Dem Egers sei Welt #53: Die klassische Hölle

SONNTAG, 29. JANUAR 2017

#Comedy, #Egersdörfer, #Kabarett, #Kolumne

Ich krieg kaum mehr Luft, wenn in der Zeitung, am Wirtshaustisch und in den sozialen Netzwerken in kilometerlangen Kommentaren diskutiert wird, ob es jetzt sinnvoll sei, Meisenknödel in die Bäume zu hängen. Dazu kommt noch, dass meine zwei bitterbösen Schwestern mich quälen, weil es an ihnen nagt, dass mich die Mutter viel mehr geliebt hat als die beiden herzlosen Rabentöchter.

Außerdem quälen mich schlimmste Selbstzweifel und ich hadere damit, Kasper geworden zu sein, bei meiner kompletten Humorlosigkeit. Ich vermute eine komplette Berufsverfehlung, bei meinem Hang zur Schwermut und Wohlstandsdepression. Viel lieber wäre ich Sportlehrer geworden in einem Gefängnis für übergewichtige Frauen. Und obendrein muss ich noch Schnee schippen, weil das Wetter verrückt spielt und im Januar der Schnee meterhoch herumliegt. Kurz gesagt, wenn die gesamte Existenz wie ein vollgefüllter Container für Grünglas an meinem Hals hängt und mich auf den Grund des dunklen Ozeans des Weltschmerzes zieht, höre ich gern klassische Musik im Radio wie mein geliebter Vater selig.
Ein paar Takte aus einer Barockoper von Monteverdi können wie ein warmer Kräuterwickel wirken auf meiner gramzerfurchten Stirn. Die Königin der Nacht singt mich in ein wohltemperiertes Paradies, aus dem mich niemand vertreiben kann. Mahlers Kindertotenlieder lassen mich schweben wie ein Butterbrotpapier über dem Lüftungsschacht eines Kaufhauses. Wie ein schöner Rausch ist das, im Opernhaus zu zerschmelzen, wenn Wagners Rheintöchter in den wohlkingenden Wogen des Orchesters den mich umgebenden Kosmos in Anmut und Holdseligkeit verwandeln. Wenn die Mimi im vierten Akt von La Bohème an Tuberkulose verstirbt, wie es schöner nicht geht, schöpfe ich Hoffnung. Wenn ein hundertköpfiges Orchester und zwei Dutzend Sänger zusammen so viel Schönheit erzeugen können, gibt es doch Hoffnung für unseren Planeten.

Gelegentlich frage ich mich, was das größere Glück ist, im schönen Klang zu vergehen oder selbst dieses vollendete Klanggemälde, die größte Form der Musik, mit leidenschaftlicher Könnerschaft in die Herzen der Zuhörer zu malen? Geht dem einen Herrn am letzten Pult der zweiten Geigen, ganz hinten, winzig, versteckt und eingequetscht zwischen der übergewichtigen Posaunistin Gudrun und diesem gruseligen Scientologen an der großen Trommel bei Beethovens Neunter, einer ab?

Mit knapp sechs Jahren hat der begonnen auf der Fidel zu kratzen. Mit eineinhalb Stunden üben am Tag hat alles angefangen, und dann wurde das Pensum kontinuierlich gesteigert. Wenn der Fratz nicht geübt hat, oder doch geübt hat, aber sich trotzdem verspielte, war die Liebe weg wie Milch am zweiten Weihnachtsfeiertag. Da gab es keine Möglichkeit eine neue zu kaufen, weil der Laden geschlossen war. Als Kind war der schon berufstätig, weil es die Eltern so wollten. Der durfte nicht sagen und nicht denken, dass er lieber Frauenarzt werden möchte. An Silvester durfte er keine Kracher anzünden, weil seine Finger zu wertvoll waren. Mit seinen Zehen kann man Bilder malen, aber keinen Vivaldi geigen. Onanieren schadet dem Vibrato. Für eine Umschulung aufs Cembalo bist Du jetzt zu alt. Dann kommt das Gespenst auf die Hochschule. Mit zwanzig Jahren kommt die alles entscheidende Abschlussprüfung. Da spielt er die schwierigsten Stücke vor, die er danach nie wieder geigen wird. Sollte er das Examen nur mit gut bestehen,sollte er sich unbedingt Gedanken über seine geigerische Zukunft machen. Er hat Angst. Wenn er keine Angst hat, dann hat er Angst vor der Angst. Wegen der Angst hat ihm der Herr Professor Betablocker gegen Bluthochdruck empfohlen. Das Medikament unterbindet die körperlichen Auswirkungen der Angst. Die Atmung wird konstanter.

Dann schafft er das. Und dann kommt das Vorspiel beim Orchester, sollte seine Bewerbung nicht vorher aussortiert worden sein, weil er beim falschen Professor studiert hat oder seine Visage zu sehr einem Nasenbären ähnelt. 14 Jahre hat er geübt für 5 Minuten, die über seine Zukunft entscheiden. Wenn er da linkisch „Hallo“ sagt, dann hat er vergeigt. Gegen 60 bis über 120 Bewerber muss er sich durchsetzen. Russen und Asiaten drängen auf den Markt. Die Ansprüche steigen ins Unmenschliche. Das Orchester stimmt geheim ab. Dann kommt das Probejahr. Das schwierigste Jahr im Leben des Musikers. Seine Kollegen denken: Ich hatte ein schweres Probejahr. Der Neue soll auch ein schweres Probejahr haben und schmieren ihm einen Popel auf sein Notenblatt und er glaubt, das sei ein Fis. Da säuft er schon, kokst und kifft regelmäßig wie ein Rockmusiker, steht aber nicht wie der im hellen Scheinwerferlicht auf der Bühne, sondern hockt im dunklen Orchestergraben. Beim Applaus darf er kurz aufstehen. Keiner sieht den Halbgott. Bei seinem Beruf gibt es kein Tippex, und das degenerierte Publikum kennt den Schubert, den er jetzt spielt, von der blitzeblankgeputzten CD und erwartet eine Spitzenleistung. Bei der unvollendeten 8. Sinfonie von dem Heini schmeißt er eine Pille mehr ein. Vor den vier langsamen Tönen am Ende des Satzes graust ihm. Wenn da der Bogen flattert, hört das die halbe Welt.

Klassische Musik ist ein bisschen wie Gänseleberpastete. Auf ein frisches Weißbrot geschmiert und mit einem guten Glas Rotwein ist das wirklich eine feine Delikatesse. Die Herstellung ist halt ein wenig grob.


UND WAS MACHT EGERS SONST NOCH IM FEBRUAR?
Mit seinen neuen Freunden von Gankino Circus erzählt der Herr des grantigen Humors “Die Rückkehr des Buckligen – Geschichten aus 1001 Nacht”, am 03.02. in der Kulturfabrik Roth und am 08.02. im Erlanger E-Werk. Bei Egersdörfer und Artverwandte am 14.02. im Künstlerhaus (KuKuQu) sind diesmal u.a. Ulan & Bator, Hazel Brugger und Ibeat Beatbox zu Gast. Und am 16.02. zeigt der Tausendsassa in der Galerie Bernstienzimmer Digital-Filme aus seiner Zeit an der Kunstakademie in Nürnberg. www.egers.de.
 




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Was für ein nicht enden wollender Sommer das heuer gewesen ist. Bis in den Oktober hinein wurde ich immer dringlicher gemahnt: Genieße unbedingt den sonnigen Tag heute! Morgen kommt der Herbst, dann ist alles vorbei. Immer wieder habe ich mich in die Sonne gesetzt und habe die Sonne mit aller Kraft genossen bis zur Langeweile, bis zum vollständigen Überdruss. Das kommt daher, dass ich Befehle stets gewissenhaft und verlässlich ausführe. Da kann man sich einhundertprozentig auf mich verlassen. Meine Zuflüsterer taten immer so, als ob das Himmelgestirn im nächsten Moment unwiderbringlich explodieren würde und man sein Leben fürderhin in lammfellgefütterten Rollkragenpullovern, Thermohosen und grob gestrickten Fäustlingen verbringen müsste – in Zimmern, in denen die Heizung unentwegt auf drei gestellt ist. Aber es hat ja nicht aufgehört zu scheinen. Wenn ich an einem Tag genossen und genossen habe, hat der Leuchtkörper sein blödsinniges Leuchten am nächsten Tag keineswegs eingestellt. Die Dummköpfe aber haben es nicht unterlassen, weiterhin ihre Sonnengenussbefehle auf mich auszuschütten. Die Aufforderungen blieben keineswegs aus, sondern steigerten sich zur Unerträglichkeit. Wenn einer endlich einmal sein dummes Maul gehalten hat, dass ich mich unbedingt bestrahlen lassen muss, hat ein anderer damit angefangen, mich aufdringlich aufzufordern, mein Glück unter dem drögen Kauern unter dem aufdringlichen Glanz des leuchtenden Planeten zu finden. Noch Anfang November saß ich voller Wut auf der Straße und habe Kaffee getrunken und gehofft, dass mir die Sonne ein Loch in die Stirn schmort, dass den Schwachköpfen ihr blödsinniges Gerede leidtut und sie mich um Verzeihung bitten müssen. Die Sonne hat immer weitergeschienen wie ein Maschinengewehr, dem die Patronen nicht ausgehen.  >>
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