Neuer Anlauf zum lachenden Glück

MITTWOCH, 30. NOVEMBER 2016

#Dieter Stoll, #Kolumne, #Theater

Die Operette Ist nicht tot (zu kriegen) – Ihr grandioses Berliner Comeback könnte bis in die ehemalige Hochburg nach Nürnberg ausstrahlen.

 

„Ist der Reim auch noch so schlecht, es gildet das Urheberrecht“, fränkelt der sonst eher für subtil unterwandernden Salon-HipHop bekannte Thomas Pigor an seinen ständigen Begleiter Benedikt Eichhorn hin. Der vorlaute Pianist ist diesmal nicht am Klavier festgenagelt, sondern mimt in Steppke-Verkleidung eines mondsüchtigen Altberliners auf Augenhöhe mit. Ursli Pfister hat sich die nächste Soubretten-Rolle gegriffen (eine, die im vorigen Jahrhundert Brigitte Mira gehörte) und alle reisen per Ballon zum Mond, wo das Fräulein Schneider naturgemäß ab- und zunehmend als Göttin herrscht. Da tauchen auch Cora Frost und Anna Mateur neben Toni Pfister auf und mit dem ausgewanderten Franken-Schwergewichtler Gert Thumser marschiert der denkbar wuchtigste Kriegsgott Mars ein. Das halbe Ensemble besteht aus Brettl-Unikaten, die schon hochverehrte Stammgäste in Tafelhalle und Katharinenruine waren. Sie stürzen sich vereint im TIPI-Zelt am Kanzleramt in Paul Linckes von „Berliner Luftluftluft“ durchzogenes Revue-Spektakel „Frau Luna“ und bescheren der Hauptstadt mit der geträllerten Durchhalte-Parole „Lasst den Kopf nicht hängen“ wieder sowas wie ein Kult-Ereignis. Ja, ich habe mitgekichert. Sowas hatte es dort im kleineren Spiegelzelt der „Bar jeder Vernunft“ schon mal 1994 in ähnlicher Konstellation gegeben, als Ralph Benatzkys „Im weißen Rössl“ mit Auslese-Besetzung als kostbare Miniatur unter Anleitung der Pfisters wiederbelebt wurde und es bis zur Ausstrahlung auf ARTE brachte. Inzwischen ist in der aufregenden Komischen Oper in Berlin-Mitte, an der einst Walter Felsenstein und Harry Kupfer dem klingenden Frohsinn auch im zweiten Teil des Begriffs gewisse Bedeutung gaben, mit Barrie Kosky ein inszenierender Intendant eingezogen, der Phantasie ohne Obergrenze sowie kaum Berührungsängste mit Irgendwas hat und aus diesem Guthaben schöpfend die Operette systematisch auf Ehrenplätze in den Standard-Spielplan zurück holt.

ALS „FRAU LUNA“ FÜR NÜRNBERG GELIFTET WURDE

So weit ist Nürnberg, wo grade die vermeintlich quotensichere Nummer mit dem wieder zum Großformat aufgeblasenen „Weißen Rössl“ in der zweiten Aufführungsstaffel vor deutlich gelichteten Zuschauerreihen versickerte, noch lange nicht, aber aus Vergangenheit und Projektion ergeben sich erstaunliche Parallelen. Nehmen wir nur als Beispiel nochmal die von streng kunstgläubigen Feuilletonisten eigentlich als schreckensreiche Banalität verrufene, im aufgefrischten Ranschmeißer-Vergnügen aber bestens geglückte „Frau Luna“. Kurz vorher hatte an der berühmten Avantgarde-Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz der international gefeierte Neo-Dadaist Herbert Fritsch mit dem Werk auch gleich die eigene Verachtung dafür inszeniert – und war einfach abgeprallt am eisern auf Witzhülsen geschmiedeten Klangpanzer. Nürnbergs Opernhaus versuchte vor Jahrzehnten den anderen Weg zum gleichen Objekt. Kay und Lore Lorentz, die legendären Chefs vom Düsseldorfer „Kom(m)ödchen“, schrieben damals ein völlig neues Textbuch für die Klatschmarsch-Musik mit spöttischen Querverweisen zur grassierenden Sputnik-Euphorie. Doch die feinen Kabarett-Pointen der gelifteten Frau Luna wurden von der schwerfälligen Opernmaschinerie zermalmt, die angereisten Autoren verzichteten bei der Premiere lieber ganz auf ihre Verbeugung. Im TIPI ist das anders, da herrscht rundum blanke Freude am Bekenntnis zur hemmungslos ausgelebten, perfekt umgesetzten Komödianten-Naivität und die 91-jährige Nachlassverwalterin der Aufführungsrechte Margot Lincke-Madersbacher, gefürchtet wie alle Künstler-Erben, gab gutachterlich zu Protokoll: „Ick hab ma beölt vor Lachen“. Na also, geht doch! Ein kleiner Schritt für die Geschwister Pfister, ein mittelgroßer fürs Musiktheater. Man muss halt immer die richtige Besetzung haben.

PLÄTSCHERN IM SAMMELBECKEN FÜR WUNSCHKONZERTE

„Operette sich wer kann“, kalauerte der Nürnberger Gerd Fischer schon im Titel seines erfolgreichsten Kleinkunst- & Arien-Programms, mit dem er ab 1982 für viele Jahre die Existenzgrundlage des von ihm gegründeten Tassilo-Theaters nahe der Fürther Straße sicherte. Der singende Komödiant mit der prallen Stimme und dem kompakten Humor, zuvor als Lehrer und Musiker eher auf strikt seriösen Berufswegen, geleitete damit den flackernd verlöschenden Abglanz halbseidener Massenkultur auf den kleinen Rettungsweg gediegener Kabarett-Bespaßung. Da konnte der Dreivierteltakt dank Schmetter-Tenor und Volkssängerwitz inklusive bierselig mönchischer Nockherberg-Erfahrung auf der Räuberleiter der Parodie wieder aufwärts ins Hochparterre klettern. Die große, vor der TV-Erfindung der „Lustigen Musikanten“ so heiß geliebte Zerstreuungs-Theatersparte der Operette galt zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits als Relikt vergangener Zeiten, war eine aussterbende, von der eigenen Routine strangulierte Gattung mit dennoch unverwüstlich japsendem Überlebenswillen im Sammelbecken der manchmal ja wirklich genialen Gassenhauer. Fürs Format der Wunschkonzerte reichte das allemal, aber dem vormaligen Stadttheater Nürnberg-Fürth ging der früher so stolz getragene, dann immerhin noch verschämt gepflegte Titel einer „deutschen Operetten-Hochburg“ mit drei bis vier dieser Naschwerk-Produktionen pro Saison endgültig verloren. Eine überschaubare Sammlung von Evergreen-Werken wurde, hier wie anderswo, entweder zu verkappten Opern hochgestuft (Strauß-„Fledermaus“, Lehars „Lustige Witwe“), in den Sonderstatus versetzt (alles von Jacques Offenbach wie „Die schöne Helena“ oder „Orpheus in der Unterwelt“), gerne auch so diskret wie nur möglich dahingeschnulzt („Die Csardasfürstin“, „Das Land des Lächelns“), so dass nach und nach die Ensemble-Spezialisten für die Kombination von süffiger Sprache und lockerem Gesang verschwanden. Von da an mussten gestandene Opernsänger zum frisch gepressten Arien-Abwurf mühevoll Tanzschritte zählen und dazu laienspielerisch Dialoge aufsagen.

WAHNWITZ EINER GANZEN GESELLSCHAFT

In Nürnberg war die alte, aber mächtig rostende Liebe zur Operette viel länger als an vergleichbaren Bühnen und zeitweise sogar gut gepflegt worden. Neben der goldenen Epoche (Strauß, Offenbach) und der silbernen (Lehar, Millöcker) auch die scheinbar blecherne (Kálmán, Abraham) bis zu den knirschenden Pappkarton-Nachbauten (Robert Stolz, Willi Kollo). Neckische Titel wie „Lisa, benimm dich“ und „Mädi“, „Die ungarische Hochzeit“, „Die keusche Susanne“, „Schwarzwaldmädel“, „Der fidele Bauer“, „Blume von Hawaii“ und „Liebe in der Lerchengasse“ geisterten bis zum Abwinken durch die lokalen Spielplanangebote. In Szene gesetzt und zu Tode gehetzt mit immer gleichen Mitteln (beliebter Übergang zur obligatorischen Ballett-Einlage in Klassiker-Spreizung: „Und jetzt gehen wir in den Ballsaal“), bis vorübergehend grimmig bohrende Schauspielregisseure mit fester Hand nach den Kitsch-Antiquitäten griffen. In Nürnberg jagte Hansjörg Utzerath mit dem wacker krähenden Schauspiel-Ensemble in „Viktoria und ihr Husar“ die auf Ohrwürmern reitenden Albernheiten in enormer Aggressionskraft übers Weltkriegsschlachtfeld, ließ den scheinbar harmlosen Jux in den geballten Wahnwitz einer desolaten Gesellschaft stolpern, die auf Vulkanen tanzen wollte und sich dabei am Lagerfeuer verbrannte. Was das ungeübte Schauspielstammpublikum irritierte und die verirrten Operettenfans empörte. Utzerath war bloß seiner Zeit voraus. Fand auch Kulturreferent Hermann Glaser, der im Fachmagazin „Theater heute“ passend dazu die Emanzipation der Operette ausrief. Am eigenen Stadttheater konnte er diese Idee nicht dauerhaft durchsetzen.

FRANKENS „TATORT“-KOMMISSARIN ALS OPERETTEN-DIVA

Um solche gesellschaftskritische Durchdringung der Glamour-Fassade geht es beim neuesten Operetten-Trend freilich nicht. Wenn Barrie Kosky (genau jener, der 2017 bei den allerheiligsten Bayreuther Festspielen die „Meistersinger von Nürnberg“ inszenieren wird) für den „Ball im Savoy“ die Franken-„Tatort“-Kommissarin Dagmar Manzel als wunderbar selbstironische Diva einsetzt und die „Clivia“ des früher nur in Nürnberg hingebungsvoll gepflegten Spätlese-Komponisten Nico Dostal (hier galt sein „Doktor Eisenbart“ als erstes deutsches Musical) an die stolz stöckelnde Travestie-Kunstfigur Ursli Pfister übergibt, ist die ganz andere Umgangsart von Nostalgie mit Augenzwinkern sicher.
Wer die aktuellen Planungen deutschsprachiger Bühnen durchforstet, kann erkennen, dass die zuletzt im Zweifelsfall eher bei abgenutzten Show-Musicals andockenden Intendanten wieder etwas Mut gefasst haben, vergessene Operetten zu überprüfen. Man sieht es an kauzigen Titeln wie „Die Perlen der Cleopatra“ von Oscar Straus (Berlin), „Prinzessin Nofretete“ von Nico Dostal (Leipzig), „Wie werde ich reich und glücklich?“ von Mischa Spoliansky (Mannheim), „Die Faschingsfee“ von Emmerich Kálmán (München) und „Axel an der Himmelstür“ von Ralph Benatzky (Wien). Nürnberg könnte mit Verzögerung folgen. Hier gab es auch nach der Abwicklung der eigenständigen Sparte in größeren Abständen noch einige intelligente Produktionen wie „Pariser Leben“, „Madame Pompadour“ und „Blaubart“ und im Gegenverkehr regelrechte Premieren-Eklats mit Buh-Stürmen, als die Christel von der Post im „Vogelhändler“ und die „Großherzogin von Gerolstein“ nicht so artig auftraten, wie man es von früher zu kennen glaubte. Operetten-Sternstündchen folgten nicht mehr, seit Broadway-Oldies den Entertainment-Schwerpunkt bestimmend alle Energien auf sich ziehen.

ALS EINE HERREN-TOILETTE DAS PUBLIKUM ERREGTE

Zwar will der künftige Intendant Jens-Daniel Herzog vorrangig seinen Dortmunder Erfolg mit Rock-Opern wie „Jesus Christ Superstar“ in Nürnberg wiederholen, aber ein aktuelles Projekt von ihm lässt aufhorchen. Dieser Tage hat der langjährige Schauspielspezialist (München/Mannheim) mit der Wende zum Musiktheater (Dortmund) an der Deutschen Oper am Rhein sein spätes Operettendebüt als Gastregisseur von Franz Lehars „Der Graf von Luxemburg“ gegeben. Kein Werk der obersten Qualitätsstufe (die Dialoge, schrieb ein zeitgenössischer Kritiker, seien „nur mit denen der berüchtigten Hedwig Courths-Mahler zu vergleichen“), aber womöglich geeignet für Erkundungen. Passend zur gegenwärtigen europäischen Vermögensbildung heißt es da ganz original im Songtext: „Verjuxt, verputzt, verspielt, vertan, wie‘s nur ein Luxemburger kann“. Womit der Kreis geschlossen wäre: In Nürnberg löste Peter B. Wyrsch, der inzwischen 70-jährige Gründer der Pocket Opera Company, als Jungregisseur am Opernhaus mit diesem Werk einen Premierenskandal aus – auch deshalb, weil er eine der im Libretto vorkommenden Männerintrigen an das stille Örtchen der Herrentoilette verlegte. Würde heute keinen mehr aufregen. Vielleicht gelingt sie nun endlich, die lang ersehnte Balance zwischen pointierter Gesellschaftskritik und purem Amüsement.

Die Grundsatzfrage, ob der nächste Intendant 2018 die am Rhein neu entdeckte Liebe zur Operette an die Pegnitz mitbringt und seine persönliche Nürnberger Konzept-Philosophie in der Lehar-Arie „Bist du‘s, lachendes Glück?“ (oder wahlweise eher bei „Lieber Freund, man greift nicht nach den Sternen“) manifestiert, ist da schon besser geeignet für Spekulationen. Auch wenn Dagmar Manzel und die Geschwister Pfister dann wohl keine freien Termine mehr haben.




Twitter Facebook Google

#Dieter Stoll, #Kolumne, #Theater

Vielleicht auch interessant...

20240317_Tafelhalle
20240401_Staatstheater
20240401_Stadttheater_Fürth
20240401_PolnFilmwoche
20240401_Pfuetze
20240401_Comic_Salon_1
20240401_Idyllerei
20240201_mfk_PotzBlitz
20230703_lighttone
20240401_ION
20240201_VAG_D-Ticket
20240401_Theater_Erlangen
20240401_Neues_Museum_RICHTER
20240411_NbgPop_360
20240401_Wabe_1
2024041_Berg-IT
20240401_D-bue_600