trikont 2017

50 Trikont
50 Jahre Musik, Krawall und andere schöne Künste …

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Das Münchener Independent-Label Trikont ist seit 1967 bzw. 1972 ein Fixstern in Sachen alternativer (Musik-)Kultur. curt sprach mit den kreativen Köpfen, Eva Mair-Holmes und Achim Bergmann, über spannende Jahre, gute und schlechte Musik, Wandel und Wachstum.

Erzählt mal vom Anfang eurer Zusammenarbeit …
Eva (E): Wir kannten uns vom Sehen aus der Zeit, in der ich in München für „Das Blatt“ gearbeitet hab. Nach einer gemeinsamen Silvesterfeier hat Achim über den Freund fragen lassen, ob ich nicht bei Trikont einsteigen wolle. Ich war bei einem Privatradio tätig und a bisserl jünger – das war also nicht so ganz meine Szene.
Achim (A): Was Eva anfangs bei Trikont hörte, war jenseits ihres Musikgeschmacks! Ich hatte ihr ein Trikont-Powerpack geschickt, ein Mixtape mit Hans Söllner, Ringsgwandl usw. So was hatte sie noch nie gehört!
E: Mit der Zeit gab’s von beiden Seiten eine größere Offenheit – auch bei ihm für Bands und Musik, die wiederum mir näher waren.
A: Ende der 70er, Anfang der 80er begann die große Minderheitenszene, die Trikont lange getragen hat, zu bröckeln … Qualität, wie wir sie definiert hatten, war dann der Markt und keine Nische mehr!
E: Da kam dann Punk, New Wave und allerhand Neues und somit eine Neuorientierung. In dieser Zeit bin ich dazugestoßen. Deutschsprachige Musik war zuerst überhaupt nicht mein Thema, doch hat auch mich der Musik-Mainstream wenig interessiert. Attwenger hat dann so was wie ’ne Schleuse geöffnet und in dieser Zeit sind auch die „Raren Schellacks“ entstanden. Musik, die ich aus meiner Kindheit bei meinen Großeltern im Allgäu kannte! Der Blick des Sauerländers (Achim) hat alles anders interpretiert und somit auch mir eine neue Sicht auf diese Musik und ihre Besonderheit eröffnet. Seitdem gab’s fast ausschließlich Produktionen, bei denen wir uns gemeinsam für die Sache begeistert haben.

Was waren besondere Highlights?
E: Es gibt z. B. die Compilation „Ho! Roady Music from Vietnam 2000“. Achim hatte die ganze politische Bewegung in Vietnam viel früher mitverfolgt, gegen den Vietnamkrieg demonstriert etc. Dann schauen wir im Jahr 2000 da hin und stellen fest, dass die Straßenmusiker, wenn man’s genau nimmt, die Musik des ehemaligen Feindes spielen!
A: Auf „Ho!“ ist zu hören, wie Straßenbands mit vietnamesischen Instrumenten z. B. „Ghost riders in the sky“ spielen.
E: Mir wurde damals klar, welche Spannung eine Compilation erzeugen kann und warum. Da ging’s neben dem Dokumentarischen auch darum zu beobachten, wie es sich auf die Musikkulturen weltweit auswirkt, wenn jeder eine Schüssel auf dem Dach hat und MTV schauen kann. Es ist doch spannend festzustellen, dass alle trotzdem ihr eigenes Ding draus machen!
A: „Ho!“ wurde in New York von Independent-Radiostationen rauf und runter gespielt und war dort über Monate ganz oben in den DJ-Charts!
E: Hierzulande ging’s allerdings erstmal unter, worüber wir sehr enttäuscht waren. Als wir das rausfanden, wurde aus dem vermeintlichen Misserfolg ein Highlight. Das hat dann den Weg bereitet für Sachen wie „Globalista“, „Africa Raps“ usw.

Eva Mair-Holmes von Trikont. Foto: Stefanie Giesder

Woher kommt die Begeisterung fürs Ungewöhnliche?
A: Wir wollten weder Weltmusik noch sog. „originale“ Volksmusik machen. Wir wollten machen, was die Leute selber hören, die Musik, die sie in ihrer Umgebung für ihre Leute machen und die trotzdem grenzüberschreitend ist. Als die Hillbillys aus den Appalachen in die Städte gingen, wurde ihre Musik „Country“ genannt. Es gibt in dem Sinne nichts Originales.
E: Das eine entwickelt sich bei uns aus dem anderen: aus Country wird Black Country, dann Dirty Laundry usw. Da ist eine bestimmte Musik oder eine Region im Zentrum und plötzlich tut sich ein Spektrum auf, das spannend ist; Musik, die uns interessiert und fasziniert.
A: Thomas Meinecke (FSK, Zündfunk) beispielsweise hat in Texas alte deutsche Migranten aufgesucht, um herauszufinden, was die für Musik machen. Davon hat er Aufnahmen gemacht und daraus entstand unsere Reihe „Texas Bohemia“. Das hat seine Wurzeln in Deutschland und ist mit Instrumenten, die dort üblich waren, adaptiert worden.
E: Das Irre war die Sprache! Die hatten Deutsch schon lange nicht mehr als Alltagssprache verwendet, sondern es von ihren Großeltern übernommen. Dadurch hatte man da Texte in einem wahnsinnig alten Deutsch, das es so schon gar nicht mehr gibt!

Trotz eurer Findigkeit gab’s auch Momente, wo nicht klar war, wie’s weitergeht. Was motiviert euch weiterzumachen?
E: Wir schrappen immer wieder an so einem Grat entlang und wissen nicht, wie lang wir uns da noch halten. Aber wenn du Spaß dran hast, willst du nicht aufhören! Uns trägt immer noch das Gefühl: „Wir können euch Musik zeigen, die ihr sonst nicht findet.“
A: Ich bin ja so ein Spinner, der sich total reinwuselt in Musik, in Kultur …
Bei den „Raren Schellacks“ zum Beispiel. Da begibst du dich in die Zeit Ende 19., Anfang 20. Jahrhundert, die Zeit der Volkssänger. Es gab damals 800 Volkssänger-Bühnen in München und da sind unfassbar grandiose Sachen passiert! Man kann sich kaum vorstellen, über was die alles gesungen haben! Ich bin ausgeflippt, konnte das kaum glauben! Das waren Vorläufer von Musik, die später immer wieder musikalisch aufgegriffen wurde. „Der Punk der frühen Jahre!“, wie Jonathan Fischer es nannte.
E: Wir machen eben unser Ding – uns interessieren Bands, die was mitteilen wollen und nicht die zehnte Kopie von irgendwas sind.
A: Beispiel Kofelgschroa: In Oberammergau aufgewachsen, Leute mit Emotionen von heute, die machen Musik, verarbeiten Dinge, die um sie rum passieren – daraus entsteht etwas, das auch junge Leute in Berlin oder Hamburg verstehen! Oder unser jüngster Zuwachs: eine Band aus dem Bayerischen Wald, Freunde, die seit zehn Jahren Musik machen und irgendwann eine Platte aufgenommen haben, die wir in die Hände bekamen. Wir waren gleich total begeistert und so kam es, dass das dritte Album der Zitronen Püppies bei Trikont aufgenommen wurde. Die drücken etwas aus in ihrer Musik und ihren Texten, das Kraft hat!

Was bezeichnet ihr als euren größten Erfolg?
A: Der einzige wirkliche Erfolg ist, dass es den Musikverlag seit 45 Jahren gibt. Das geht nur, wenn du bereit bist, dich immer am Rand der Existenz zu bewegen, und das nicht mehr dramatisch findest.

Achim Bergmann von Trikont. Foto: Stefanie Giesder

Mit welchen Schwierigkeiten seht ihr euch öfter konfrontiert?
A: Wir verstehen uns nicht als bloßes Plattenlabel. Unser Prinzip ist, Leuten, die bei uns Platten machen oder auftreten, Rückhalt zu geben. Wir brauchen also eine Zwischenfinanzierung, die zwischen Erfolgen und Nichterfolgen der Künstler greift. Das ist eine Solidargemeinschaft, wir sind so was wie das ausführende Organ. Wer mehr verkauft, zieht andere mit. Das versteht nicht immer jeder, manchen Bands muss man erklären, warum man sich manchmal z. B. um einen Söllner mehr kümmert. Der finanziert ja auch oft die anderen mit!
E: Als kleine Klitsche wie wir, mit fünf, sechs Leuten, musst du zu den Künstlern einen Kontakt haben, der über das rein Faktische hinausgeht. Eine pure Geschäftsbeziehung – wie soll denn das gehen?
A: Das ist wahrlich nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen! Manchmal muss man da richtig streiten! Mit dem Ringsgwandl hab ich z. B. den bislang härtesten Fight geführt. Wir waren kurz davor, uns zu prügeln! Es ging um die Zukunft seines künstlerischen Programms. Er wollte weitermachen mit einer eher verwitzelten Art und ich hab gesagt: „Du hast das nicht nötig, du brauchst keine Leggings und kein Transvestitenzeugs.“ Aber er traute sich anfangs nicht, Ernsthafteres zu wagen.
E: Jetzt sagt er, dass das für ihn eine wichtige Erfahrung war und die folgende Veröffentlichung sich als richtige Entscheidung erwies. Aber es hat eine Zeit gebraucht. Gerade wenn du als Künstler bekannter wirst, hast du nur noch Leute um dich rum, die dir erzählen, wie toll du bist. Da sind wir oft die Einzigen, die auch mal sagen, dass etwas scheiße war.

Was steht als Nächstes an?
A: Es wird eine neue Söllner-Platte geben, außerdem nach längerer Pause ein Album mit Kinderzimmer Productions. Aber es ist auch zu erwähnen, dass wir auf die neuen Bedingungen, unter denen sich vor allem junge Menschen Musik zuführen, reagieren müssen. Wir müssen uns unsere alte Freiheit neu erobern – ein Abenteuer, bei dem noch nicht klar ist, ob es gelingen kann. Außerdem soll unsere Homepage überarbeitet werden. Das wird eine Art Musikarchiv mit einer Riesen-
fülle an Artikeln, Videos etc.
E: Auf der neuen Seite wird es nicht nur den typischen Mailorder mit CD- und Vinylversand geben, man kann auch streamen und downloaden.
A: Es ist halt so und es bringt nichts, sich über Veränderungen zu beschweren. Man kann sich ja auch nicht beschweren, dass es keine Pferdefuhrwerke mehr gibt!
E: Du musst halt schauen, wie das z’samm geht, das Bisherige mit dem, was jetzt gefragt ist.


Zum 50. Jubiläum findet in Berlin und München je eine Label-Nacht statt. Termin für München: 30. November im Feierwerk. Nach einem kleinen Empfang im Farbenladen samt Ausstellung mit Trikont-Material folgt eine Lesung aus dem Buch „Die Trikont-Story“ von den beiden Autoren Franz Dobler und Christof Meueler. Coconami und Eric Pfeil werden dort live zu sehen sein. Danach geht es im Feierwerk weiter, u. a. mit der Express Brass Band, den Zitronen Püppies und Attwenger. (In Berlin wird das Musikprogramm von Kofelgschroa, Lydia Daher, Bernadette La Hengst und Textor im Club „Bi Nuu“ gestaltet.)

Mehr Info: Trikont > Homepage


Fotos: Stefanie Giesder > Homepage
Das Interview ist in unserer Ausgabe curt #87 erschienen.