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Die Münchner Lach- und Schießgesellschaft

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Der Laden für Kabarett

In Sachen Kabarett führt in München kein Weg an Schwabing vorbei. Mit Lustspielhaus, Vereinsheim und Heppel & Ettlich ist das Viertel um die Münchner Freiheit das Epizentrum sozialkritischer Unterhaltung, prominent angeführt von der Münchner Lach- und Schießgesellschaft in der Ursulastraße, Ecke Haimhauserstraße. Auf eine über 60-jährige bewegte Geschichte blickt die Münchner Institution zurück, sie ist Geburtsstätte und Heimat zahlreicher Kabarettgrößen und -legenden.

Die Münchner Lach- und Schießgesellschaft ist nicht nur der Name des Kleinen Theaters in Schwabing, das mit seinen knapp 130 Plätzen seit Anbeginn für kuscheligste Atmosphäre sorgt. Sie steht auch immer für das jeweilige Hausensemble. Mit den „Lach und Schießern“ wurde das Kollektiv-Kabarett in München etabliert und zu größtem Ruhm geführt.

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Am 12. Dezember 1956 feiert das erste Ensemble um Ursula Herking, Dieter Hildebrandt, Hans Jürgen Diedrich und Klaus Havenstein mit „Denn sie müssen nicht, was sie tun“ Premiere. Das Programm unter der Regie von Sammy Drechsel, begleitet von Fred Kassen am Klavier, ist der Start einer Reihe von Kabarett-Produktionen, die sich kritisch mit den politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen in der Bundesrepublik auseinandersetzen.

1956 wird die allgemeine Wehrpflicht beschlossen, der Bundesnachrichtendienst nimmt in der ehemaligen SS-Kaserne Pullach seine Arbeit auf, der Wirtschaftsboom beschert die erste große Welle italienischer Gastarbeiter, der amtierende Bundeskanzler Adenauer wird 80 und die Tagesschau geht fortan werktags auf Sendung. Die jungen Künstler um Dieter Hildebrandt – der Zeit seines Lebens mit dem „Laden“ identifiziert werden soll – haben allerhand Stoff für ihr satirisches und humoreskes Programm. Klaus Peter Schreiner prägt über Jahre die Lach und Schieß als Autor. Bis 1972 entstehen so jährlich neue Programme, wobei die Kernthemen Wieder-bewaffnung, atomare Aufrüstung und vor allem die verweigerte Aufarbeitung der NS-Zeit durchwegs bestimmend bleiben.

Von der Presse wird die neue Qualität der Lach und Schieß sofort erkannt, auch ihr Münchner Publikum, das vor allem ein bildungsbürgerlich-intellektuelles ist, liebt die kontroverse Truppe bald. Zur Institution wird der „Laden“ allerdings durch die jährlichen Fernsehübertragungen. Schon das erste Programm wird 1957 ausgestrahlt, später etabliert sich die Sendung „Schimpf vor zwölf“ immer an Silvester in der ARD. Die Reichweite und Resonanz waren durch zunächst nur wenige Stunden Fernsehprogramm auf nur einem Sender (in der 60ern kommen das zweite und das dritte Programm dazu) natürlich enorm.

Plötzlich bundesweit bekannt, gehört für München-Besucher die Stippvisite in der Ursulastraße genauso dazu wie ein Abstecher in die Frauenkirche. Die Bekanntheit wird durch die fleißige Reisetätigkeit des Ensembles stetig unterstützt. Sobald ein Programm in München einige Wochen – vor meist vollem Haus – gezeigt wurde, bereist die Kabaretttruppe den deutschsprachigen Raum. Die Lach und Schieß steht für urbanes, intellektuelles Kabarett, vergleichbar über Jahrzehnte nur mit ihren Pendants in Berlin (Distel), Düsseldorf (Kommödchen) oder Leipzig (Pfeffermühle, Akademixer). Hier opponiert man gegen das saturierte Bürgertum, dass es sich nach dem Wiederaufbau im neuen Wohlstand gemütlich macht, gegen bornierte Spießigkeit, gegen den Parteienfilz insbesondere um den Lieblingsfeind Franz Josef Strauß und gegen das gesellschaftlich tolerierte kollektive Verdrängen der deutschen Vergangenheit.

Immer wieder schafft es die Schwabinger Institution, sich künstlerisch neu zu erfinden; die Programme spiegeln über all die Jahre die gesellschaftliche und politische Entwicklung in Deutschland wider. Das Erstarken der Außerparlamentarischen Opposition in den 60ern, der Regierungswechsel zur sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt 1969, die zunehmende Bedeutung von Europa und der Globalisierung, die deutsche Wiedervereinigung, die Asylfrage – das sind nur wenige Beispiele bedeutender Einschnitte, welche die Lach und Schieß kabarettistisch begleitet.

Diese Entwicklung bleibt freilich nicht frei von Erschütterungen. Künstlerisch-persönliche Querelen stören immer wieder das Ensemble-Klima, das Aufkommen neuer Humorformate wie Comedy und vor allem die mediale Inflation, die Kabarett, Kleinkunst und Satire allgegenwärtig verfügbar hält, sind echte Herausforderungen für die altehrwürdige Form des Kabaretts. Allen Hürden zum Trotz existiert die Lach- und Schieß-gesellschaft heute immer noch und belebt Schwabing. Seit 2001 führt der Passauer King of Kleinkunst, Till Hofmann, die Geschicke im „Laden“. Nach einer Pause von vier Jahren wird 2015 auch die Tradition des Hausensembles fortgeführt: Caroline Ebner, Norbert Bürger, Sebastian Rüger und Frank Smilgies bespielen seitdem den „Laden“ mit ihrem Programm „Wer sind wieder wir“ und nähren die Hoffnung, dass Ensemble-Kabarett auch im 21. Jahrhundert noch wunderbar funktioniert und gebraucht wird. Das weitere Programm der Lach- und Schießgesellschaft wird von diversen Gastspielen gestaltet und stellt sich als Mischung aus alten Hasen wie Sigi Zimmerschied, Henning Venske oder Lisa Fitz sowie jungem Gemüse wie Matthias Ningel oder Simon & Jan dar.

Die Wände des traditionsreichen Theaters zieren Dieter Hanitzschs Karikaturen all der Hausheiligen, welche die Lach und Schieß geprägt haben und genauso von ihr geprägt worden sind, darunter zum Beispiel die beiden langjährigen Ensemble-Mitglieder und Autoren Jochen Busse und Bruno Jonas oder Werner Schneyder, der österreichische Kabarettist und Bühnenpartner von Dieter Hildebrandt. Der kleine Raum ist aufgeladen von seiner bewegten Geschichte. Bei ausverkauftem Haus hat der Besucher nicht nur das Gefühl, seinem Nachbarn auf dem Schoß zu sitzen, sondern sieht eben auch jede Regung, jede Schweißperle des agierenden Künstlers. Wer hier auf der Bühne steht, der muss wirklich bestehen. Im „Laden“ gibt es sie eben noch: die echte Kleinkunst.

>> Münchner Lach- und Schießgesellschaft


> Dieser Artikel ist in der curt Ausgabe #86 erschienen.