Matthias Egersdörfer - Links und rechts

DIENSTAG, 1. NOVEMBER 2016

#Egersdörfer, #Kolumne, #Philipp Moll

Den Moll kenne ich seit der 5ten. Wir gingen beide in die selbe Klasse im Gymnasium ohne Namen. Ich war ganz aufgeregt vor Freude und erzählte meiner Mutter nach der Schule, dass ich einen neuen Freund habe. Wie der denn heiße, wollte meine Mutter damals wissen, und ich antwortete froh: Philipp Moll. Meine Mutter fragte, ob dass der Moll sei, der Lauf links in der Hämmern wohne?

Ich sagte stolz, genau der sei das. Meine Mutter war nicht begeistert und bezweifelte, dass das der richtige Umgang für mich sei, und schloss ihre Ausführungen damit, dass das neue Schuljahr ja erst begonnen habe und ich bestimmt noch Gelegenheit hätte, auch andere Freunde kennenzulernen. Philipp hat mir mal erzählt, dass die Erwähnung unserer Freundschaft bei seine Mutter ebenfalls keine besondere Freude ausgelöst hatte. Ob ich der wäre, der in der Urlas, Lauf rechts wohne, wollte seine Mama wissen. Philipp bejahte. Seine Mutter zweifelte sehr, ob Philipp sich mit so jemandem wie mir abgeben sollte. Der Vater von Philipps Mutter war Metzgermeister und Kommunist. Mein Großvater war Lebemann und 2. Bürgermeister in der Nazizeit. Wir waren Romeo und Julia: Der kleine Prinz von Lauf links und der kleine Prinz von Lauf rechts waren Freunde geworden. Daran konnten auch die beiden mächtigen Damen niemals etwas ändern. Deinem Vater dürfte das alles wurscht gewesen sein. Mein Vater konnte deine Mutter immer gut leiden. Weil deine Mutter sehr hübsch war und schön erzählen konnte. Außerdem wählte mein Vater immer die Roten. Meine Mutter schwieg sich darüber aus.

Wir verbrachten viel Zeit miteinander. Manchmal fing einer von uns einen Satz an und der andere sprach ihn zu Ende, und gelegentlich kam es auch vor, dass wir gleichzeitig dasselbe sagten. Wir verbündeten uns gegen die Widrigkeiten dieses fragwürdigen Schulsystems und seine zweifelhaften Vollstrecker. Atmeten im Kunstunterricht auf und jubilierten, als wir den Lehrer Holz im Sportunterricht bekamen, der die Stunde immer damit begann, dass er laut deklamierte: „Jungs, entspannt Euch!“ Beide versuchten wir es eine zeitlang mit dem Beten, Jesus etc. und machten auch einmal Anstalten, die Welt durch Natur- und Vogelschutz zu retten. Wir scheiterten in beiden Fällen an den Korinthenkackern, die die Marschbefehle ausgaben. Beim Jesus kam das gleichbleibende Problem dazu, dass wir zwar fleißig zu ihm hinauf gebetet haben, der Mann aber im Gegenzug nicht ein einziges Mal wenigstens mit einem leisen „Piep“ geantwortet hatte. Im Nachhinein betrachtet war Philipp Moll mein Freund, mit dem ich die stickige Luft und die Enge dieser Vorstadt einigermaßen ertragen konnte.

Moll war in allem, was er tat, immer sehr langsam. Erik bemerkte einmal, dass Philipp die Kunst beherrsche, exakt so langsam Fahrrad zu fahren, dass er dabei nicht umfiel. Du hast dich nie beim Sprechen gehetzt, und deine Schritte waren immer gemächlich und würdevoll. Wenn zufällig einmal ein gutes Stück Wurst auf deinen Teller gekrabbelt ist, hast du Dir Zeit genommen, das Erzeugnis des Metzgermeisters zu würdigen, indem du ganz bewusst gebissen hast, genüsslich geschmeckt, gründlich gekaut und mit der Konzentration des Feinschmeckers geschluckt. Du hast Dir Zeit gelassen beim Denken. Daraus resultierte eine Gründlichkeit, Klarheit und Schärfe. Mit diesem Handwerkszeug hast Du gelebt, geliebt, gelitten und Kunst gemacht. Du bist immer sehr präzise im Inhalt gewesen und hast dabei die Form aus dem Ärmel geschüttelt. Sehr langsam bist du immer auf die Bühne geschritten und sehr langsam hast du deine Stimme erhoben. Und dann hast du einen Himmel gesprochen und eine Erde und ein All, und dann hast du alles im schönsten Hosianna explodieren lassen. Du hattest ein Höchstmaß an Taktgefühl und Groove.

Philipp und sein Weltanschauungsbeauftragter Fürbringer haben die Immobilienfuzzis durchschaut, die Künstler und Kunst gern benutzen, um die Immobilien pleitegegangener Firmen meistbietend zu verhökern. Und ihre Konsequenzen daraus gezogen. Sie verhöhnten die geföhnten Kulturroboter mit ihren langweiligen Worthülsen und der ungestillten Gier nach Macht. In diese tranige Suppe haben sie dann noch die dunkle Brühe der Politik hinein gegossen und damit ein eigenwilliges Feuerwerk abgebrannt.

Mit Philipp Moll wäre ich sehr gern alt geworden. Was wäre das ein Spaß gewesen, wenn wir mit 75 Jahren zusammen „Stalingrad, Stalingrad, Stalingrad“ gesungen hätten auf die Melodie von Jingle Bells.

Aber der blöde Tod hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Philipp Moll ist am Montag, den 17. Oktober 2016 gestorben.

Sein Herz war zu groß.

 




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#Egersdörfer, #Kolumne, #Philipp Moll

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HERSBRUCK. Bahnhof FÜRTH

Auf der blauen Himmelsleinwand über dem sandsteinernen Bahnhofsgebäude wurde ein Pinsel mit weißer Tünche immer wieder über die ganze Fläche abgestreift, um die Farbe aus den Borsten zu bekommen. Daneben im grauen Hochhausklotz glotzten die hundert schmalen Fensteraugen in müder Verschlagenheit. Auf den Bahnsteigen hingen blau gerahmte Displays in der Luft und zeigten den Reisenden die nächsten und übernächsten Anschlüsse hin zu anderen Bahnsteigen. Ein Mädchen mit weißen Steinchen im Ohr bewegte die kreidebleichen Turnschuhe mit ihren munter wiegenden Füßen und sprach und lachte mit einer Person an einem anderen Ort. Sanft griff sie in eine lange Strähne und zwirbelte das blonde Haar. Der Mann daneben löste seine Maske vom Ohr und trank vorsichtig aus der Mineralwasserflasche. Ein anderer hielt sich fast klammernd am Riemen der Tasche.

Eine Bahn fuhr heran. Seine Beine liefen zu den sich öffnenden Türen. Er verschwand. Die Türen schlossen sich. Die Bahn fuhr davon. Eine Frau mit gradem schwarzen Scheitel ließ eine Tasche unter dem Hintern nach vorne und hinten baumeln. Sie trug noch einen Beutel über der Brust und einen Rucksack am Rücken, als wolle sie sich von allen Seiten beschweren, um der Gefahr zu entgehen davonzufliegen wie der fliegende Robert. Dann pfiff hinten eine braune Lok, die sogleich geschäftig vorbeirollte, als habe sie im Lotto gewonnen. Dem geduldigen Postgebäude zur linken war ein Lederdach aufgesetzt worden. Wie braune Kappen auf den Köpfen von Knechten die im Viereck, Schulter an Schulter stumpf mit gestrecktem Rücken nebeneinender harren, stand es da und wartete auf Befehle. Direkt davor hatte man schwarze und gelbe Tonnen in einen engmaschigen Zwinger gesperrt. Die Quer- und Längsverstrebungen eines grünen Metallmasten überkreuzten sich im Blick darauf. Mit einer daran befestigten grauen Stangenkonstruktion wurde die elektrische Oberleitung recht aufwendig in die Luft gehalten. Weiße parallele Streifen flankierten im Sonnenlicht die Bahnsteigkante. Der Kabarettist stieg in die nächste Bahn nach Hersbruck ein und setzte sich zum Grafiker, der schon  im Waggon saß.
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