Steven Wilson Interview curt München

Im Gespräch: Steven Wilson

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Steven Wilson, der Kopf hinter der legendären Prog-Rock-Band Porcupine Tree, legt nach seinem Langspieler „Hand.Cannot.Erase.“ am 22. Januar 2016 ein Mini-Album mit dem Titel „4 1/2“ nach, das sechs Tracks enthält und mit einer Spielzeit von rund 37 Minuten glänzt.

„Hand. Cannot. Erase.“, ein Konzeptalbum wie aus dem Lehrbuch, bescherte Steven Wilson den höchsten Charteinstieg seiner Karriere und frenetischen Beifall von Fans und Kritikern gleichermaßen. Auf eine ausverkaufte Welttournee folgt Anfang 2016 nun der Nachschlag. Für ganze acht Shows kehrt Wilson wieder nach Deutschland zurück und spielt am 13. Januar wieder einmal in der für solch ein Event ungewöhnlichen Philharmonie am Gasteig zu München. Nachdem wir schon vor rund 11 Monaten die Chance hatten, einen Blick in die Gedankenwelt des Sound-Genies zu riskieren, traf sich curt zur besten Tea-Time erneut mit dem Londoner auf ein kurzes Update.

Mit „4 ½“ wirst du kommenden Januar ein Interim-Album veröffentlichen, das als Übergang zu deinem fünften Album fungiert. Was können wir von „4 ½“ erwarten? Warum handelt es sich bewusst um eine Interim-Veröffentlichung statt um eine klassische EP?
Nun, es ist ein bisschen von allem. Um es ganz bescheiden auszudrücken, handelt es sich bei „4 ½“ um einen Vorwand, diese neuen Songs auf der kommenden Tour live zu spielen. Zum anderen will ich auch diesen Songs ihren Platz im Rampenlicht geben. Die Tracks habe ich während der Sessions zu meinem letzten Album eingespielt und geschrieben, ein paar davon im Laufe des Jahres aber noch einmal gefinetuned. Es sind bei Weitem keine Überbleibsel, sondern wirklich gute Songs, die einfach nicht in das fertige Konzept passen wollten. Jetzt ist ihre Zeit gekommen, auch wenn mein neues Album natürlich wieder eine ganz andere Richtung einschlagen wird. Du weißt ja, wie sehr mich Konzeptalben bei meiner Arbeit begleiten.

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Du bist vor allem auch ein sehr visueller Mensch und machst dir wahnsinnig viele Gedanken um die Präsentation deiner Veröffentlichungen. Zu „Hand.Cannot.Erase.“ gab es eine Ausstellung in London und eine mehr als opulent ausgestattete Special Edition. Was hat es mit dem Artwork von „4 ½“ auf sich und wer sind diese beiden Mädchen?
Die beiden Mädchen auf der Parkbank entstammen dem Song „perfect life“ und das Artwork nimmt sich der Geschichte der beiden an. Was mich an dem Foto am meisten begeistert, ist die Tatsache, dass du es zeitlich nicht verorten kannst. Es kann sowohl in den 1960ern, aber auch in den 1890ern entstanden sein oder heute. Das Bild drückt etwas Zeitloses aus und gewinnt zusammen mit dem Pappschuber eine überdurchschnittlich grafische Qualität. Ich wollte wieder einmal etwas Ikonisches zeigen, was mir hoffentlich gelungen ist. Auch das neue Package wirst du lieben – wir haben wieder einmal sehr viel Zeit für ein ansprechendes Layout investiert. Und es hat sich gelohnt.

Das Kapitel „Hand.Cannot.Erase.“, welches sich der Geschichte von Joyce Carol Vincent annahm – einer jungen Frau, deren Tod in der eigenen Wohnung trotz eines engen sozialen Netzwerks lange Zeit nicht bemerkt wurde –, ist dennoch abgeschlossen, wie ich heraushöre. Was können wir also von deinem fünften Album erwarten?
„Hand.Cannot.Erase.“ und seine Geschichte sind definitiv für mich abgeschlossen. Wie du weißt, verfolge ich die Idee von Konzeptalben und einer zusammenhängenden Story sehr penibel. Diese spezielle ist nun zu einem Ende gekommen und da ich mich ungern wiederhole, wird auch mein neues Album komplett neue Erzählstränge beinhalten und völlig andere musikalische Farben. Ich bin immer noch am brainstormen, kann aber schon jetzt verraten, dass die aktuellen Ereignisse auf der Welt sicher ihren Einfluss haben werden. Vor allem will ich mich auf einen moderneren Sound stürzen.

Du hast im September quasi als Tour-Abschluss zwei spezielle Shows in der berühmten Royal Albert Hall in London gespielt. Ein Abend widmete sich deinem letzten Album, der nächste hielt einige Highlights aus deiner bisherigen Karriere für die Hardcore-Fans bereit. Wie gehst du an solche Shows heran und unterscheiden sie sich von regulären Shows?
Die Shows in London waren in der Tat etwas ganz Besonderes und ich übertreibe nicht, wenn ich sie als bisheriges Highlight meiner Karriere betrachte. Ich hätte mir keinen gelungeneren Abschluss der Tournee wünschen können, auch wenn der Weg hierhin eine wahnsinnig große Herausforderung war. Die Band musste ein Repertoire von ca. vier Stunden einstudieren, ich eine fließende Setlist kreieren und eine rundum gelungene Show komponieren. Es war also ein enorm aufwendiges Puzzle, welches wir da zusammensetzen mussten, aber ich hätte glücklicher nicht sein können.

Wie ist es eigentlich, derzeit mit Steven Wilson auf Tour zu sein? Das Set, aber auch die Locations sind schließlich komplett andere als auf deinen bisherigen Tourneen mit beispielsweise Porcupine Tree – deinem bekanntesten Projekt.
Es ist definitiv befreiend, als Solo-Künstler unterwegs zu sein, aber auch anstrengender. Wir hatten bereits letztes Mal darüber gesprochen: Ich bin ein absoluter Kontrollfreak und will in jeden Prozess involviert werden. Ich will wissen, welche T-Shirts verkauft werden, ich will den Sound steuern, die Effekte abstimmen und natürlich meine Band anleiten, um wirklich alles so ablaufen zu lassen, wie ich es mir vorstelle. Als Solo-Künstler bin ich auch keiner Bandpolitik unterlegen, was mir ebenfalls sehr viel Gestaltungsspielraum gibt, den ich selbstständig füllen kann. Auch wenn ich die Atmosphäre in einer Band ebenfalls sehr genießen kann. Die Locations kann ich mir jedoch nur sehr selten aussuchen, da das eher eine Sache zwischen meinem Manager und den Promotern ist. Ein wenig ambivalent ist es jedoch schon, da ich eine gute Club-Show genauso gerne spiele wie ein bestuhltes Theater. Gerade in Deutschland scheint mein Publikum ein wenig älter zu sein, was die Sache für sich auch immer wieder spannend hält.

Warum sollten wir dich nach nur gut einem Jahr gleich wieder live sehen wollen?
Die neue Tour wird sich von der letzten gut zur Hälfte unterscheiden, also bis zu 50 % komplett neue Elemente beinhalten. Wir haben also durchaus noch einige Hasen, die wir aus dem Hut zaubern können. Wir werden definitiv einige der neuen Songs auf „4 ½“ spielen, aber auch Songs, die ich lange nicht mehr gebracht habe. Die beiden Shows in London fungieren also als eine Art Schablone für das, was kommen wird – es bleibt also auch hier spannend. Mehr will ich nicht verraten.

In unserem letzten Gespräch hast du davon erzählt, dass ein echter Filmsoundtrack noch in deinem Portfolio fehlt und dich diese Art von Arbeit noch einmal sehr reizen würde. Die letzte Tour und das letzte Album waren für sich gesehen bereits schon sehr soundtrack-artig. Hat sich etwas in diese Richtung getan und planst du neben deinem fünften Album schon etwas Neues?
Du hast Recht. „Hand.Cannot.Erase“ war in sich eines meiner umfangreichsten Projekte und eine Art Film. Nichtsdestotrotz habe ich noch kein Angebot bekommen, einen richtigen Soundtrack beizusteuern, wenn auch einige der Songs auf „4 ½“ durchaus mit dieser Idee im Kopf entstanden sind. Was ich definitiv plane, ist die vergangene, aber auch die letzte Tour einzufangen. Dabei will ich aber keine schnöde Live-DVD auf den Markt schmeißen, die sich nur mau verkaufen wird, sondern ein wenig tiefer graben. In den letzten zehn Jahren scheint es immer mehr Mode geworden zu sein, absolut jede Tour als DVD zu bringen. Der Markt ist also wirklich den Bach runtergegangen und genau diesem Trend will ich mit etwas wirklich Ambitioniertem entgegenwirken. Zusammen mit meinem langjährigen Kollegen Lasse Hoile werden wir diesem Kapitel einen würdigen Abschluss bereiten und versuchen, etwas wirklich Einzigartiges zu präsentieren. Ich hoffe, auch die Show in München einfangen zu können.

Die Gewinner unserer Kartenverlosung wurden informiert!


curt präsentiert: Steven Wilson // 13. Januar // 20 Uhr // Philharmonie // Tickets:41,45 bis 58,70 Euro
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Photo Credits: Diana Nitschke

Interview: Tim Brügmann > Homepage