„Wir wünschen uns ein drogenfreies Nachtleben in Nürnberg. Das ist das Ziel.“

Was kann man daraus ableiten für zukünftige städtische, bzw. polizeiliche Maßnahmen?

HOLGER: Kann ich jetzt erstmal nicht einschätzen, die Veranstaltung bewirkt jetzt natürlich erstmal keine sofortige Änderung der Drogenpolitik oder der Sicherheitspolitik der Stadt Nürnberg.

Wie betrifft Dich als Kulturschaffenden das Ganze selbst?

HOLGER: Das Vorgehen der Polizei hat mich z.B. schon negativ betroffen, als ich damals nach dem Gig von DJ Koze (2013, Anm. d. Red.), den ich im Club Rakete veranstaltet hatte, auf der Vogelweiherstraße zusammen mit dem DJ kontrolliert wurde. Koze war natürlich nicht frei vom Genuss des Alkohols, aber drogenfrei. Ich ebenfalls. Aber das Vorgehen der Beamten war ziemlich unangenehm. Ist auch einfach scheiße, wenn ein Künstler in einer Stadt, in der er Gast ist, so vorgeknöpft wird.
Als Veranstalter im E-Werk betrifft mich das Thema nur wenig, aber wir veranstalten natürlich auch im E-Werk elektronische Abende. Es veranstalten einige Kulturliga Clubs (DESI, Cafe Kaya, Z-Bau…) in Nürnberg Techno/Electro-Clubabende und Raves. Das Thema ist damit für die Kulturliga wichtig und damit auch für mich.

Kann man die Problematik auf andere Bereiche adaptieren, sind sie symptomatisch?

HOLGER: Es gibt in den letzten Jahren im Kulturbereich, im Club- und Livemusik-Bereich einen starken Regulierungs- und Vorschriften-Wahnsinn. Brandschutz, Versammlungsstättenverordnung, DIN Norm hier, Vorschrift da. Vieles, was „früher“ einfacher ging, wird heute kompliziert, teuer, aufwendig. Vieles davon ist natürlich auch wichtig, richtig und aus sicherheitstechnischen Gründen auch nicht diskutabel. Aber diese insgesamte Zunahme an Auflagen und Vorschriften machen das Betreiben eines Clubs, einer Livemusik-Spielstätte (egal ob subventioniert oder privat wirtschaftlich) immer schwieriger.
Das Thema „Raucherschutz“ führt zu mehr Anwohnerbeschwerden und höheren Kosten für Clubs. Stichwort: Security vor der Tür, um die Raucher leise zu halten. Jetzt sollen die Betreiber ihre Abend- und Nachtveranstaltungen auch noch komplett drogenfrei halten ...

Hat es Jugend- und Clubkultur Deiner Meinung nach hier besonders schwer?

HOLGER: Ja, Clubkultur hat es ganz sicher schwer in Nürnberg! Ich würde auch die These wagen: Sie hat es schwerer als in anderen Städten. Vor allen Dingen privatwirtschaftliche Clubs.

Wo muss man ansetzen, was wäre die dringlichste Änderung?

HOLGER: Es muss ein Umdenken stattfinden. Ein drogenfreies Nachtleben gibt’s nicht, gabs nie, wird es nie geben. Die Verantwortung dafür liegt nicht bei den Clubs oder Spielstätten. Nicht die Veranstaltungen fördern den Drogenkonsum, sondern viele andere gesellschaftliche, soziale und einfach auch menschliche Phänomene führen dazu. Es sollte einen konstruktiven Dialog geben zwischen den Vertretern der Clubs, der Kulturliga und der Stadt Nürnberg. Das Thema sollte aus den verschiedenen Blickwinkeln Kulturpoltik, Drogenpolitik, Nachtökonomie, Sicherheits- und Ordnungspolitik betrachtet werden. Das erste Ziel sollte sein, dass es kein Verbot von Afterhourveranstaltungen oder sogar Techno-Veranstaltungen in Nürnberg gibt, auch keine Einschränkungen oder Regulierungen der Anzahl von Afterhour-Veranstaltungen in Clubs.
 
Gibt es Städte mit Vorbildcharakter? Oder sonstige Modelle?

HOLGER: Es gibt gute Konzepte in der Schweiz, aber auch in Deutschland: Berlin.

Was wünscht Du Dir für die Zukunft?

HOLGER: Es sollte einen konstruktiven Dialog zwischen den Vertretern der Clubs und der Stadt Nürnberg geben. Das Thema sollte aus den verschiedenen Blickwinkeln Kulturpoltik, Drogenpolitik, Nachtökonomie, Sicherheits- und Ordnungspolitik betrachtet werden. Ich wünsche mir, dass die betroffenen Clubs gemeinsam mit der Kulturliga ein Konzept erarbeiten, wie z.B. Prävention und Umgang mit Partydrogen aussehen könnte.
Ich würde mir wünschen, dass der Stadtrat, das Ordnungsamt oder auch die Kulturpolitik mehr Verständnis für „die Nacht“ aufbringen, sich mehr den Themen „Nachtleben und Clubkultur“ widmen und die Nacht als Teil eines vielfältigen Kulturangebots einer Großstadt begreifen. Da ist ganz viel Kultur und Kreativität im Nachtleben, das ist nicht nur Vergnügen.
Das ist Standortfaktor, das ist Lebenqualität für ganz viele, junge Menschen in Nürnberg!

Wir haben auch Thilo Färber, Betreiber des elektronischen Clubs Die Rakete, zur Podiumsdiskussion  befragt. Seine Bestandsaufnahme und seine Visionen:

Thilo, warum war diese Podiumsdiskussion so wichtig?

Thilo: Das war sehr wichtig, denn die elektronische Clubkulturszene steht seit einiger Zeit unter enormem Druck. Mit Razzien und strengen Personenkontrollen im Umfeld der Clubs wird systematisch gegen die Besucher von Technoveranstaltungen vorgegangen. Kontrollen sind wichtig, allerdings darf es nicht darin münden, dass unangemessen massive Maßnahmen erfolgen und die betroffenen Clubs schließen müssen. Das führt nur zu einer Verlagerung der Probleme in andere Clubs und Stadtteile. Bis zu dieser Veranstaltung hatte noch kein Dialog mit allen Beteiligten aus Politik, Stadt und Clubbetreibern stattgefunden – das war bitter nötig!

Es waren über 500 Gäste bei der Podiumsdiskussion. Was sagt Dir das?

Thilo: Wir sind viele und das Thema ist wichtig. Wann gab es das letzte Mal in Nürnberg einen Bürgerdialog, bei dem über 600 Leute anwesend waren?

Robert Pollack vom Ordungsamt, Teilnehmer der Diskussionsrunde, stellte sich den Kulturschaffenden. Ebenso war Britta Walthelm, Stadträtin der Grünen, da. Wie bewertest Du diese beiden Teilnehmer bzw. wie haben sie sich geschlagen?

Thilo: Herr Pollack hatte sicher keinen leichten Stand in der Diskussionsrunde, daher muss man ihm für seine Teilnahme Respekt zollen. Britta hat den Standpunkt der Grünenfraktion gut rübergebracht. Schade nur, dass sich von den CSU- und SPD-Fraktionen und dem Kulturreferat niemand auf das Podium gewagt hat.

Welche Aussagen fandest Du besonders bezeichnend?

Thilo: Ich fand die Beiträge von Mac Wohlrabe sehr interessant. Die Berliner Clubbetreiber waren vor 15 Jahren an dem gleichen Punkt wie wir heute. Die Clubs haben sich damals zur Clubkommision zusammengetan und klassische Lobbyarbeit betrieben. Seit über 10 Jahren hat es in Berlin keine Razzia mehr in Technoclubs gegeben, weil man dort Probleme gemeinsam angeht und löst.

Was kann man daraus ableiten für zukünftige städtische bzw. polizeiliche Maßnahmen?

Thilo: Stadt und Polizei müssen erkennen, dass es nicht unser Ziel ist, Räume zu schaffen, in denen Drogen konsumiert werden, sondern dass wir mit unseren Clubs einen wertvolles Kulturangebot schaffen und damit auch für die Attraktivität der Stadt Nürnberg sorgen.

Wie werden v.a. die Clubbetreiber damit umgehen?

Thilo: In den vergangenen Jahren hat jeder Club nur seine eigenen Probleme im Blick gehabt. Das müssen wir ändern, wenn wir etwas erreichen wollen. Wir Clubbetreiber werden uns nach dem Vorbild der Berliner Clubkommission zusammenschließen und einen hoffentlich guten Draht zur Stadt und in die Politik aufbauen. Wir Clubbetreiber wollen uns konstruktiv an der Lösung der Probleme beteiligen.

Wie betrifft dich als Kulturschaffenden das Ganze selbst?

Thilo: Ich bin als Betreiber der Rakete in Nürnberg direkt betroffen. Im Umfeld unseres Clubs finden sehr massive Kontrollen statt. Und wo sehr intensiv kontrolliert wird, da wird natürlich auch etwas gefunden, gerade im Umfeld von Technoveranstaltungen und den dazugehörigen Afterhours. Es ist zu befürchten, dass wir in Zukunft keine Afterhours mehr durchführen dürfen, was für uns ein massiver Einschnitt wäre.

Kann man die Problematik auf andere Bereiche adaptieren, sind sie symptomatisch?

Thilo: Ob es nun rauchende Gäste vor der Bar sind, die sich etwas lauter unterhalten, oder eben Besucher von Technoveranstaltungen, die Drogen bei sich haben, die Stadt reagiert in Nürnberg gerne mit der reflexartigen Schuldzuweisung an den Gastronomen.   

Hat es Jugend- und Clubkultur deiner Meinung nach hier besonders schwer?

Thilo: Ja, ich denke schon. Der Wert von Club- und Jugendkultur für die Attraktivität einer Stadt wurde noch nicht von jedem erkannt. Und vor allem wurde nicht erkannt, dass Nachtkultur immer auch mit Herausforderungen und Problemen einhergehen, für die es ganzheitliche Lösungsansätze braucht.

Wo muss man ansetzen, was wäre die dringlichste Änderung?

Thilo: Wir müssen ein Format finden in dem ein regelmäßiger Austausch zwischen allen Beteiligten stattfinden kann.

Gibt es Städte mit Vorbildcharakter? Oder sonstige Modelle?

Thilo: Berlin hat es vorgemacht, aber auch in Bayern gibt es gute Beispiele. München hat leider in Sache Subkultur im Moment die Nase vorn. Da gibt es kreative Leute, die alte Ausflugdampfer auf Eisenbahnbrücken in der Innenstadt stellen und somit neue Kulturräume schaffen. Ich wünsche mir, dass sowas auch in Nürnberg einmal möglich sein wird.

Was wünscht Du Dir für die Zukunft in Bezug aufs hiesige Nachtleben?

Thilo: Ich wünsche mir, dass die Stadt, die Polizei und die Politik in Nürnberg sehen, welchen wichtigen Beitrag wir für die Attraktivität dieser Stadt gerade für junge Leute leisten und dass wir keine Gegner sondern Partner sind, die sich gerne an der Lösung der Probleme beteiligen.

 




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