Dem Egers sei Welt #24

FREITAG, 29. NOVEMBER 2013

#Egersdörfer

Ich hatte keinen Platz mehr im Zug gefunden und war müde, meinen Koffer noch weiterhin vor mir zwischen zusammengepferchten Menschen herzuschieben. Also setzte ich mich in das sogenannte Bordrestaurant und bestellte mir eine Tasse Earl Grey.

MENSCHEN AUF REISEN

Mir gegenüber saß ein fränkelndes Ehepaar. Ich hatte mich kurz erkundigt, ob der Platz an ihrem Tisch noch frei sei und hatte nach der positiven Antwort den Platz besetzt, mich der Tasse Tee und der Lektüre eines Buches gewidmet und jede weitere Konversation fürderhin eingestellt. Wir fuhren durch Landschaft. Ich las vor mich hin. Das Ehepaar sprach miteinander unaufgeregt wie ein gelegentlich tropfender Wasserhahn.

Als der Zug außerplanmäßig, wie uns die Stimme des Zugbegleiters durch den Lautsprecher zu verstehen gab, zum Halten kam, fragte ich einige Momente später, als die Fahrt immer noch nicht fortgesetzt wurde, meine Tischnachbarn
mit geradezu kumpelhaftem Witz, ob hier jetzt an Ort und Stelle die Reifen gewechselt werden würden. Mit diesem Ausspruch hatte ich offenbar die Wortdämme des Ehepaars geöffnet. Aus den beiden sprudelten fortan Wörter und Wörter ohne nennenswerte Unterbrechung. Solches sei man ja von der Deutschen Bahn gewöhnt. Überraschen könne einen das nur in einem geringen Maß. Allerdings wiege die Belastung deutlich schwerer, da beide einen über achtstündigen Flug von Mexico hinter sich hätten. Die siebenstündige Zeitverzögerung trage das Ihrige dazu bei, dass man sich nichts inniger
wünsche, als daheim in den eigenen vier Wänden auf die Bettstatt niederzusinken.

In dieser Phase des Gesprächs freute ich mich noch über den Auskunftswillen der beiden Reisenden, wohl auch, weil ich die gewaltigen Ausmaße ihres sich ergießenden Sprechsees noch nicht ermessen konnte. Wie ein zündelnder Bub, der ein Feuer entfacht, freute ich mich am brennenden Reißig und legte schon dickere Zweige auf das Geloder des Gesprächs und führte die Flamme weg von den Schilderungen des ermatteten Organismus und des zerfalteten Seelenkostüms hin zu dem ehemaligen Ziel der Reise und fragte, ob sie dort etwa auch Mexico-City besucht hätten.

Sie schnappten wie zwei mopsfidele Hunde nach einem Knochen. In Verzückung erzählten sie jetzt schwanzwedelnd, laut aufbellend und hüpfend von ihrem Urlaub. Mexico-City hätten sie nicht besucht. Sie wären bei den Pyramiden im Urwald gewesen. Ein klimatisierter Bus hätte sie dort hingebracht. Eine regelrechte Busroute führe einen direkt zu den Pyramiden im Halbstunden-Takt. Die Fahrt habe keine 20 Euro gekostet. Die Frau teilte mit, sie sei bis zur Hälfte hinaufgestiegen. Er sei unten geblieben, entgegnete der hundeäugige Mann, er habe es mit der Hüfte. Sie wäre bis zur Hälfte hinaufgestiegen, dann wäre sie umgekehrt. Die Stufen seien immer schmaler geworden. Außerdem müsse man bedenken, dass es hinauf ja wesentlich einfacher ginge als dann auf dem Rückweg hinunter. Andere Reisende hätten dieses nicht bedacht und mussten deshalb von Helfern unterstützt werden. Ich fragte daraufhin interessiert, ob diese Personen so dann von der Spitze der Pyramide auf dem Rücken des Hilfspersonals hinunter getragen wurden. Der Berner Sennenhund lächelte milde und erwiderte, dass diese Menschen zwar nicht getragen, aber doch beim Abstieg gestützt und gehalten worden wären. Diese ganzen Mexikaner wären ja ein derartig nettes und zuvorkommendes Volk, heulte die bebrillte Pudelin plötzlich auf. Und man käme überall perfekt mit der deutschen Sprache zurecht. Jeder würde Deutsch verstehen und Deutsch sprechen. Es sei geradezu traumhaft, insbesondere für sie beide, da sie ja über keinerlei weitere Sprachkenntnisse verfügen würden. Von der Benutzung von Mietwagen wurde ihnen aber dringlich abgeraten. Erst kürzlich seien Reisende in ihrem Fahrzeug angeschossen worden. Aber die Busse bringen einen ja auch, angenehm temperiert, überall hin.

Ausgerechnet in der Regenzeit wären sie nach Mexico gereist, gab die Frau plötzlich ungefragt zu. Ich musste zu diesem Zeitpunkt kaum mehr etwas sagen, fragen oder ein Interesse bekunden. Hoch und hell brannte das Feuer der Erzählung wie ganz von selbst. In kürzester Zeit sei man von oben bis unten nassgeschwitzt gewesen, sprach der Hundemann und grinste hilflos und fröhlich dazu. Regnen würde es da. Aus Eimern wäre schlichtweg untertrieben. Aus Wannen und Rohren schütte es literweise das Wasser hinunter. So etwas könne man sich nicht vorstellen. Die Welt steht komplett unter Wasser. Der Tochter zu Liebe hätten sie diese Reise mit selbiger angetreten. Niemand habe sich erkundigt, wie es klimatisch zu der Zeit zuginge. Wesentlich sinnvoller wäre es im Januar oder Februar. Da sei das Klima wesentlich angenehmer. Diese ganze Reise sei im Übrigen sowieso eine Ausnahme gewesen, sagte die Frau mit überkreuzten Armen, vorgeschobenen Kinn und einem Blick, der mir genau zwischen die Augen zielte.

In der Hauptsache würden sie mit dem Schiff reisen. Mit dem Schiff zu reisen sei sowieso das Allerbeste. So viel hätten sie dadurch schon von der Welt gesehen. So viele ferne Städte und Länder hätten sie da in kürzester Zeit kennengelernt. An mindestens jedem zweiten Tag würde ein Landgang stattfinden. Und eine Schiffsreise sei vergleichsweise spottbillig. Wollte man diese Ländereien individuell auf dem Landweg oder mit dem Flugzeug bereisen, koste das wesentlich mehr; vom Zeitfaktor einmal ganz abgesehen. In Norwegen seien sie schon gewesen, freilich auch das Mittelmeer, Nizza, Spanien.

Auf dem Schiff mangele es einem an nichts, jaulte der Hundemann. Essen in Hülle und Fülle. Das würden besonders die Italiener ausnützen. Vollständige Familienclans würden mit dem Schiff reisen. Hoch aufgetürmte Platten mit Essen würden sie in großen Rotten zum Tisch schleppen. Nur ein kleiner Teil von dem Essen würde auch verzehrt werden. Bei den Italienern blieben immer große, kaum angetastete, kaum beachtete Teller mit Speisen zurück. Die Reisekosten könnte man bestimmt um ein Vielfaches reduzieren, würden sich diese Menschen nur ein bisschen zurückhalten. Den Italiener interessiere sowieso nur das Essen und das Essenzurückgehen-Lassen. Den Landgang verweigert der Italiener vollständig, da er fürchtet, er könnte das Mittag- oder Abendessen verpassen. Der Engländer dagegen trinkt im Übermaß. Ständig sitzt er an der Bar und trinkt bzw. säuft einen Drink nach dem anderen. Es ist geradezu unmenschlich, was für ein Fassungsvermögen der Engländer aufzuweisen hat. Es empfehle sich auch, die Pauschale für grenzenlose Getränke zu entrichten, informierte die Frau. Vor dem Landgang versorgten sie sich stets mit einer Tasche voll gekühlter Getränkedosen. Das Vom-Schiff-Gehen, aber auch das Wiederkehren sei hervorragend organisiert. Es gäbe kein Gedränge und Geschiebe. Alles ist auf das Beste organisiert.

Der gutmütige Wauwau streckte seinen Zeigefinger in die Höhe und bat so, Aufmerksamkeit erheischend, um die Sprecherlaubnis. Auf der letzten Fahrt haben sie eine komplette Bar auf dem Zimmer gehabt. Flaschen feinsten Alkohols hingen kopfüber. Man brauchte nur das Glas von unten an den Verschluss drücken, schon sprudelte der Sprit. Das lockt freilich den Alkoholiker, gab sie daraufhin zu bedenken.

Unlängst sei ich selbst in Venedig gewesen und hätte vom Ufer aus einige Schiffe, groß wie Einkaufszentren, beim Ein-und Ausfahren betrachtet, exzerpierte ich vorsichtig. Venedig sei besonders schön zum Hinein- und Hinausfahren, schnaufte er genüsslich. Die Stadt sei ja angeblich in ihrer Substanz stark gefährdet wegen des Verkehrs dieser sehr großen Kähne, warf ich in die Runde. Das Hundegesicht nickte mir zustimmend zu und ergänzte, dass man insbesondere vom Oberdeck einen wunderschönen Blick über das gesamte Ensemble der Lagunenstadt genießen könne.

Euer Egers


Egersdörfer und Artverwandte
haben ihre nächsten Termine an den Dienstagen 10.12. und 14.01. im KunstKulturQuartier (ehem. K4, ex KOMM). Hochoffiziell präsentiert von curt!

Weitere Egersdörfer-Termine:
>>04.12. (zu Gast in „Molls Buntem Trichter“ im Kunst -und Kurhaus Katana),

11.12. (zu Gast bei der Dream Team Theatergruppe im E-Werk Erlangen),
21.12. („Dreck am Stecken“-Lesung zusammen mit Philipp Moll und Gästen im Kulturort Badstraße 8).

Weitere Termine in Nah und Fern auf www.egers.de.




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#Egersdörfer

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MAGAZIN  23.02.2024
AKADEMIE DER BILDENDEN KüNSTE. Text Matthias Egersdörfer

Der Moll war ein sehr langsamer Mensch. Er fuhr zum Beispiel mit einer kaum vorstellbaren Geschwindigkeit Fahrrad. Wäre er auch nur eine Kleinigkeit langsamer gefahren, wäre er schlichtweg umgefallen. Sah man den Philipp zum Beispiel von der Weite aus auf seinem alten Holland-Rad, musste man annehmen, dass er völlig reglos darauf saß und sich nicht bewegte. Auf der anderen Seite verfügte der Moll über eine blitzschnelle Auffassungsgabe. Jahrelang waren wir gemeinsam zum Christlichen Verein Junger Menschen hinmarschiert und hatten mit schier unermesslichem Übermut die Bibel bis knapp zum Irrsinn zerdeutet, hernach in herzlicher Zugewandheit mit den anderen Christenknaben bis zum Ohrenglühen gerauft und auch ansonsten keinen evangelischen Blödsinn ausgelassen. Dann, von einem Tag auf den anderen, war der Philipp nicht mehr hingegangen. Hat wortlos die Kündigung eingereicht. In Ewigkeit. Amen. Aus die Maus. Ich habe es am Anfang nicht begriffen. Es hat einige Zeit gebraucht. Das holdselige Himmelreich hatte seine Grenzen, von engstirnigen Glaubensbeamten errichtet. Da konnte man sich sauber daran derrennen. Und zum Müffeln hat es allenthalben auch schon angefangen gehabt. Junge Männer waren dazu gekommen, die sich für etwas besseres hielten, und vorbei war es mit unserem klassenlosen Bubenclub. Der Moll hatte einen Riecher. Dann hat er sich verzupft. Ohne Getu. Ohne Spektakel und großes Reden. Ich habe länger dazu gebraucht, das zu begreifen.
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HERSBRUCK. Bahnhof FÜRTH

Auf der blauen Himmelsleinwand über dem sandsteinernen Bahnhofsgebäude wurde ein Pinsel mit weißer Tünche immer wieder über die ganze Fläche abgestreift, um die Farbe aus den Borsten zu bekommen. Daneben im grauen Hochhausklotz glotzten die hundert schmalen Fensteraugen in müder Verschlagenheit. Auf den Bahnsteigen hingen blau gerahmte Displays in der Luft und zeigten den Reisenden die nächsten und übernächsten Anschlüsse hin zu anderen Bahnsteigen. Ein Mädchen mit weißen Steinchen im Ohr bewegte die kreidebleichen Turnschuhe mit ihren munter wiegenden Füßen und sprach und lachte mit einer Person an einem anderen Ort. Sanft griff sie in eine lange Strähne und zwirbelte das blonde Haar. Der Mann daneben löste seine Maske vom Ohr und trank vorsichtig aus der Mineralwasserflasche. Ein anderer hielt sich fast klammernd am Riemen der Tasche.

Eine Bahn fuhr heran. Seine Beine liefen zu den sich öffnenden Türen. Er verschwand. Die Türen schlossen sich. Die Bahn fuhr davon. Eine Frau mit gradem schwarzen Scheitel ließ eine Tasche unter dem Hintern nach vorne und hinten baumeln. Sie trug noch einen Beutel über der Brust und einen Rucksack am Rücken, als wolle sie sich von allen Seiten beschweren, um der Gefahr zu entgehen davonzufliegen wie der fliegende Robert. Dann pfiff hinten eine braune Lok, die sogleich geschäftig vorbeirollte, als habe sie im Lotto gewonnen. Dem geduldigen Postgebäude zur linken war ein Lederdach aufgesetzt worden. Wie braune Kappen auf den Köpfen von Knechten die im Viereck, Schulter an Schulter stumpf mit gestrecktem Rücken nebeneinender harren, stand es da und wartete auf Befehle. Direkt davor hatte man schwarze und gelbe Tonnen in einen engmaschigen Zwinger gesperrt. Die Quer- und Längsverstrebungen eines grünen Metallmasten überkreuzten sich im Blick darauf. Mit einer daran befestigten grauen Stangenkonstruktion wurde die elektrische Oberleitung recht aufwendig in die Luft gehalten. Weiße parallele Streifen flankierten im Sonnenlicht die Bahnsteigkante. Der Kabarettist stieg in die nächste Bahn nach Hersbruck ein und setzte sich zum Grafiker, der schon  im Waggon saß.
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20240317_Tafelhalle
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