Dem Egers sei Welt #52: Liebe und Betrug

MITTWOCH, 30. NOVEMBER 2016

#Comedy, #Egersdörfer, #Kabarett, #Kolumne

Ich fuhr nachts in meinem verbeulten Peugeot auf der Autobahn. Es könnte halb drei gewesen sein. Ich schwebte durch die schwarze Nacht auf der A3, irgendwo zwischen Marktheidenfeld und Wertheim.

Außer ein paar schlaflosen Lastwagenfahrern war ich allein und drückte mich rastlos durch die Radioprogramme. Der Sendersuchlauf fand mir die Komposition eines, ich nehme mal an, zeitgenössischenKomponisten. Aufgedrehte Violinen, die nach kreischenden Frauen klingen, die sich auf das neue Kleid Bratensauce getropft haben. Dazu trommelt ein rücksichtloses Marimbaphon ISBN-Nummern. Nach zwanzig Kilometern wird mein Blut dick. Die Adern am Kopf schwellen an. Ich drücke weiter und lande in einer Sendung, in der Menschen anrufen dürfen, die um diese Zeit keine Ruhe finden. Ein aufgebrachtes Männlein sagt, dass die Milch aus dem Supermarkt von Ratten stammt. Zwischen den U-Bahnstationen werden sie gemolken. Ich kann seine rot geränderten Augen sehen, die filterlosen Zigaretten und die Kanne Kaffee mit dem zerbrochenen Einfüllstutzen. Sein Dämon lässt ihn nicht schlafen und peitscht seine Gedanken. Die Worte rennen wie aufgescheuchte Gazellen. Ich drücke weiter. Tanzmusik: Eine innerlich blondierte Frau beschwört aufdringlich den Sommer in Griechenland. Eigentlich geht es nur um Geschlechtsverkehr. Blitzkriegreime unterlegt mit Technogeklopfe, so musikalisch wie der Physikunterricht in der 10. Klasse. Ich fürchte Sodbrennen und bleibe beim nächsten Sender hängen. Musik wie künstliche Brüste. Aber nicht ganz so schlimm wie zur Kernsendezeit, bilde ich mir ein. Nicht ganz so viel Silikon und die Narben, wo das Plastik reingepumpt wurde, sieht man kaum. Ein einsamer Mann am Mikrofon in seiner Raumstation. Er hat auch sprachlich einen Gang runtergeschaltet und liest gerade die Nachricht eines Mannes, der gerade einen Lastwagen über die Autobahn fährt und seiner Frau dankt für die Jahre, die sie mit ihm lebt, ihre Liebe und dass sie ihm das Leben gerettet hat. Musik. Ich hab feuchte Augen. Die Nacht teilt die Striche des Mittelstreifens vor mir aus wie Spielkarten.

Irgendwann: Ich weiß nicht, ob ich gerade aufgewacht bin und vorher lange schlief. Es ist noch soweit bis irgendwohin. Ich beschließe, von der Autobahn runter zu fahren, kurz in der schwarzen Luft zu stehen, Sterne zu schauen und zu pissen. Bei der nächsten Raststätte fahre ich raus. Wie ein Astronaut steige ich aus meiner Kapsel und wechsle in die beleuchtete Raumstation. Üppiges Licht für mich allein. Einsam pinkle ich und einsam gehe ich wieder hinaus mit meinem Gutschein und schlendere zum Shop wie ein Fuchs in der Nacht und löse ein, was mir zusteht. Kaugummi zum Zeit Zerkauen. Ich sehe mir im Regal die stattliche Auswahl an und nehme 12 Stück zum Preis für 2,90. Denke noch, die nehmen es auch von den Lebendigen, und träum´ noch von der pechschwarzen Unendlichkeit. Er, hinter der Kasse, in einem T-shirt mit aufgedruckter Krawatte. Lichtjahre vom Fasching entfernt. Ich überlege noch, wie man dazu kommt, so etwas freiwillig anzuziehen: prekäres Elternhaus, schwierige Kindheit, Mobbing, Allergie und Neurose. Ich lege einen 5-Euro-Schein und Münzen ins Tellerchen und meinen Pinkelgutschein obenauf. Das Männlein greift schnell mein Geld und retourniert einen Euro. Kurz vor drei. Nachts, allein, in der Raststätte am Rand der dunklen Ewigkeit. Und ich schnappe noch die Erkenntnis am Kragen, die gerade dabei war, sich geschickt und unauffällig aus dem Zimmer der Wahrheit zu verzupfen. Und sage: „Da stimmt aber was nicht.“ Und sofort legt der Mann einige Münzen nach und spricht glockenwach, fern jeder Müdigkeit: „Das ist keine Absicht gewesen.“ Und ich brösel mir das Geld in den Geldbeutel und grunz kurz in mein Bärtchen. Stopfe mir zwei Kaugummis ins Gesicht und falle vom beleuchteten Rand hinab in die dunkle Nacht. Starte meinen Raumgleiter und fahre weiter durch die Finsternis. Und langsam kriecht mir der Gedanke in den Kopf, dass der Verkäufer mit dem eigenwilligen Leibchen vielleicht gelogen hat und dass er mich mit voller Absicht betrügen wollte. Und um ein Haar hätte es auch geklappt. Wo ich es ohnehin nicht so mit Zahlen habe und dann die Nacht, die Einsamkeit, meine müde Augen. Aber das hat der Kerl in der Rechnung. Wenn das Opfer im Tran der eigenen Unzulänglichkeit kleben bleibt wie die Fliege im Apfelmus, streicht er den Lohn ein. Und sollte einer aber doch noch aus der Brühe kriechen, schiebt er die Münzen rüber und heuchelt ein Versehen. Die Methode ist wasserdicht. Respekt junger Mann. So blöd wie Dein Hemdchen bist Du schon lange nicht.

Und dann schalte ich wieder zu dem Moderator in seine einsame Radiostation. Allein sitzt er vor seinem Mikrofon in einem leeren, hohen Turm. Gespenster huschen durch dunkle Gänge. Irgendwo anders fährt der Mann im Lastwagen. Seine Frau daheim trinkt eine Tasse Tee. Auf dem Kühlschrank spielt das Radio. Sie schaut zum Fenster hinaus und sieht nur sich selbst. In der Raststätte füllt der junge Mann Kaugummi-Regale auf. Ich fahre weiter auf der A3. Dazwischen dunkelstes Weltall in dem fünf kleine Tränen schwerelos fliegen.




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#Comedy, #Egersdörfer, #Kabarett, #Kolumne

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Was für ein nicht enden wollender Sommer das heuer gewesen ist. Bis in den Oktober hinein wurde ich immer dringlicher gemahnt: Genieße unbedingt den sonnigen Tag heute! Morgen kommt der Herbst, dann ist alles vorbei. Immer wieder habe ich mich in die Sonne gesetzt und habe die Sonne mit aller Kraft genossen bis zur Langeweile, bis zum vollständigen Überdruss. Das kommt daher, dass ich Befehle stets gewissenhaft und verlässlich ausführe. Da kann man sich einhundertprozentig auf mich verlassen. Meine Zuflüsterer taten immer so, als ob das Himmelgestirn im nächsten Moment unwiderbringlich explodieren würde und man sein Leben fürderhin in lammfellgefütterten Rollkragenpullovern, Thermohosen und grob gestrickten Fäustlingen verbringen müsste – in Zimmern, in denen die Heizung unentwegt auf drei gestellt ist. Aber es hat ja nicht aufgehört zu scheinen. Wenn ich an einem Tag genossen und genossen habe, hat der Leuchtkörper sein blödsinniges Leuchten am nächsten Tag keineswegs eingestellt. Die Dummköpfe aber haben es nicht unterlassen, weiterhin ihre Sonnengenussbefehle auf mich auszuschütten. Die Aufforderungen blieben keineswegs aus, sondern steigerten sich zur Unerträglichkeit. Wenn einer endlich einmal sein dummes Maul gehalten hat, dass ich mich unbedingt bestrahlen lassen muss, hat ein anderer damit angefangen, mich aufdringlich aufzufordern, mein Glück unter dem drögen Kauern unter dem aufdringlichen Glanz des leuchtenden Planeten zu finden. Noch Anfang November saß ich voller Wut auf der Straße und habe Kaffee getrunken und gehofft, dass mir die Sonne ein Loch in die Stirn schmort, dass den Schwachköpfen ihr blödsinniges Gerede leidtut und sie mich um Verzeihung bitten müssen. Die Sonne hat immer weitergeschienen wie ein Maschinengewehr, dem die Patronen nicht ausgehen.  >>
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